© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/07 20. April 2007

Chronik einer Affäre
Wie Günther Oettinger einknicken mußte

1. April 2007

Hans Filbinger, von 1966 bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1978 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, stirbt im Alter von 93 Jahren.

 

11. April

Günther Oettinger hält im Freiburger Münster die Trauerrede auf Filbinger. Dabei fallen jene Sätze, die dann inkriminiert werden: "Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes. (...) Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte."

Die ersten geharnischten Reaktionen kommen vom Zentralrat der Juden in Deutschland, dem Schriftsteller Rolf Hochhuth sowie aus den Reihen der Grünen und der Linkspartei.

 

12. April

Oettingers Trauerrede schlägt hohe Wellen. Scharfe Kritik üben weitere Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei sowie erneut der Zentralrat der Juden in Deutschland und Rolf Hochhuth. Oettinger verteidigt seine Rede. In einem Rundfunkinterview erklärt er, sie sei ernst gemeint gewesen und bleibe so stehen. Auch die Südwest-CDU stellt sich hinter ihren Ministerpräsidenten.

 

13. April

CDU-Chefin Angela Merkel telefoniert mit Oettinger. Der Öffentlichkeit läßt sie mitteilen, sie habe ihm gesagt, "daß ich mir gewünscht hätte, daß neben der Würdigung der großen Lebensleistung von Ministerpräsident Hans Filbinger auch die kritischen Fragen im Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus zur Sprache gekommen wären, insbesondere im Blick auf die Gefühle der Opfer und Betroffenen".

Die Kritik an Oettinger reißt nicht ab. Immer stärker gerät er unter Druck. Der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, und der Schriftsteller Ralph Giordano fordern Oettingers Rücktritt. Seine Äußerungen seien "absolut unfaßbar", so Zuroff. Ein Ministerpräsident, der die Nazi-Vergangenheit Filbingers leugne und reinwasche, sei "untragbar". Giordano erklärt: "Wer so etwas sagt, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und gehört nicht auf den Sessel eines Ministerpräsidenten."

 

14. April

Oettinger bleibt standhaft. In einem Offenen Brief schreibt er: "Es gehört in unserem Kulturkreis zu den üblichen Gepflogenheiten einer Traueransprache, Verdienste und das Lebenswerk des Verstorbenen positiv zu würdigen und ihm die schwierigen Phasen seines Lebens - ohne sie zu verschweigen - nicht nachzutragen."

 

15. April

In einem Interview mit dem Südwestrundfunk erklärt Oettinger: "Ich glaube, daß Hans Filbinger ein Gegner der Diktatur gewesen war."

 

14. bis 16. April

Die CDU-Chefin erhöht den Druck auf Oettinger. Das ganze Wochenende telefoniert sie selbst mehrfach mit dem Ministerpräsidenten (und läßt andere ebenfalls telefonieren), um ihn zum Einlenken zu bewegen. Die Kritik an Oettinger hält unvermindert an.

 

16. April

Günther Oettinger knickt ein und distanziert sich von seiner Trauerrede. Auf einer Sitzung des CDU-Präsidiums rückt er von seiner Formulierung ab, Filbinger sei ein Gegner des nationalsozialistischen Regimes gewesen. "Ich halte meine Formulierung nicht aufrecht und will auch mein Bedauern ausdrücken."

 

17. April

Brandenburgs konservativer CDU-Chef Jörg Schönbohm greift Merkel für ihre öffentliche Kritik an Oettinger scharf an. Mit der öffentlichen Bekanntgabe des Telefonats am Freitag seien die Angriffe gegen Oettinger "weiter angeheizt" worden. Schönbohm: "Unsere Leute wollen sehen, ob wir auch zusammenstehen, wenn uns der Wind einmal stark ins Gesicht weht."


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