© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/07 20. April 2007

Unbeugsamer Sozialdemokrat
Nachruf: Zum Tode des langjährigen Berliner SPD-Politikers Hermann Kreutzer
Klaus Motschmann

Es ist symptomatisch für unsere Zeit, daß die Nachricht vom Tod bestimmter Persönlichkeiten mit Verzögerung bekannt wird. Dies trifft auch auf Hermann Kreutzer zu, der nach einem politisch außerordentlich bewegten Leben bereits am 28. März im Alter von 82 Jahren verstorben ist.

Kreutzer, der gelegentlich auch für diese Zeitung schrieb, gehörte zu den herausragenden Persönlichkeiten der SPD und des Berliner politischen Lebens. Seine ausgeprägte politische Einstellung erklärt sich aus der festen Verwurzelung in der sozialdemokratischen Tradition seines Elternhauses im thüringischen Saalfeld. Hier erlebte er die Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten. Im Frühjahr 1945 wurde Kreutzer zu zehn Jahren Haft wegen "politischer Zersetzung" verurteilt. Aus diesem "Jugenderlebnis" erklärt sich das besondere Engagement für den Aufbau einer demokratischen und freiheitlichen Ordnung nach 1945.

Für Kreutzer konnte dies nur in der SPD der Fall sein. Er gehörte zu den Mitbegründern der Partei in Thüringen und im Interesse der politischen Glaubwürdigkeit zu den entschiedenen Gegnern ihrer Zwangsvereinigung mit der KPD. Dieser Prozeß ließ sich wegen der massiven Einflußnahme durch die sowjetische Besatzungsmacht nicht aufhalten. Er vermittelte aber einerseits einen realistischen Eindruck von den Methoden kommunistischer "Bündnispolitik", andererseits führte er zur Ausbildung eines instinktsicheren Verhaltens in der Auseinandersetzung mit totalitären Herausforderungen. Dieser Instinkt hat Kreutzer nie verlassen und ihn vor Opportunismus und politischen Fehleinschätzungen im Umgang mit Kommunisten bewahrt.

Widerstand gegen "Entspannungsapostel"

Mit dieser Haltung geriet Kreutzer in Widerspruch - und schließlich Widerstand - gegen die Gleichschaltungspolitik in der DDR. Wegen seiner Verbindungen zur westdeutschen "Schumacher-SPD" wurde er zu 25 Jahren Haft verurteilt, von denen er über sieben Jahre verbüßte. Dank politischer Interventionen wurden er 1956 freigelassen. Nach der Haftentlassung übernahm Kreutzer verschiedene Funktionen in der Berliner SPD, von 1966 bis 1970 arbeitete er als Ministerialdirektor im Gesamtdeutschen Ministeriums und schließlich bis 1980 als Leiter des Berliner Bundeshauses. In dieser Zeit beobachtete er einen "schleichenden Verfall" sozialdemokratischer Grundpositionen als Konsequenz des von Egon Bahr angeregten "Wandels durch Annäherung" und der dann proklamierten Neuen Ostpolitik.

Kreutzer hat sich gegen diesen Kurswechsel der SPD zur Wehr gesetzt und vor den verhängnisvollen Konsequenzen für die gesamtdeutsche Politik gewarnt. Er hat dafür auch sehr viel Zustimmung gefunden, vor allem bei Gründung des Kurt-Schumacher-Kreises. Allerdings vermochte sich dieser Kreis nicht gegen den Einfluß der "Entspannungsapostel" durchzusetzen, die in zunehmendem Maße das Meinungsklima in der SPD bestimmten. Für Kreutzer war es klar, daß bei dieser Entwicklung "das Politbüro der SED und ihr Organ, die Stasi und andere noch nicht dekuvrierte wichtige politische Leute maßgebend beteiligt waren". Nach 1990 lieferte die Gauck-Behörde für diese Einschätzung den Beweis. 1980 verläßt er die Partei.

Unter diesen Umständen ist es nur verständlich, daß ein Sozialdemokrat vom Zuschnitt Kreutzers am Ende feststellte: "Die zehn Jahre als Leiter der Berlin-Abteilung des Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen waren für mich seelisch schwerer zu ertragen als die gewiß nicht leichten Jahre politischer Haft bei den Kommunisten."


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