© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

Spiegelbild der Republik
Im Wandel der Zeiten: Heute gibt es in der Bundespressekonferenz auch dumme Fragen
Paul Rosen

Im Jahr 1949, die Bundesrepublik Deutschland befand sich gerade in der Startphase, hing an einem Schwarzen Brett in der ehemaligen Pädagogischen Akademie in Bonn ein Zettel. Gesucht wurde nach beim Parlamentarischen Rat akkreditierten Journalisten, die Interesse an einem Zusammenschluß der über den jungen Staat berichtenden Korrespondenten hätten. Der Aushang entfaltete Langzeitwirkung: Die Bundes-Pressekonferenz, die inzwischen auf den Trennungsstrich im Namen verzichtet, hat alle Höhen und Tiefen der Politik und des Journalismus überlebt und residiert heute in einem Gebäude unweit des Berliner Kanzleramtes und des Paul-Löbe-Hauses des Bundestages. Der Reichstag ist nur einen Steinwurf entfernt. Ob sie aber heutzutage noch die Bedeutung hat wie in den Hochzeiten der Bonner Republik, ist mehr als fraglich.

Fernsehzuschauer kennen die Bundespressekonferenz, ohne das genau zu wissen. In Bonn waren oft Bilder von Politikern zu sehen, die vor einer Mahagoni-Wand Erklärungen abgaben. Diese Aufnahmen entstanden im Saal der Konferenz in der Heussallee. Im neuen Berliner Gebäude ist das Design in ein fernsehfreundlicheres Blau verwandelt worden.

Mitglied dieser Bundespressekonferenz zu werden, ist schwer. Von dem die Bewerbungen mit großer Strenge sichtenden Mitgliedsausschuß werden nur Journalisten aufgenommen, die bei einem professionellen Medium arbeiten (eine Schüler- oder Studentenzeitung hätte keine Chance) und den größten Teil ihrer Arbeit der Korrespondententätigkeit über die Bundespolitik widmen. Festangestellte Journalisten zahlen einen Monatsbeitrag von 30 Euro, für freie Kollegen ist es mit 20 Euro etwas preiswerter. Etwa 900 Mitglieder zählt der Verein heute, 160 sollen sich davon noch in Bonn befinden. Daneben gibt es den Verein der Auslandspresse, in dem die Korrespondenten ausländischer Medien organisiert sind. Dieser Verein entstand 1951. Bis dahin gehörten auch die ausländischen Korrespondenten zur Bundespressekonferenz.

Mitglieder der Bundespressekonferenz und des Vereins der Auslandspresse genießen ein Privileg. Nur sie dürfen in die dreimal wöchentlich stattfindenden Regierungspressekonferenzen, wo ihnen Regierungssprecher Ulrich Wilhelm die Leitlinien der Koalitionspolitik zu vermitteln versucht. Kanzlerin, Minister, Verbandsvertreter und Personen des öffentlichen Lebens haben von Zeit zu Zeit Sonderauftritte im großen Saal, der besonders bei den Besuchen von Angela Merkel überfüllt ist. Es handelt sich wirklich um Besuche, denn Veranstalter und Gastgeber der Pressekonferenzen ist nicht die Bundesregierung, sondern die Bundespressekonferenz.

Dieser in Demokratien absolute Sonderfall des politischen Journalismus hat seine Gründe in der NS-Zeit. Nach Kriegsende hatte kein Journalist mehr Bedarf nach offiziellen Unterrichtungen des Staates. Man nahm in Bonn die Veranstaltung der Pressekonferenzen kurzerhand selbst in die Hand. Die dauern so lange, bis die letzte Frage gestellt und beantwortet wird. Allerdings gibt es Ausnahmen: Daß das Zeitkontingent der Kanzlerin begrenzt ist, wird respektiert.

Ihre wirklich große Zeit hatte die Bundespressekonferenz in Bonn. Namhafte Journalisten wie Hans Henning Zencke, Heinzgünther Klein, Rudi Kilgus, Lothar Tönshoff und Karl Hugo Pruys versorgten ganze Gruppen von Zeitungen mit Berichten und Kommentaren, die - Internet und Computer gab es noch nicht - über die Öffentliche Fernschreibstelle der Bundespost per Telex an die Redaktionen verteilt wurden. Nur die großen Zeitungen, Rundfunkstationen und Fernsehsender verfügten über eigene Büros mit mehreren Korrespondenten, Regionalzeitungen nur in wenigen Fällen. Die alten Titanen des Bonner Journalismus ließen sich weder ein X für ein U vormachen noch von Ministern oder Fraktionsvorsitzenden oder Pressesprechern einspannen. Sie pflegten ihr eigenes Urteil, ihre Kommentare enthielten eine klare Meinung.

Wer heute in Zeitungen sieht, wie Interviews selbst mit parlamentarischen Hinterbänklern als Massenware abgesetzt werden, muß an einen Satz von Zencke denken: Er mache, sagte er vor vielen Jahren zu jüngeren Kollegen, nur ein Interview im Jahr - "mit dem Bundeskanzler". Und es ist bis heute nicht ganz klar, ob der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff seine Forderungen für eine neue Wirtschaftspolitik der sozial-liberalen Koalition 1982 Zencke in den Block diktierte oder ob sie von Zencke im Gespräch mit Lambsdorff entwickelt wurden. Im Ergebnis brach die sozial-liberale Koalition wegen der Lambsdorff-Forderungen auseinander. Und Zencke hatte die Geschichte als erster.

Es herrschte Korpsgeist in Bonn. Nach Redaktionsschluß traf man sich im Presseclub in der Brüningstraße oder beim "Ossi" (Name eines Barkeepers) zunächst im Gebäude des alten Plenarsaales und später im Keller des "Ersatzplenarsaales" Wasserwerk. Angestoßen wurde auf die Geschichten des Tages. Und zur rheinischen Gemütlichkeit gehört sicher auch der Spruch eines Kollegen: "Arbeite ich heute was, oder schreibe ich einen Kommentar?"

Zu den Aufreger-Themen in der Bundespressekonferenz zählte seinerzeit die Frage, ob man einen Korrespondenten der tageszeitung (taz) in den Reihen dulden könne. Die taz wurde schließlich aufgenommen. Vertreter von DDR-Medien wollten unbedingt in den Verein der Auslandspresse, was zunächst Schwierigkeiten gab, aber später akzeptiert wurde. Der Verlauf der Geschichte sorgte dafür, daß sich die DDR-Journalisten, soweit sie nach der Wende im Beruf blieben, in der Bundespressekonferenz wiederfanden. Daß heute ein Korrespondent der JUNGEN FREIHEIT ohne größere Schwierigkeiten Mitglied der Bundespressekonferenz werden konnte, verwundert angesichts der früher großen Mehrheit von politisch links eingestellten Journalisten in der Mitgliederversammlung.

Versüßt wurde die Bonner Tätigkeit durch einen großzügigen Pauschbetrag bei den steuerlichen Werbungskosten. Es gehört zu den schönen Bonner Geschichten, daß ein früherer Finanzminister diesen Freibetrag eingeführt haben soll. Wenn man den Journalisten bei der Steuer entgegenkomme, dann würden sie schon nichts über die großzügige Förderung der Parlamentarischen Gesellschaft schreiben, soll der Minister gehofft haben. Ein späterer Finanzminister, Theo Waigel (CSU), schaffte den Freibetrag im Zuge von Sparmaßnahmen ab. Die Parlamentarische Gesellschaft der Abgeordneten wird bis heute mit Steuergeldern unterstützt.

Der Umzug nach Berlin brachte auch für die Bundespressekonferenz eine Wende. Viele der alten Bonner Titanen gingen in den Ruhestand oder blieben die letzten Berufsjahre in Bonn. Die Mitgliederschaft strukturierte sich um, das Durchschnittsalter sank, die Verweildauer auf dem Korrespondentenstuhl ebenfalls. Der freie Korrespondent, der einen "Bauchladen" von Zeitungen versorgte, ist Geschichte. Heute gibt es nur noch wenige freie Journalisten, die eine hohe Auflage vorweisen können. Viele große Regionalzeitungen lassen sich von einer einzigen Bürogemeinschaft versorgen.

Zugang zu exklusiven politischen Zirkeln hatte in Bonn nur, wer Mitglied der Bundespressekonferenz war. Dies hat sich heute geändert. Die Mitgliedschaft ist längst kein Nachweis mehr für Premium-Journalismus. Gute exklusive Geschichten werden auch von anderen Journalisten recherchiert. Die regelmäßigen Pressekonferenzen haben an Informationsgehalt verloren. Ein Problem dabei ist, daß die richtigen Fragen nicht gestellt werden und es vielen Journalisten an den Grundkenntnissen über politische Zusammenhänge und den Berliner Betrieb mangelt.

Unvergessen ist eine Pressekonferenz des damaligen CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble, bei der ein Reporter wissen wollte, ob das CDU-Präsidium dem wegen der Spendenaffäre unter Druck stehenden Kanzler Helmut Kohl das Bundestagsmandat aberkannt habe. Hieß es früher, es gibt keine dummen, Fragen, sondern nur dumme Antworten, so gilt das nicht mehr. In Zeiten unendlicher Talk-Runden im TV verflacht das journalistische Niveau. Gefragt ist nicht mehr die sauber recherchierte Nachricht oder das einen Sachverhalt erklärende Hintergrundstück oder der mit fundierter Meinung geschriebene Kommentar. Es geht heute darum, Stellungnahmen von Politikern zu besorgen, die von Nachrichtenagenturen aufgegriffen werden. Das zählt als Erfolg.

In Bonn gibt es eine Firma, die auswertet, welche Zeitungen und Sender andere Zeitungen und Sender zitiert haben. Ressortleiter gieren nach den Ergebnissen, die in Form einer Hitparade versandt werden. Daß Journalisten Journalisten zitieren, gilt als Erfolg. Aber wo bleibt der Leser?

So ist die Bundespressekonferenz ein Spiegelbild der Berliner Republik geworden: oberflächlicher, aber unterhaltsam. Vom Koalitions-Krisengipfel geht es zum Kohlegipfel und dann zum Krippengipfel. Es wird pausenlos berichtet und gesendet, aber daß in der Politik außer Gerede wenig passiert oder wenn doch, dann die Weichen falsch gestellt werden, fällt in der Hektik niemandem mehr auf.

Foto: Großer Medienandrang auf einer Bundespressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (2006): Sonderfall des politischen Journalismus


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