© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Die Zähmung der Konservativen
Biotop für aussterbende Arten: Mit Weikersheim gibt die CDU ein weiteres Stück Erbgut preis
Karlheinz Weissmann

Erst in seiner letzten Phase hat sich der Filbinger-Oettinger-Skandal in einen Filbinger-Oettinger-Weikersheim-Skandal verwandelt und dazu geführt, daß die Auseinandersetzung mehr wurde als eine personalpolitische Querele. Später kann jemand rekonstruieren, auf welchem Weg die Medien die Verbindung zwischen dem Verfasser der Trauerrede, dem Lehrstuhl des christlich-konservativen Stuttgarter Sozialphilosophen Günter Rohrmoser und dem Studienzentrum Weikersheim aufdecken konnten. Verantwortlich für die Rede Oettingers soll Presseberichten zufolge nämlich mit Michael Grimminger ein früherer enger Mitarbeiter Rohrmosers gewesen sein, der heute als Redenschreiber im Staatsministerium arbeitet (JF 17/07). Aber die Indiskretion ist im Grunde unwichtig, weil viel entscheidender sein dürfte, welche Folgen sie hat.

Mag Filbinger dem Vergessen anheimgegeben werden, mag Oettinger seine Position noch einmal festigen, das Studienzentrum Weikersheim wird nicht mehr sein, was es einmal war: letzte Bastion der Konservativen in der CDU. Es hat mit dem Rückzug des Ministerpräsidenten allen Rückhalt verloren, die Interventionen von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm, der auch Vizepräsident des Studienzentrums ist, spielen schon keine Rolle mehr, von denen des Präsidenten Bernhard Friedmann ganz zu schweigen. Hier wird eine Abwicklung vorbereitet, wer sie wann vollzieht, ist unerheblich.

Das bedeutet auch, daß man ein Kapitel der Weltanschauungsgeschichte der alten Bundesrepublik schließt, überschrieben mit: Zähmung der Konservativen durch die Union. Die polemische Definition der CDU/CSU als "Dauerkoalition von Zentrum und Deutschnationalen" hatte über lange Zeit eine gewisse Plausibilität. Adenauers Entschluß, die Wiedergründung des Zentrums zu hintertreiben, bot jedenfalls die Chance, eine Sammlung der bürgerlichen Wähler zu erreichen, begrenzt nur durch die Weigerung der dezidiert liberalen, für einen Katholiken zu stimmen. Der Preis, den er zahlen mußte, war gering: Lippenbekenntnisse zur Wiedervereinigung unter Einschluß Ostdeutschlands, einige Alibiprotestanten in der Parteiführung. Das übrige, was den Konservativen am Herzen lag, verstand sich in der Nachkriegszeit sowieso noch von selbst: Manieren, Bildungsbewußtsein, Wehrbereitschaft, Antikommunismus.

Die Situation veränderte sich aber in den sechziger Jahren und führte in der Union zu ersten Erwägungen, wie man die Partei modernisieren könne, ohne sie zu gefährden. Dabei erschienen die Konservativen zunehmend als Belastung. Noch in der Auseinandersetzung um die Ostpolitik und die Bedrohung durch den Terrorismus waren sie ein schwer kalkulierbarer Faktor. Rainer Barzel glaubte sie übergehen zu können - in seinen Memoiren äußerte er, er habe eigentlich dasselbe gewollt wie Willy Brandt, nur eben langsamer und vernünftiger - und scheiterte. Helmut Kohl hofierte sie und band sie ein, bis er sie nicht mehr nötig hatte. Nur nach außen schien es so, als ob er seinem Generalsekretär Heiner Geißler widersprach, wenn der ein Kupieren des rechten Parteiflügels forderte - in der Sache waren Kohl und Geißler nahe beieinander.

Rohrmoser hat Geißler einmal mit der Äußerung zitiert, die Konservativen in der Union seien nur mehr ein biologisches Problem. Das war eine Unverschämtheit, aber eine gut gezielte. Tatsächlich zerschlugen sich alle Hoffnungen auf eine "geistig-moralische Wende" nach dem Regierungsantritt Kohls in atemberaubendem Tempo. Dabei hatte der Kanzler ein Ohr für konservative Berater - von Rohrmoser bis zu Streithofen -, aber eben nicht, um ihnen zu folgen, sondern nur, um einzuschätzen, was diese Klientel von ihm erwartete, sie nicht über Gebühr zu enttäuschen und im übrigen einen Kurs zu verfolgen, der die vollständige Marginalisierung der Konservativen in der Union zur Folge haben mußte.

Daß deren Milieus - die Vertriebenen, die kirchlich Gebundenen, die Bauern, Teile des Mittelstandes - dagegen nichts unternahmen, war einmal auf den von Geißler ins Feld geführten Grund zurückzuführen, die Überalterung, dann spielte der wirtschaftliche Bedeutungsverlust eine Rolle und weiter die Neigung eines satten Bürgertums zu rein pragmatischen Lösungen. Schließlich tat die dem "Kanzler der Einheit" in den Schoß gefallene Wiedervereinigung ein letztes, um jene zu befrieden, die in der Union für deutschlandpolitische Unruhe sorgten. Was blieb, waren Reste, ein paar Honoratioren, die ihre mühsam gehaltene Stellung nicht gefährden wollten, viele Verbitterte, die sich zurückzogen, und einige Junge, die, irgendwann vor die Wahl zwischen Karriere und Konsequenz gestellt, entschlossen die Karriere wählten - eine Karriere, die sie im Parteienstaat nur mit der Partei, nicht gegen sie verwirklichen konnten.

Weikersheim wirkte bei all dem wie ein Biotop für aussterbende Arten. Im Herbst 1979, im Vorfeld der "Wende" von Filbinger und Rohrmoser gegründet, sollte hier ursprünglich die "geistig-politische Initiative" ergriffen werden, für die sich in der Partei niemand interessierte. Man traf einander alljährlich in gediegener Atmosphäre, war unter Gleichgesinnten, hörte ambitionierte Vorträge und erlebte Debatten, die zum Teil mit außerordentlicher Verve geführt wurden.

Bis zum Beginn der achtziger Jahre stellte die Legitimität einer solchen Institution und solcher Veranstaltungen auch niemand in Frage. Die Kongresse versammelten Referenten, die innerhalb wie außerhalb der Parteigrenzen standen. Allerdings mehrten sich die Angriffe - auch die Ausschreitungen des linken Mobs -, und es gelang, wie in so vielen anderen Fällen, eine konservative Einrichtung in einen gewissen Ruch zu bringen, ohne daß die Union etwas zur Verteidigung unternahm.

Die Lage beruhigte sich erst nach dem Rückzug Filbingers und seines engsten Mitarbeiters Albrecht Jebens, der entscheidend zur Weite des geistig-politischen Horizonts der Veranstaltungen beigetragen hatte. Die Ursache für den Verfall des öffentlichen Interesses an Weikersheim in den folgenden Jahren, das der Antifa eingeschlossen, war die Disziplinierung durch die Nachfolger Filbingers. Wer deren Vorgehen beobachtete, mußte zu dem Schluß kommen, daß das Studienzentrum an der Kandare lag und zukünftig jede Rechtsabweichung ausgeschlossen war.

Stellt man sich die Frage, warum die Präsidiumsmitglieder, denen diese Tendenz unmöglich verborgen geblieben sein kann, auf Widerstand verzichteten, dann wohl aus der Einsicht, daß solcher Widerstand ohne Chance gewesen wäre. In der Union gab es keine Gruppierung, schon gar keinen Flügel, auf den sie hoffen durften, außerhalb wollte man keine Verbündeten suchen, denn damit wäre die Parteiräson endgültig in Frage gestellt worden. Unter anderen Umständen hätte man so noch eine gute Zeit weitermachen können: ohne geistigen Impuls zwar, ohne Debatte über ganz ernste Fragen, aber immerhin.

Nun ist es anders gekommen. Natürlich muß man sich nicht damit aufhalten, die erhobenen Vorwürfe zu widerlegen. Bei jeder Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-, der Heinrich-Böll- oder der Friedrich-Ebert-Stiftung darf man mehr an staatsgefährdenden Äußerungen vermuten als bei einem Kongreß des Studienzentrums. Aber darum geht es den Gegnern nicht und auch nicht den Einflußreichen in der Union. Letztere wollen ein politisches Signal setzen, und das besagt: Für Konservative ist kein Platz mehr.

Dazu noch eine Nachbemerkung: Vor einiger Zeit hat Günter Rohrmoser für einen Verband der Jungen Union einen Vortrag über die Zukunft der CDU gehalten. Er sprach fast zwei Stunden lang, druckreif, weit ausholend, die ganze Geistesgeschichte aufbietend, aber auch unter Rekurs auf persönlich Erlebtes, die Pointen sicher setzend. Irritiert hat nur der Mangel an Eindruck bei seinen Hörern. Das lag weder am Inhalt noch an der Rhetorik des Referenten, sondern an der Stumpfheit dieser Klientel, die noch seine Mahnung, es stehe ein neuer Kulturkampf bevor, in dem es auch um die Besetzung der konservativen Position gehen werde, mit Coolness quittierte. Diesem Zuwenig wurde dann ein irritierendes Zuviel gegenübergestellt: Der Vorstand des Ortsverbands, dessen Wachsamkeit die Initiative der jungen Leute entgangen war, debattierte erregt darüber, wer den Fauxpas zu verantworten habe, daß jemand wie Rohrmoser überhaupt eingeladen wurde, jemand, der es gewagt habe, die Kanzlerin zu kritisieren.

Als T. S. Eliot sich der Konservativen Partei Großbritanniens näherte, rechtfertigte er diesen Schritt mit den Worten: "Sie besitzt, wessen sich keine andere Partei rühmen kann, ein komplettes geistiges Vakuum, eine Leere, die mit irgend etwas, also auch etwas Vernünftigem ausgefüllt werden kann." Ähnlich mögen die Initiatoren von Weikersheim in bezug auf die Union gedacht haben, - und das war ein schwerer Irrtum.

Foto: Altkanzler und Ex-CDU-Vorsitzender Helmut Kohl (2005): "Ein geistiges Vakuum, das mit irgend etwas ausgefüllt werden kann"


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