© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

L wie Knabenliebe
Politische Zeichenlehre XXI: Lambda
Karlheinz Weissmann

Angesichts der Kontroversen über Grenzen des Geschmacks und internationale Empörung, die der Film "300" (JF 16/07) auslöst, wird kaum jemand größere Aufmerksamkeit für die Details der Kostüme haben. Einige mag aber irritieren, auf den Schilden der Spartaner, die die Thermophylen gegen die persische Übermacht verteidigen, ein schmaler Keil zu sehen ist.

Es handelt sich dabei um die archaische Form des griechischen Buchstabens Lambda - "λ", der für unseren Lautwert "L" steht. In Darstellungen zur Geschichte Spartas findet sich der Hinweis, daß dessen Hopliten solchermaßen gekennzeichnete Schilde trugen, wobei das Lambda als Abkürzung für "Lakedaimon" galt, der Name Spartas in klassischer Zeit. Seit dem 2. Messenischen Krieg (etwa 640-620 vor Christus), in dem die spartanischen Hopliten zum ersten Mal als Phalanx aufmarschierten, sollen die Schilde zum Zweck der besseren Erkennbarkeit einheitlich mit dem Lambda bemalt worden sein. Das erscheint insofern nachvollziehbar, als die Phalanx eine geschlossene Schlachtreihe der Schwerbewaffneten bildete, und ähnliches wird auch über die Aufgebote Athens (Eule) oder Thebens (Sphinx) behauptet.

Allerdings gibt es für diese Praxis keine archäologischen Belege. Die Darstellungen der Phalanx, vor allem auf Vasenbildern, lassen eher eine individuelle Schildbemalung vermuten, die magisch motiviert war, den Feind abwehren und den Träger beschützen sollte. Die generelle Unterentwicklung der militärischen Symbolik bei den Griechen - sie kannten auch keine fahnenartigen Feldzeichen - spricht im Grunde gegen die Annahme, daß es so etwas wie eine uniforme Ausrüstung mit gleichartigen Schilden gegeben hat.

Die relative Unbekanntheit des Symbols erklärt weiter, warum das "Lambda" als politisches Zeichen lange Zeit keine Rolle spielte, obwohl der Sparta-Mythos seit dem Zeitalter der großen Revolutionen erheblichen Einfluß ausgeübt hat. Von den Jakobinern bis zu den Faschisten gab es Versuche, den Kriegerstaat - wegen seiner Egalität hier, wegen des Militarismus dort - zum Verfassungsmodell zu machen. Auf das Lambda wurde aber nirgends zurückgegriffen.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sollte sich das ändern. Damals entstand in den USA eine Homosexuellenbewegung, die trotz erheblicher Schnittmengen mit anderen Subkulturen auch nach eigenständigen symbolischen Ausdrucksformen suchte. Während die Mehrheit für ein "sanftes" Konzept eintrat (Rosa, Regenbogenfahne, gedoppeltes Männlichkeits- oder Weiblichkeitssignet) oder die Opferrolle betonte (rosa Dreieck, das vormals zur Kennzeichnung homosexueller KZ-Häftlinge verwendet worden war), gab es auch eine "martialische" Minderheit, die das Lambda allein oder in Kombination mit anderen Symbolen des "gay pride" verwenden wollte.

1970 wählte die New York Gay Activists Alliance das Lambda als Emblem, und vier Jahre später übernahm es der International Gay Rights Congress in Edinburgh. Danach verbreitete es sich rasch in den westlichen Ländern. Die Interpretation blieb aber uneinheitlich. Sie reichte von der Behauptung, daß es für "Lesbos" stehe, die Insel Sapphos, auf der sagenhafter Weise der gleichgeschlechtliche Eros (der Frauen) gepflegt worden sein soll, bis zum ausdrücklichen Rekurs auf Sparta. Das lag wegen der "dorischen Knabenliebe" als denkbarem Bezugspunkt nahe, jener in Sparta geübten Praxis, der gemäß ein Krieger und ein Heranwachsender auch sexuell ein "Paar" bildeten, das im Kampf wie in der Zeltgemeinschaft zusammengehörte.

Eine solche Traditionslinie widerspricht allerdings dem Selbstverständnis der homosexuellen Mehrheit. Deshalb ist das Lambda das am stärksten umstrittene Symbol der Bewegung, und es gibt massive Versuche, es durch Umdeutung zu neutralisieren (etwa, indem man es mit Bezug auf die Physik der "Wellenlänge" beziehungsweise "Energie" gleichsetzt, oder als Äquivalent für das "L" in "liberation") beziehunsweise aus dem Kreis der "legitimen" Symbole auszuschließen.

Wie auch immer dieser Symbolkampf ausgeht, der Hintergrund läßt vielleicht noch einen anderen Blick auf den Subtext des eingangs erwähnten Films zu, jenseits der Irritation über Waschbrettbäuche und die bizarre Zeichnung des Xerxes.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.


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