© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/07 20. April 2007

Im Land des Überflusses
Ausstellung: Die "Große Depression" in Farbe
Werner Norden

Der Börsencrash an der New Yorker Wallstreet führte 1929 zu der verheerendsten Wirtschaftskrise in der Geschichte Amerikas, die als die "Große Depression" einen bildhaften Namen fand. Besonders hart getroffen wurden die Südstaaten der USA, wo die kleinen Farmer und Landarbeiter, zudem noch von den Dürreperioden 1933 und 1934 geplagt, am meisten unter der Krise litten. Während viele Schwarze in den Norden zogen, um sich dort in den großen Fabriken zu verdingen, machten sich arme Weiße in Trecks auf den Weg ins gelobte Land Kalifornien.

John Steinbeck setzte diesen land- und heimatlosen Wanderarbeitern in Gestalt der Familie Joad mit seinem 1939, kurz vor dem Ende der Depression erschienenen weltberühmten Roman "Die Früchte des Zorns" ein literarisches Denkmal. Fast ebenso legendär wie Steinbecks Buch, das alles andere als ein Hohelied auf den kalifornischen Traum war, sind auch die zahlreichen Fotoserien amerikanischer Photographen aus den dreißiger Jahren: Dorothea Langes "Migrant Mother", Walker Evans' "Negro Barbershop", Russel Lees "Children taking a bath in their home in a Community Camp, Oklahoma City" oder John Vachons "Boys in front of a Drugstore, Dover, Delaware".

Die Bilder zeigen die "Große Depression", wie wir sie uns vorstellen: ausgemergelte, hoffnungslose Gestalten, die in eine ungewisse Zukunft blicken, alles natürlich in Schwarzweiß. Um so verstörender wirken in der Ausstellung "Bound for Glory. America in Color" die Farbfotografien, die jahrzehntelang in den Archiven der Library of Congress in Washington schlummerten und jetzt zum ersten Mal in Deutschland gezeigt werden. 1996 katalogisiert und digitalisiert, gehören sie zum Fundus der damaligen Behörde für Farmsicherheit, die Ende der dreißiger Jahre ein Dutzend Fotografen engagierte, um die elende Lage der Landbevölkerung zu dokumentieren.

Wiederum stammen viele der siebzig Bilder, die durchgehend von hoher Qualität sind, von Russel Lee, wie das Foto der Familie des besitzlosen Farmers Jack Whinery in Pie Town, New Mexiko. Jack Delano zeigt Arbeiter, die bei White Plains in Georgia Baumwollfelder harken, während Louise Rosshams Porträt eines kleinen Mädchens vor "Shulman's Market" ein überzeugender Beweis für Hunger und Armut im Land des Überflusses ist. So stellt sich beim Betrachten dieser Bilder eine Nähe und Intensität ein, die nichts mit oberflächlicher Betroffenheit zu tun hat. Die Fotos erzählen von den Erniedrigungen der Menschen, die in abgerissener Kleidung buchstäblich im Dreck liegen oder an einer schmutzigen Straßenecke kauern, die in Hütten hausen, die jeder Beschreibung spotten. Sie erzählen vom allmählichen Zerbrechen der Familien und von der verzweifelten Suche nach Arbeit, aber auch vom ewigen Traum nach der eigenen Scholle, nach Stabilität und Geborgenheit. Die Geschichte der inneramerikanischen Wanderung der dreißiger Jahre ist voller Widersprüche.

Foto: Farmer Jack Whinery und seine Familie in Pie Town, New Mexico, fotografiert von Russel Lee, 1940

Die Ausstellung im Frankfurter Fotografie-Forum International, Leinwandhaus, Weckmarkt 17, läuft noch bis zum 29. April. Täglich außer montags 11 bis 18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, Sa./So. bis 17 Uhr. Tel.: 069 / 29 17 26


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