© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Die Moderne und das Archaisch
Andreas Krause Landt präsentiert die Kafka-Würdigung des Geisteswissenschaftlers Hans Joachim Schoeps
Wolfgang Saur

Eine erfreuliche Störung des Zeitgeists unternimmt der Landt-Verlag mit der 1930 entstandenen Schrift "Franz Kafka als Ausdruck seiner Zeit. Voraussetzungen und Wesen der tragischen Position" von Hans Joachim Schoeps. Überraschend, weil das geschichts- und existenzphilosophische Pathos des Autors im aktuellen Kontext seltsam fremd wirkt: neben egomanischer Ästhetik, fröhlichem Nihilismus und neoliberalen Zynikern. Der Text konfrontiert uns Postmoderne mit dem dramatischen Selbstverständnis der Zwischenkriegszeit und der frühen Kafka-Rezeption.

Hans Joachim Schoeps (1909-1980) und sein universeller Geist sind legendär. Der jugendbewegte Konservative, leidenschaftliche Preuße und deutschnationale Jude mußte 1938 emigrieren. 1946 kehrte der unbeirrbare Verfechter kultureller Symbiose zurück, lehrte 1947 bis 1978 Religions- und Geistesgeschichte in Erlangen und veröffentlichte eine Vielzahl von Werken zur preußischen Geschichte, zum Judentum und seine fünfbändige "Deutsche Geistesgeschichte" (1977-1980). Schon wenige Jahre nach seinem Tod würdigte ihn eine monumentale Werkausgabe in 16 Bänden (1990-2005).

Nicht enthalten darin ist die hier erstmals publizierte Würdigung Kafkas, ein Zeugnis seiner frühen Beschäftigung mit dem Prager Genie. Bereits 1929 hatte Schoeps den Aufsatz "Die geistige Gestalt Franz Kafkas" vorgelegt, worauf Max Brod ihn zur Mitarbeit am Nachlaß einlud. So erschien 1931 ein gemeinsam edierter Band mit Erzählungen Kafkas seit 1917. Der theologische Kommentar darin transportiert Schoeps' wesentliche Gedanken. In diesem Umfeld entstanden, zeitgleich mit seiner Dissertation "Jüdischer Glaube in dieser Zeit" (1932), die sechs Kapitel der vorliegenden Schrift. Sie blieb Fragment und wurde auch nach 1945 nicht vollendet. Doch bekräftigte Schoeps' Aufsatz von 1951, "Theologische Motive in der Dichtung Kafkas", noch einmal den religiösen Blickpunkt.

Der markiert das frühe Verständnis Kafkas generell. Freilich haben dessen hermetische Poesie und absurde Imagination die unterschiedlichsten Deutungen provoziert. Sie brachten nacheinander religiöse, existentialistische, surrealistische, psychoanalytische, soziologische, marxistische und formalistische Aspekte ins Spiel. Der theologische Blick nun richtet sich bei Kafka auf jüdischen Ursprung und moderne Existenz. Schoeps' Diskurs steht dabei im Zusammenspiel von Diltheys Geschichtsdenken, Phänomenologie, Existenzphilosophie und dialektischer Theologie.

Der Horizont zeichnet die Entwicklung tragischer Personalität nach, von Pascal zu Kierkegaard und in die heillose Gegenwart hinein - in der "nichts Festes da ist, kein unbezweifelbar Absolutes, kein Halt, der jeder Erfahrung und jedem Denken standhielte" (Jaspers). Schoeps bestimmt das "Daseinsverständnis des Extremisten Franz Kafka in der Grenzsituation" als menschliche "Geworfenheit in eine sinnlose Welt (...), die von dämonischen Mächten und unheimlichen Gewalten hin- und hergeworfen wird". Gleich Margarete Susman ist ihm "die absolute Transzendenz Gottes in seiner gegenwärtigen Verborgenheit zur absoluten Entfremdung geworden".

In Differenz zu deren eloquentem Essay indes gibt Schoeps sperrige Fachphilosophie. Er unternimmt es, Themen wie die "Formbetrachtung des Gegenstands", die "Struktur des immanenten Sachverhalts" oder das "Wesen der Grenzsituation" systematisch zu bestimmen. Sehr zum Nachteil. Aufgefahren wird der ganze Begriffsapparat der Phänomenologie, was die Gedankenführung teils in verschrobenem Jargon erstickt und begriffliche Stilblüten produziert.

Überzeugender der geschichtsphilosophische Teil, der Säkularisierung als Seinsverfall deutet und die kulturkritischen Themen seit der Romantik komprimiert. Grundlegend ist dabei das Entzweiungsmotiv, das modernen Wandel als "transzendentale Obdachlosigkeit" begreift: "An die Stelle charismatischer Autoritäten treten von der autonomen Gesellschaft gesetzte normative Ideenpostulate säkularer Natur. Diese aber haben keine das Dasein transzendental integrierende und mit Sinn erfüllende Kraft mehr, sondern nur noch eine sozialvernünftige Funktion, Regulative (...) zu sein."

Anthropologisch bestimmt Schoeps diese Situation als Gottesverlust, Duverlust und Selbstverlust. Theologisch ist ihm Kafkas düstere Symbolwelt die negative Aktualisierung des jüdischen Offenbarungsverständnisses. Wenn das gläubige Bewußtsein das Gesetz Gottes nicht mehr vernehmen und in der Zeit erfüllen kann, "werden die Schöpfungsordnungen unerkennbar und (...) sind keine Zeichen des Gotteswillens mehr auffindbar". Dieser Heilsentzug läßt nur eine schwache Erinnerung zurück. Sie transportieren die Mythen. So entsteht im jüdischen Fall der "Mythos der Gerechtigkeit" als "die Kehrseite des Lebens unter dem Gesetz, die ständige Form jüdischen Gerechtigkeitsringens um (...) Gott, das um so verzweifelter wird, je (...) ungreifbarer Gottes Rechtsetzung in der Welt".

Der Gedanke schlägt einen Bogen zu aktuellen ethischen Debatten und dem Zusammenhang von Judentum und Moderne. Schon deshalb zieht die vorliegende Kafka-Schrift unser Interesse auf sich. Ihr Autor, großer Gelehrter und konservativer Denker im letzten Jahrhundert, bleibt eine lebendige Figur der geschichtlichen Welt.

Hans Joachim Schoeps: Der vergessene Gott. Franz Kafka und die tragische Position des modernen Juden. Landt Verlag, Berlin 2006, gebunden, XXIX und 160 Seiten, 24,90 Euro

Foto: Hans Joachim Schoeps in den 30er Jahren: Unbeirrbarer Verfechter kultureller Symbiose


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