© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

Nach ihm die Moderne
Ausstellung: In Leipzig wird Max Klinger als Ideengeber präsentiert
Ekkehard Schultz

Der 150. Geburtstag des Malers und Bildhauers Max Klinger stellt Interessenten in diesem Jahr im buchstäblichen Sinne vor die Qual der Wahl. Denn nach Braunschweig und Karlsruhe zu Beginn des Jahres werden nun bald in raschem Wechsel Klinger-Ausstellungen in Chemnitz, Zwickau, Naumburg/Großjena, Berlin und schließlich auch noch Köln und Aachen um die Gunst des Publikums wetteifern.

Damit ist es um so wichtiger, ein möglichst klar abgrenzbares Profil zu entwickeln. Dies dürfte der Präsentation "Eine Liebe. Max Klinger und die Folgen" im Museum der bildenden Künste in Leipzig gut gelungen sein. Denn hier ist zwar der am 18. Februar als Sohn der Messestadt Geborene mit rund 40 Werken vertreten. Doch den größten Teil der Ausstellung markieren die rund 300 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken von Klinger-Schülern und Rezipienten. Sie sollen einen kleinen Einblick in die Fragestellung ermöglichen, wie viele Zeitgenossen und Nachfahren von Klingers Kunst inspiriert und beeinflußt wurden.

Die Gesamtpräsentation gliedert sich in sechs Themenbereiche. Im Mittelpunkt jedes Teiles stehen wenige, besonders charakteristische Gemälde Klingers. Um diese herum werden die Werke mit vergleichbarem Schwerpunkt anderer Künstler ausgestellt. Damit sie der Besucher bereits auf den ersten Blick unterscheiden kann, befinden sich die Klingerschen Originale auf Trennwänden mit rötlicher Farbe, der gesamte Rest auf Wänden mit beigem Ton.

Im ersten Teil, der die Überschrift "Träume und Alpträume" trägt, wird die Wechselbeziehung zwischen Wirklichkeit und Traum thematisiert. Klinger beschäftigte diese dunkle Seite des Lebens sehr stark, und so setzte er sich intensiv mit geeigneten Formen der Visualisierung von Angstträumen im Zustand zwischen Schlafen und Wachen auseinander. Von diesen Vorgaben wurden unter anderem der gebürtige Theresienstädter Maler und Grafiker Alfred Kubin, Richard Müller, Paul Klee, Max Slevogt, aber auch Salvador Dalí beeinflußt.

Ebenso faszinierte die Fähigkeit Klingers, in einem Bild eine ganz bestimmte Stimmung festzuhalten, die es von anderen unterscheidbar macht, zahlreiche Künstlerkollegen seiner Zeit. Klinger verstand es, ein Spannungsfeld zwischen einer Landschaft, welche als Spiegel der Gefühle dient, und einer Frauengestalt zu entwickeln, welche seelische Zustände symbolisiert. Aus einem Meisterwerk wie "Die blaue Stunde" (1890) entnahmen etwa Ludwig von Hofmann, Georg Kolbe, Heinrich Vogeler und Oskar Zwintscher wichtige Anstöße.

Zeit seines Lebens faszinierten Klinger starke Frauen, die aufgrund ihres Aussehens und ihres Intellekts Anziehung und Bedrohung zugleich symbolisieren. Von besonderer Eindringlichkeit sind die Porträtierungen seiner eigenen Lebensgefährtin, Elsa Asenijeff, welche diesen Typ in klassischer Weise verkörperte. Für Künstler wie Otto Greiner, Bruno Heroux und Edvard Munch, welche die Darstellung der starken Frau ebenfalls in den Mittelpunkt stellten, war dies ein wichtiger Bezugspunkt. Ähnlich prägend wirkten die Frauen-Vorlagen Klingers für Gustav Klimt, Felicien Rops und Oskar Kokoschka.

Eine besondere Rolle im Gesamtwerk Klingers spielen seine Nacktdarstellungen. Klinger wich hier mit seinen kraftvoll-athletischen Männerkörpern und vollschlank-hüftstarken Frauenakte deutlich von historischen Schönheitsvorstellungen ab und kreierte statt dessen ein eigenes, eher zeitgerechtes Körperideal. Zudem etablierte er eine "Leipziger Schule des nackten Körpers", zu deren Protagonisten untere anderem Bruno Heroux, Fritz Zalisz, Hans Soltmann, Erich Gruner und Alfred Frank zählten. Ebenso stark beeinflußt wurden von Klingers Nacktideal Georg Kolbe, Max Beckmann oder Hugo Höppner (Fidus).

Auch die Auseinandersetzung mit dem Tod war ein zentraler Bestandteil der Werke Klingers. Darin sind Einflüsse seiner Schopenhauer-Lektüre nachweisbar wie zum Beispiel in "Der Tod als Heiland " (1888/89), aber auch christliche Heilsvorstellungen. Stark geprägt wurden davon z. B. Richard Müller, Otto Thämer oder Josef Fritz Zalisz. Aber auch auf dem Gebiete der genauen Erfassung sozialer Wirklichkeit setzte Klinger Maßstäbe. Sein Streben nach genauer Wiedergabe der Schauplätze und seine wirklichkeitsgetreue Darstellung der Handlungen übte eine Vorbildfunktion auf das Schaffen Käthe Kollwitz' oder Hans Baluscheks aus.

Das Fazit, daß Klinger eine zentrale Rolle im Kunstschaffen des späten 19. Jahrhunderts wie auch des 20. Jahrhunderts weit über die Grenzen Deutschlands hinaus spielte, kann die Leipziger Präsentation in vollem Maße belegen. Vertreter des Symbolismus, des Surrealismus, des Naturalismus und des Jugendstils fanden in ihm einen wesentlichen Ideengeber. Und auch heutigen Zeitgenossen hat Max Klinger - über den Franz von Stuck 1917 das Urteil fällte, er sei "immer der bedeutendste und interessanteste unter den Künstlern Deutschlands gewesen" - noch viel zu sagen: Dies wird in Leipzig nicht zuletzt durch die Palette aktuelle Werke regionaler Künstler zum Thema "Klinger im Sinn" deutlich, darunter auch des momentan wohl prominentesten Vertreters Neo Rauch.

Bild: Max Klinger, "Die Sirene" (auch: Triton und Nereide), Öl auf Holz, 1895: Zeitgerechtes Körperideal

Die Ausstellung "Eine Liebe. Max Klinger und die Folgen" ist bis zum 24. Juni im Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstr. 10, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi 12-20 Uhr, zu sehen. Internet: www.mdbk.de. Zur Ausstellung ist ein mehrfarbiger Begleitband mit 352 Seiten erschienen.


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