© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

WIRTSCHAFT
Zahlen sollen aber immer die anderen
Jörg Fischer

Die Bundesregierung streitet über die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen. Die SPD hat eine Unterschriftenkampagne gestartet, denn "mehr als 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte arbeiten in Deutschland für Armutslöhne, die weniger als 50 Prozent des Durchschnittslohns betragen". Führende Unionspolitiker und Ökonomen sind dagegen. "Dann gehen massenhaft Stellen im Niedriglohnbereich verloren", warnt etwa der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz. Schließlich lernt jeder VWL-Student: Steigt der Preis für Arbeit, geht die Nachfrage danach zurück - und umgekehrt. Doch jenseits von roter Vorwahlkampfrhetorik und Schwarzmalerei ist die Realität etwas komplizierter. Nach DIW-Angaben gibt es 170.000 Vollzeitkräfte, die unter 4,50 Euro pro Stunde verdienen, und 600.000 mit weniger als sechs Euro pro Stunde.

Laut Bundesagentur für Arbeit sind derzeit etwa 420.000 Vollzeitbeschäftigte (meist in Dienstleistungsbranchen) auf zusätzliche staatliche Hilfe angewiesen - denn der "gesetzliche Mindestlohn" heißt Hartz IV. Den Fehlbetrag zwischen dem Nettolohn und den Hartz-IV-Ansprüchen finanziert der Steuerzahler. Doch warum muß ein Kfz-Meister, der existenzsichernde Löhne zahlt, über seine Steuern die Niedriglöhne der Friseurmeisterin auf das Existenzminimum hochsubventionieren? Das Argument der ausländischen Konkurrenz zieht nur begrenzt - von Frankfurt/Oder ist man zwar schnell bei polnischen Alternativanbietern, von Frankfurt/Main aus aber nicht. Für eventuelle Schwarzarbeit gilt ähnliches. Gesetzliche Mindestlöhne in Höhe des Existenzminimums sind daher keine "Sozialromantik", sondern wegen der Wettbewerbsgerechtigkeit angebracht. Das Haareschneiden wird dann allerdings etwas teurer werden.


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