© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/07 20. April 2007

Ein launiger Einfall der Literaturgeschichte
Vollsaftig: Vor dreihundert Jahren kam mit Henry Fielding ein Pionier des englischen Romans zur Welt
Heinz-Joachim Müllenbrock

Am 22. April 1707 wurde mit Henry Fielding der wichtigste englische Romancier des 18. Jahrhunderts geboren. Zwar schuf Daniel Defoe den puritanisch inspirierten Lebensroman und Samuel Richardson den kurze Zeit blühenden Briefroman, doch erst Fielding hat traditionsbildend gewirkt und dem englischen und über diesen dem europäischen Roman einen festen Orientierungsrahmen bis ins späte 19. Jahrhundert vorgegeben.

Anders als seine beiden literarischen Mitstreiter, die kleinbürgerlicher Herkunft waren, entstammte Fielding dem grundbesitzenden Landadel, gehörte also zu den führenden Gesellschaftsschichten. Anders auch als Defoe und Richardson erwarb Fielding auf der berühmten Internatsschule in Eton eine solide klassische Bildung; die kulturelle Orientierung an der Antike paart sich in seiner gleichwohl ganz unakademischen Romankunst mit einer ausgesprochenen Weltläufigkeit. Als Friedensrichter hat er sich in seinen späteren Jahren sogar in sozialreformerischer Absicht um die Verbrechensbekämpfung verdient gemacht.

Begonnen hatte Fielding seine literarische Laufbahn als Bühnenautor mit Komödien wie "Tom Thumb the Great" (1731), einer Parodie des heroischen Dramas, und regierungskritischen politischen Farcen. Seine Tätigkeit wurde dem Premierminister Sir Robert Walpole schließlich so unbequem, daß dieser mit dem Licensing Act von 1737 eine strenge Theaterzensur einführte. Der Nebeneffekt für die englische Literatur allerdings war durchaus erfreulich: Fielding mußte sich dem Roman zuwenden - einer der launigen Einfälle der Literaturgeschichte.

Daß die Ader für Satire eine Kraftquelle seines Schaffens bleiben würde, bewies er mit seiner brillanten "History of the Life of the Late Mr. Jonathan Wild the Great" (1743). Darin schildert er mit einer Swift vergleichbaren ironischen Radikalität die Karriere eines begabten Verbrechers unter parodistischen Anklängen an Plutarchs Parallelbiographien im Stil eines Großen der Weltgeschichte. Daß die Parallelen zur englischen Politik der Gegenwart ebenfalls unübersehbar waren, machte für die Zeitgenossen den besonderen Reiz dieses amüsanten Geniestreichs aus.

Seinetwegen wurde eine Theaterzensur eingeführt

Mit "Joseph Andrews" (1742) tat Fielding den entscheidenden Schritt zur großen Romanliteratur. Indem er den Roman im Vorwort als "komisches Epos in Prosa" definierte und ihn dem neoklassischen Gattungskanon zuordnete, nahm er für sich in Anspruch, eine neue Gattung im englischen Sprachraum zu begründen. Der Anschluß an die Antike sollte dem Roman die bislang fehlende Anerkennung der gebildeten Oberschicht verschaffen. Wichtiger noch war, daß Fielding dem Roman prinzipiell die gleichen Funktionen wie der Komödie zuwies, deren Aufgabe nicht zuletzt darin bestand, das menschliche Sein hinter der Maske des Scheins zu entlarven. Die Aufdeckung dieser Diskrepanz über die gesamte Breite der Gesellschaft und zugleich in versöhnlichem Geist bezeichnet Fieldings schriftstellerisches Programm. Diesem Konzept gehörte die Zukunft.

Mit "Joseph Andrews" schuf Fielding aber auch den ersten auktorialen Roman Englands, in dem ein allwissender Erzähler als Vermittler auftritt, den Dialog mit dem Leser sucht und sich in Kommentaren persönlich offenbart. Auch darin hat Fielding eine reiche Nachfolge gefunden. Er selber fühlte sich, wie bereits der Untertitel von "Joseph Andrews" verrät, zu Recht den Anregungen von Cervantes verpflichtet, mit dem er die Freude an der Meta-Ebene des Erzählens, den Blick für die Widrigkeiten der Wirklichkeit und ideelle Werte teilt. Der schrullige Landpfarrer Parson Adams, argloser Gutmensch und Freund des Titelhelden, ist, wenn er auch nicht die Statur Don Quijotes erreicht, eine Fortschreibung cervantinischer Impulse ins Volkstümliche und Derbe.

1749 legte Fielding sein Meisterwerk "The History of Tom Jones, a Foundling" vor. Bei diesem mehrfach verfilmten und trotz seiner Länge populärsten seiner Romane handelt es sich um die konsequenteste Verwirklichung der von Fielding dargelegten Prinzipien der neuen Gattung. Ohne wie "Shamela" (1741), eine freche Parodie von "Pamela", und "Joseph Andrews" einen expliziten Bezug auf Richardson herzustellen, ist "Tom Jones" Fieldings ausgefeiltester, an der Transparenz des Epos ausgerichteter Gegenentwurf zu der Romanauffassung seines Rivalen. Der gutartige Naturbursche Tom Jones, ein Jedermann, darüber hinaus eine vollsaftige Figur wie sein Schöpfer selbst und wie dieser seiner Schwäche für das weibliche Geschlecht nachgebend, verkörpert als gemischter Charakter gerade durch die Gefährdungen seiner Tugend die personelle Antithese zu der Fielding suspekten papierenen Tugend von Richardsons makellosen Heldinnen. Die Diskrepanz zwischen dem Verhalten der Menschen und ihren wahren Motiven zu durchschauen und Klugheit und Umsicht (prudence) zu erwerben, wird ihm, ähnlich wie seinem Ziehvater Squire Allworthy, als Lernziel aufgetragen. Insofern ist "Tom Jones" ein Erziehungsroman, der allerdings ganz anders akzentuiert ist als der bildungsbeflissene deutsche Entwicklungsroman.

Der Leser ist des Autors intellektueller Partner

Vor der Kontrastfolie des Heuchlers Blifil entfaltet sich der Werdegang des gutherzigen, aber leichtsinnigen Protagonisten, der schließlich doch noch verdientermaßen seine Sophia bekommt, unter strenger Beachtung der klassischen Forderungen nach Einheit der Handlung und stringenter Verknüpfung von Charakter und Handlung - in "Tom Jones" ist die in "Joseph Andrews" noch nachwirkende Formlosigkeit des episodenhaft-pikaresken Romans überwunden.

Dabei geht es dem Autor nicht um die feinnervige Seelenzergliederung unverwechselbarer Gestalten, sondern um die Offenlegung bestimmter Grundzüge menschlichen Verhaltens - im Vergleich mit dem Individualisten Richardson ist Fielding Generalist. Sein toleranter und illusionsloser Realismus beruht auf einer mehr von außen ansetzenden, am Exemplarischen interessierten Psychologie, die auf Einsichten universeller Gültigkeit abzielt. In diesem Sinne demonstriert der auktoriale Erzähler seinen als intellektuelle Partner intendierten Lesern ein ums andere Mal, daß er das Getriebe der Welt durchschaut, ohne das Ideal aus den Augen zu verlieren. Das zeitgenössische Ideal der Benevolenz, die Fähigkeit, Gutes zu empfinden und zu tun, steht im Zentrum von Fieldings Menschenbild. Diesem ist ein aufgeklärter Anglikanismus eigen, der praktische Nächstenliebe höher bewertet als dogmatische Pedanterie.

Fielding, der mit seinem weniger geschätzten Spätwerk "Amelia" (1751) noch den Weg zum Ehe- und Familienroman einschlug, ist am 8. Oktober 1754 in Lissabon gestorben.

Bild: Henry Fielding (1707-1754): Gefährdungen der Tugend

 

Prof. Dr. Heinz-Joachim Müllenbrock ist Emeritus für Anglistik an der Georg-August-Universität Göttingen. In der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt über H.G. Wells (JF 52/06-1/07).


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