© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

"Eine politische Bankrotterklärung"
Er gründete Weikersheim und soll Oettingers Rede inspiriert haben. Er gilt als ein Vordenker der Konservativen
Moritz Schwarz

Herr Professor Rohrmoser, wie inzwischen bekannt wurde, war der Verfasser der Traueransprache Günther Oettingers für Hans Filbinger der Referent im Staatsministerium Michael Grimminger. Bis 2001 war Grimminger Ihr Assistent. Nun haben einige Journalisten Sie als geistigen Urheber der Rede ausgemacht.

Rohrmoser: Grimminger mag die Rede entworfen haben, aber laut Aussage Oettingers wurde der Text von ihm und seinen Beratern ausführlich diskutiert und abgenickt. Michael Grimminger habe ich seit dem Ende seiner Assistententätigkeit nicht mehr gesprochen, und ob eine geistige "Mittäterschaft" meinerseits am Redetext vorliegt, darüber mag jeder selbst urteilen, wenn er sich die Mühe macht, eine meiner Schriften zu lesen. Diejenigen, die das bislang behaupten, haben offenbar keine einzige Zeile gelesen.

Auch als einer der Gründer, frühen Vordenker und zu Beginn Vizepräsident des Studienzentrums Weikersheim, auf das sich mittlerweile der Brennpunkt der "Affäre Oettinger" verlagert hat, sind Sie inzwischen - etwa vom "Spiegel" - als eine "Spinne im Netz" ausgemacht worden. Die "Frankfurter Rundschau" wirft Ihnen vor, den zeitweiligen NPD-Anwalt und -Vordenker Horst Mahler zu einem Vortrag nach Weikersheim eingeladen zu haben.

Rohrmoser: Als Mahler 1997 seinen Vortrag - zu einem religionsphilosophischen Thema - hielt, konnte niemand ahnen, daß er Jahre später zeitweilig eine führende Rolle bei der NPD spielen würde. Ich habe Mahler übrigens kennengelernt, als er mich gemeinsam mit dem späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder besucht hat, der bekanntlich damals Mahlers Anwalt und, wie mir schien, auch enger Freund war. Mahler schrieb damals übrigens auch noch ganzseitige Beiträge etwa in der Süddeutschen Zeitung.

Ministerpräsident Günther Oettinger hat inzwischen dem Druck nachgegeben und sich vom Studienzentrum Weikersheim distanziert. Steht damit Ihr ehemaliges Institut vor dem Aus?

Rohrmoser: Auf jeden Fall kann man sicher sein, selbst wenn Weikersheim diese Kampagne übersteht, wird das Studienzentrum qualitativ nicht mehr das sein wird, was es bislang war.

Sie meinen, der Exitus kommt, die Frage ist nur, ob durch äußere Liquidation oder innerer Selbstaufgabe?

Rohrmoser: Da Weikersheim ein privater Verein ist, kann es von der CDU nicht einfach geschlossen werden. Für Oettinger geht es nur darum, das Problem Weikersheim loszuwerden. Diejenigen, die aber schon seit Jahren die Kampagne gegen das Studienzentrum betreiben, wollen es ganz und gar ausschalten. Interessant ist, was der Politologe Wolfgang Gessenharter von der Bundeswehr-Universität in Hamburg in der taz formuliert hat, nämlich daß er das Abrücken Oettingers von Weikersheim bedauere. Dahinter steckt allerdings kein Gesinnungswandel Gessenharters, der ja bekanntlich einer der profiliertesten "Kämpfer gegen Rechts" ist, sondern der Gedanke, Weikersheim künftig lieber über eine an die Kandare genommene CDU auf politisch korrekten Kurs zu bringen, als sich nur davon zu trennen und dann keine Kontrolle mehr zu haben.

Was verlören die Konservativen denn mit Weikersheim?

Rohrmoser: Das ist die Frage.

Kann man Weikersheim heute wirklich noch "konservativ" nennen?

Rohrmoser: Das hängt davon ab, was man unter Konservativismus versteht.

Man hat den Eindruck, daß es dort schon lange nicht mehr um einen prononcierten und angriffslustigen Konservatismus, sondern eher um einen um Harmonie bemühten konservativen Christdemokratismus geht.

Rohrmoser: Ich kann nur sagen, jedesmal, wenn ich seit dem Ende meiner aktiven Zeit bei Weikersheim als Referent an Veranstaltungen teilgenommen habe, ging es um das Thema Europa und seine politische und kulturelle Identität.

Wichtig, aber einseitig. Flucht vor der Real- in die Metapolitik?

Rohrmoser: Auf den Gedanken könnte man kommen.

Kann man Weikersheim noch eine "Denkfabrik" nennen?

Rohrmoser: Auch das ist eine gute Frage.

Weikersheim-Veranstaltungen scheinen eher den Charakter - allerdings gehobener - politischer Breitenbildung als wissenschaftlicher Tiefenarbeit und eines konzeptionellen politischen Vordenkens zu haben. Täuscht dieser Eindruck?

Rohrmoser: Mit all diesen Fragen sollten Sie lieber die Verantwortlichen konfrontieren.

Das ist leider zwecklos.

Rohrmoser: Ich würde Ihre Einschätzung teilen - allerdings mildernd hinzufügen: Wo wird heutzutage noch tiefgeschürft?

Ihre Zurückhaltung ist vornehm, aber unbefriedigend.

Rohrmoser: Was Weikersheim für den deutschen Konservativismus bedeutet, kann abschließend erst später einmal, in der Rückschau, beurteilt werden. Sicher aber ist der Einfluß bei weitem nicht so groß, wie die politische Kampagne gegen das Institut glauben machen möchte.

Sie haben sich Anfang der neunziger Jahre von Weikersheim getrennt. Warum?

Rohrmoser: Die Idee bei der Gründung war eine geistig-ethische Erneuerung unseres Landes, die aus unserem christlichen Ursprung und europäisch-deutschen kulturellen Erbe ihre Kraft schöpfen sollte. Diese Zielsetzung wäre nur zu erreichen gewesen, wenn das Institut konsequent überparteilich hätte arbeiten können und alle Personen guten Willens, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, sich auf dieser Basis hätten zusammenfinden können.

Im Klartext, Sie kritisierten die einseitige Ausrichtung Weikersheims auf die CDU.

Rohrmoser: Ich hatte diesen Eindruck.

Seit 1989, also zu einer Zeit als Sie noch im Präsidium saßen, wurden heftige politische Vorwürfe gegen das Institut laut: Die "rechte Kaderschmiede" lade "rechtsextreme Referenten" zu Vorträgen, um als "Scharnier zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus" zu fungieren. Was hatte es damit auf sich?

Rohrmoser: Ihre Fragestellung folgt leider nicht nur den Vorgaben der Political Correctness, sondern auch den Prinzipien des inquisitorischen Verfahrens, mit dem man bei uns heute politisch Mißliebiges behandelt. Weikersheim wollte damals ein freies Forum sein, das sich nicht nur an die auf die "richtige" Gesinnung Eingeschworenen wendet, sondern offene und kontroverse Diskussion führt - auch mit Leuten, die die Weikersheimer Positionen nicht, vielleicht sogar einen entgegengesetzten Standpunkt haben. Wenn man dies damals wie heute zum Anlaß für inquisitorische Nachforschungen nimmt, erstickt man die Freiheit geistiger Auseinandersetzung in unserem Land. Es ist doch absurd, weil in sich widersprüchlich, eine Einrichtung, die sich dem Nach- und Vordenken widmet, unter Kuratel zu stellen: Dann ist es mit dem geistigen Austausch vorbei!

Der heutige Präsident des Studienzentrums, Bernhard Friedmann, vertritt die Auffassung, bezüglich der Rechtsextremismus-Vorwürfe sei "nicht zu bestreiten, daß es in der Anfangszeit den einen oder anderen bedauernswerten Vorfall gegeben hat".

Rohrmoser: Dazu möchte ich nichts sagen, diese Erklärung muß Herr Friedmann selbst verantworten. Nur soviel: Ich habe mich über die oben von mir angesprochene Frage einmal mit dem leider verstorbenen ehemaligen Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, unterhalten. Er vertrat mir gegenüber die Auffassung, er würde sich gemäß seinen Überzeugungen zu jeder Zeit mit jedem in der Diskussion auseinandersetzen. Und als ich noch Verantwortung trug, war ebenso Bundespräsident Karl Carstens wie der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder in Weikersheim zu Gast, und wir haben damals übrigens auch ausgezeichnet mit der Jüdischen Gemeinde in Baden-Württemberg zusammengearbeitet.

Sollte sich die CDU ganz von Weikersheim trennen, besteht dann vielleicht die Chance auf einen geistigen Neubeginn für das Institut?

Rohrmoser: Das weiß ich nicht. Falls ja, würde ich mich freuen, würde man zu meiner ursprünglichen Konzeption von Weikersheim zurückfinden.

Ist mit seiner Distanzierung von Weikersheim die "Affäre Oettinger" zu Ende?

Rohrmoser: Nein. Gegenfrage: Was hat eigentlich Weikersheim mit der Trauerrede Oettingers für Hans Filbinger zu tun, mit der am 14. April alles begann? Nichts! Eine "Verbindung" gibt es nur dann, wenn man annimmt, daß die beanstandeten Passagen der Rede nicht einfach eine Meinungsäußerung darstellen, sondern einer politische Strategie entspringen. Dann wäre die nächste Frage: Wo kommt das her? In den Zeitungen liest man als Antwort darauf bereits von einer Art Weikersheim-Fraktion im Baden-Württembergischen Staatsministerium. Wenn es gelingt, diese Verschwörungstheorie glaubhaft unters Volk zu bringen, dann bietet sie einen wunderbaren Keil, um immer tiefer in die Union einzudringen. Die Affäre ist also keineswegs erledigt, vielmehr beginnt ihre Tiefen- und Langzeitwirkung nun erst. Schon setzt SPD-Chef Kurt Beck nach und empfiehlt Angela Merkel eine Reinigung der CDU unter der politisch korrekten Tarnformulierung "Klärung der Haltung zu Vergangenheit und rechtem Rand". Natürlich geht es letztlich nicht um Weikersheim, sondern darum, die Konservativen in der CDU, die es noch in allen Landesverbänden gibt, möglichst endgültig ins Aus zu stellen und die Partei so weltanschaulich - und damit auch in vielen praktischen politischen Fragen, etwa in puncto Zuwanderung oder Gesellschaftspolitik - unter Kontrolle zu bringen.

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm hat Angela Merkel dafür kritisiert, in diese Falle getappt zu sein. In einem Interview warf er ihr vor: "Unsere Leute wollen sehen, ob wir auch noch zusammenstehen, wenn uns der Wind einmal stark ins Gesicht weht."

Rohrmoser: Ein Vorwurf ist nicht nur Merkel zu machen, sondern auch Oettinger, der mit seinen immer neuen zögerlichen Rückzügen - erst in der Causa Filbinger, dann in der Frage Weikersheim - die Flanke aufgemacht hat. Und nun steht nicht nur er wie ein begossener Pudel da, sondern die ganze Südwest-CDU, die zunächst tapfer zu ihm gehalten hatte.

Günther Oettinger wurde vor allem die Äußerung vorgeworfen, Filbinger sei ein "NS-Gegner" gewesen. Ein Wort, das allerdings in der Tat verwundert.

Rohrmoser: Oettinger hat schließlich klargestellt, daß er nicht gemeint hat, Filbinger sei ein aktiver Widerstandskämpfer gewesen. Es war aber sicherlich fahrlässig, einen Begriff wie "NS-Gegner" zu gebrauchen, unter dem sich jeder etwas anderes vorstellt, der aber auch nur bedeuten kann, daß man innerlich die Anschauungen der Nationalsozialisten nicht geteilt hat. All diejenigen, die leichtfertig diese Möglichkeit bei Filbinger mit Verweis auf dessen Mitgliedschaft in der NSDAP oder seine Äußerungen als 21jähriger NS-Studentenschaftler vom Tisch wischen, seien daran erinnert, daß nicht nur Graf Stauffenberg zunächst ein glühender Verehrer Adolf Hitlers war, sondern ebenso die Geschwister Scholl, die sogar als HJ-Führer aktiv waren, und daß nicht nur NSDAP-Mitglieder wie der 20.-Juli-Mann Fritz-Dietlof von der Schulenburg oder Oskar Schindler Widerstand leisteten, sondern sogar SS-Männer, wie das Beispiel Kurt Gersteins belegt. Viele Mitglieder des bürgerlichen Widerstands entsprachen überhaupt nicht dem, was wir uns heute unter dem geistigen Einfluß des "Kampfs gegen Rechts" naiv unter Widerstand vorstellen.

Also hätte Merkel durchaus auch anders reagieren können, ohne sich vorwerfen zu müssen, gegenüber der Zeit des Nationalsozialismus "Zweideutigkeiten" in der Partei zu dulden?

Rohrmoser: Auf jeden Fall. Die Geschichte des Dritten Reiches ist komplex, und die Aufgabe bürgerlicher Politik wäre, das Gespür der Gesellschaft für die geschichtliche Realität damals zu schärfen. Davon ist aber in der CDU nichts zu spüren. Statt dessen wurde die pauschale Geschichtsdoktrin der Linken mit ihrem ganz und gar unhistorischen, weil ideologisch motivierten Antifaschismus übernommen und zur "geschichtlichen Wahrheit" erklärt. Angela Merkel hat mit ihrer Intervention alle, die gegen Oettinger und die CDU, aber auch gegen eine differenzierte Betrachtung unserer Geschichte kämpfen, politisch ins Recht gesetzt: In diesem Moment stand Oettinger auf verlorenem Posten.

Warum hat sich Merkel entschieden, lieber die eigene Partei zu beschädigen, als den politischen Kampf aufzunehmen?

Rohrmoser: Weil sie keine andere Wahl hatte. Denn die politische Durchsetzungsfähigkeit einer Partei - auch darüber habe ich viel mit Peter Glotz gesprochen - hängt von der Frage ab, wer die geistig-kulturelle Hegemonie im Land innehat. Und nachdem die CDU diese vor fast vierzig Jahren verloren hat und seitdem auch nicht in der Lage oder willens war, sie zurückzuerobern, ist der Kurs der geistigen Unterwerfung der Partei einschließlich all der sich regelmäßig daraus ergebenden großen Demütigungen - von Filbinger über Jenninger bis zu Oettinger - und der zahllosen kleinen Demütigungen eine zwangsläufige Folge. Wenn eine Volkspartei wie die CDU, der wir alle entscheidenden Erfolge im Aufbau der Bundesrepublik und im Ansehen in der Welt verdanken und die lange Zeit die Mehrheit der Wähler für sich zu gewinnen in der Lage war, heute nicht einmal mehr kampagnenfähig ist, so ist das eine politische Bankrotterklärung. Was die Union nicht begreift, ist, daß es im Kern um das von Joschka Fischer einmal mit dem Satz "Auschwitz als Gründungsmythos der Bundesrepublik" beschriebene Absolutum geht, das den zutiefst mit der CDU verbundenen Aufbaumythos der Gründerjahre ersetzt hat und die Union in weiten Bereichen politikunfähig macht. Und das von seinen politischen Nutznießern mit all ihrer diffamatorischen, politischen und medialen Macht mit Zähnen und Klauen bis zum Schluß verteidigt werden wird.

 

Prof. Dr. Günter Rohrmoser lehrte Sozialphilosophie und politische Philosophie an der Universität von Hohenheim. Der Marxismusexperte gilt als führender konservativer Vordenker in Deutschland. Zehn Jahre saß er in der Marxismuskommission der EKD, die sozial-liberale Bundesregierung berief ihn in die Kommission zur Erforschung der geistigen Ursachen des Terrorismus. Rohrmoser, der Ministerpräsident Hans Filbinger beriet, gehörte 1979 zu den Mitbegründern des Studienzentrums Weikersheim. 1981 empfing ihn Papst Johannes Paul II., und 1997 verlieh ihm Bundespräsident Roman Herzog das Bundesverdienstkreuz am Bande. Der SPD-Vordenker Peter von Oertzen nannte ihn 1995 in der Zeit einen "fachkundigen, über den ideologischen Fronten stehenden Analytiker" und "leidenschaftlichen Liberalen". Geboren wurde Rohrmoser 1927 in Bochum. In zahlreichen Büchern untersuchte er die Quellen des Konservatismus sowie die Kulturrevolution der Achtundsechziger und das Versagen des bürgerlichen Milieus. Er entwirft Gegenstrategien für einen "modernen Konservativismus", der den "Kampf um die Mitte" aufnehmen kann. Zu seinen wichtigsten Werken - die in sechs Sprachen erschienen sind - zählen "Krise der politischen Kultur" (Hase & Köhler, 1983) und "Der Ernstfall. Die Krise unserer liberalen Politik" (Ullstein, 1994). Jüngst erschien "Konservatives Denken im Kontext der Moderne" (GfK, 2006). Heute widmet sich vor allem die Gesellschaft für Kulturwissenschaft der Verbreitung seiner Schriften.

Kontakt: Gesellschaft für Kulturwissenschaft, Ahornweg 5a, 76467 Bietigheim/Baden, Telefon: 0 72 45 / 89 0 15, Internet: www.gfk-web.de 

 

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