© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

Macht ohne Rechenschaft
Irene Strenges Annäherung an Reichskanzler Kurt von Schleicher kann das getrübte Bild kaum korrigieren
Stefan Scheil

Ewig aktuell ist der Streit darüber, ob es im Januar 1933 nicht auch hätte anders kommen können. Mußte es wirklich eine Regierung Hitler sein, die Reichspräsident Hindenburg letztlich ernannte, konnte man nicht die kritische Zeit weiterhin mit Zwischenlösungen anderer Art überbrücken, bis andere Mehrheiten die Republik regieren könnten?

Hier kommt der Name Kurt von Schleichers ins Spiel, der in den zwanziger Jahren als General der Reichswehr eine rege politische Aktivität entfaltete und schließlich Hitlers unmittelbarer Vorgänger im Amt des Reichskanzlers wurde. Seine ungewöhnliche Laufbahn stellt ihn häufig in den Mittelpunkt der Debatten über das Ende der Weimarer Zeit, und zwar meistens kritisch. Man warf ihm regelmäßig vor, intrigant gewesen zu sein, opportunistisch, antidemokratisch und politisch unklug. Irene Strenge will jetzt dieses negative Image Schleichers teilweise revidieren: Er habe ein klares Konzept gehabt, die Weimarer Republik umzugestalten, und eine Reichsreform auf "kaltem Weg" vorangetrieben. Um Arbeit zu schaffen und einen Bürgerkrieg zu vermeiden, habe er schließlich das Querfront-Projekt Günther Gerekes gefördert, das unter anderem ein Zusammengehen mit den linken Teilen der NSDAP vorsah.

Was die von Schleicher angepeilte Reichsreform betrifft, so schießt die Autorin mit ihrer Darstellung ein klassisches Eigentor. "Die Verfassung war Schleicher letztlich gleichgültig", räumt sie bald freimütig ein. Wichtig sei ihm nur "die Struktur Reichspräsident plus Wehrmacht als Garant der Staatsautorität" gewesen. Da Strenge gleichzeitig nachweist, wie Schleicher mit seiner Einflußnahme auf die Wahl Paul von Hindenburgs die Absicht verfolgte, das Amt des Präsidenten nach Person und Amtsführung manipulieren zu können, bleibt kein anderer Schluß als der, daß Schleicher letztlich eine indirekte Militärdiktatur unter seiner Führung erreichen wollte. Schleicher wehrte sich gegen diesen Vorwurf und wies den Diktaturbegriff zurück, doch ließ er zugleich keinen Zweifel an seiner Überzeugung, die politischen Fäden in Deutschland hätten in seiner Hand zusammenzulaufen, von oben wie von unten.

Zwar reihte sich Kurt von Schleicher mit seiner Gleichgültigkeit gegenüber der Verfassung damals nur in eine lange Reihe ein. Dies war seiner Stellung als Offizier, der einen Eid auf diese Verfassung geleistet hatte, jedoch besonders wenig angemessen. Ein Offizier, der gegen den Geist seines Eides auf hoher Ebene politisierte und sich selbst über die Verfassung stellte, war in Deutschland etwas Ungewöhnliches und Neues. Schleicher erkannte hier einen Unterschied zwischen sich und Paul von Hindenburg. Vor dessen Wahl sah er bei allen Vorteilen eines Präsidenten Hindenburg Schwierigkeiten voraus, da Hindenburg aus religiösen Gründen seinen Amtseid sehr ernst nehmen würde. In der Tat zeigte sich Hindenburg entschlossen, den einmal geleisteten Eid auf die Weimarer Verfassung - bei Gott - auch zu halten, selbst als er in seiner Umgebung damit fast alleine stand. Schleicher dagegen zeigte sich tief geprägt von der Revolutionsphase und glaubte an den Ausnahmezustand nicht nur als Mittel zur Rettung vor dem absoluten Chaos und der Versorgung der Bevölkerung. Was 1919 gelungen war, galt ihm als Muster für künftige Zeiten, ohne daß er sich über die Legitimität der vom Militär ausgeübten Macht letztlich Rechenschaft ablegte.

Strenge versucht sich deshalb vergeblich an einer genaueren Definition der von Schleicher des öfteren beschworenen Begriffe "Staatsidee", "Regierungsgewalt" und "Staatsautorität". Letztlich bedeutete das alles kaum mehr als die Stützung gegenrevolutionärer Kräfte notfalls mit den Bajonetten der Reichswehr, inklusive der Definitionsmacht der Reichswehr in Person Kurt von Schleichers darüber, wer in welcher Phase als revolutionäre Kraft zu behandeln und gegebenenfalls zu zerschlagen sei. Obwohl Schleicher mit dem Hinweis: "Auf Bajonetten sitzt es sich schlecht", einen permanenten Ausnahmezustand als unmöglich zurückwies, läßt Strenges Darstellung keinen Zweifel, daß er eine permanente Einflußnahme der Reichswehrführung auf das politische Gefüge für wünschenswert hielt.

Daraus hätte vielleicht eine deutsche Variante des türkischen Kemalismus resultieren können, in dem die Armee die Politik an die Kette der Ideale des Staatsgründers legt und gelegentlich bewaffnet eingreift. Allein: den Staatsgründer gab es nicht, den Schleicher als Vorbild akzeptiert hätte. So blieb der wendige General allein. Er riß 1932 mit dem "Preußenschlag", der Entmachtung der dortigen SPD-Regierung und der Vereinigung Preußens mit dem Reich, geradezu symbolisch die vom Preußentum gezogenen formalen Dämme ein. Als es ihm dann nicht gelang, Hitler dauerhaft für sich einzuspannen oder ersatzweise andere Teile der NSDAP im Rahmen einer Querfront zu manipulieren, blieb dem bis zuletzt wenig begeisterten Hindenburg kaum noch etwas anderes übrig, als den Chef der weitaus größten deutschen Partei zum Kanzler zu machen.

Man gewinnt auch durch Irene Strenges Studie kaum ein verändertes Bild von Schleicher. Er gehörte zu den Totengräbern der Weimarer Verfassung. Seine Aktionen haben dazu beigetragen, daß so viele Deutsche das Verschwinden von Parteien und politisierenden Generalen 1933 als "nationale Erhebung" verstanden.

Irene Strenge: Kurt von Schleicher - Politik im Reichwehrministerium am Ende der Weimarer Republik, Duncker & Humblot, Berlin 2006, broschiert, 242 Seiten, 32 Euro

Foto: General und Reichskanzler Kurt von Schleicher (1882-1934): Für eine deutsche Variante des türkischen Kemalismus


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