© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

"Ihr Versager, tretet zurück"
Israel: Ein kritischer Untersuchungsbericht über den Libanon-Krieg bringt die Regierung Olmert in arge Bedrängnis
Oren Geller

Am Nachmittag des 30. April explodierte in Israel eine politische Bombe. Während der darauffolgenden Woche waren Premier Ehud Olmert und dessen Gefolge mit der Beseitigung der Scherben und Rückstände beschäftigt. Eine Woche später hat es der Kadima-Chef geschafft, fast sämtliche Folgen der Explosion zu verwischen. Angefangen hat es mit der Vorlage des Teilberichts der Winograd-Kommission. Diese wurde zwar von der israelischen Regierung eingesetzt, sie kam aber nur unter Druck zustande. Sie soll die Kampfhandlungen während des Libanon-Krieges und die damit verbundenen Entscheidungsprozesse im Sommer 2006 überprüfen. Ihr endgültiges Fazit steht noch aus.

Keine reale Alternative in Betracht gezogen

Sämtliche Fernsehsender des Landes unterbrachen ihr reguläres Programm, um die Ansprache des Vorsitzenden Eliahu Winograd live schalten zu können. Da zwei Tage zuvor vermeintliche Auszüge dieses Gutachtens an die Öffentlichkeit gelangten, rechneten Kenner mit einem nicht ganz so harschen Bericht. Als der ehemalige Richter mit monotoner Stimme die Ergebnisse vorlas, fiel die Kritik aber um einiges heftiger aus. So versagten auch alle Vorkehrungen von Olmerts Stab, da dieser eine Verteidigung aufgebaut hatte, die den nun bekannten Vorwürfen nichts entgegenzusetzen hatte. In den ersten 24 Stunden nach dem Bericht wartete man somit vergebens auf Reaktionen von Olmert.

Im dem Bericht kommt das Wort "Versagen" 47 Mal vor. Es wendet sich hauptsächlich gegen Olmert, den das Gremium als Hauptverantwortlichen benennt: "Wir befinden, daß der Ministerpräsident persönlich und ministeriell für die unzulänglichen Entscheidungen und ebenso für die mangelhafte Entscheidungsfindung zur Verantwortung gezogen werden muß. Der Premier hat sich eine Meinung gebildet, ohne daß ihm ein detaillierter Plan vorlag. Auch bestand er nicht darauf, daß ihm ein solcher vorgelegt wird. Aus diesem Grund konnte er die Einzelheiten nicht analysieren und genehmigen. Darüber hinaus verlangte er keine reale Alternative in Betracht zu ziehen und legte keine Skepsis dem Militär gegenüber an den Tag. Darin ist sein Versagen zu sehen."

Aber auch die beiden anderen Teile der Führungstroika, Verteidigungsminister Amir Peretz (Chef der sozialdemokratischen Arbeitspartei/Awoda), und der ehemalige Stabschef Dan Haluz, kommen nicht ungeschoren davon. Dem Ex-Gewerkschaftschef Peretz bescheinigt die Kommission, daß es gerade "sein Unwissen und seine unreichende Erfahrung waren, die ihn zum Scheitern gebracht haben". Über den aufgrund des Ausgangs des letzten Krieges bereits zurückgetretenen General ist zu lesen: "Das Versagen des Stabschefs ist darin zu sehen, daß dieser nicht ausreichend vorbereitet war, daß er die politische Führung nicht auf die Komplexität der Lage hingewiesen und ihr nicht die nötigen Informationen und Pläne zugänglich gemacht hat (...), was eine bessere Bewältigung gewährleistet hätte."

Nach der Bekanntgabe des Berichts begann das Messerwetzen. Olmert kündigte an, sein Amt nicht niederlegen zu wollen, denn "nur wer Fehler gemacht hat, kann diese auch wieder korrigieren". Indes meldeten sich kritische Stimmen aus der Regierung, die Olmerts Rücktritt forderten. So legte der Minister ohne Ressort Eitan Kabel (Awoda) sein Amt nieder. Er könne nicht weiter einer Regierung angehören, die vom Hauptleidtragenden des Fiaskos vom letzten Sommer geführt wird, so der Ex-Minister.

Derweil fiel Olmerts Zustimmung unter den Wählern noch weiter. Und am Donnerstag versammelten sich in Tel Aviv an die 150.000 Bürger, die den Rücktritt des Premiers forderten. Bei dieser Großdemo, in der zum ersten Mal national gesinnte Siedler zusammen mit linken Friedensaktivisten auf die Straße gegangen sind, wurden Politiker jedweder Couleur bewußt ausgeladen, da man nur so eine breite Koalition gegen Olmert und dessen Verteidigungsminister schmieden konnte. Die Botschaft der versammelten Demonstranten war somit auch denkbar einfach: "Versager, tretet zurück!" Aber auch diese Bekanntgabe des Bürgerwillens konnte keinen Wind in die Segel des Umsturzversuches blasen, der sich in der liberalkonservativen Regierungspartei Kadima anbahnte.

Größter Nutznießer ist Oppositionsführer Netanjahu

Die Putschführung übernahm Außenministerin Tsipi Liwni, die als populärste Kadima-Figur gilt und der die Umfragen als einziger wohlgesonnen sind. Der Koalitionsführer Avigdor Jitzchaki legte sein Amt zwar unter schrillem Protest nieder, und auch von der hintersten Regierungsbank waren einige Rücktrittsaufforderungen zu hören, was dem Unternehmen aber alles nichts brachte.

Liwni versuchte die restlichen Minister ebenfalls auf ihre Seite zu bringen, jedoch scheiterte die 48jährige an der jahrzehntelangen Politikerfahrung des Premiers. Dieser manövrierte geschickt, brachte alle Kadima-Abgeordneten persönlich und einzeln auf Linie und nutzte besonders den Unbill anderer Minister Liwni gegenüber aus, da diese ebenso auf die Erbschaft Olmerts schielen und aus der öffentlichen Demontage Liwnis politischen Nutzen zu ziehen hoffen. So schloß sich der 86jährige Friedensnobelpreisträger Schimon Peres (Ex-Awoda, inzwischen Kadima) nicht der Rebellion an, weswegen der Ex-Premier ebenfalls als Olmert-Nachfolger in Betracht zu ziehen ist.

Größter Nutznießer der Ränkespiele ist hingegen Oppositionsführer Benjamin Netanjahu. Während des zweiten Libanon-Krieges erledigte der als "Falke" geltende Chef des konservativen Likud die "Auslandsaufklärung" in den englischsprachigen Medien. Ansonsten verpaßte er sich einen Maulkorb - den er erst letzte Woche ablegte. Während der Plenarsitzung bezüglich der Winograd-Kommission rief der Ex-Premier (1996-1999) zu vorgezogenen Neuwahlen auf, aus denen Umfragen zufolge seine Partei als Siegerin hervorginge.

Die Kadima verlöre aber zwei Drittel ihrer Sitze, weswegen dies für alle Koalitionspartner momentan keine Option ist - zumal die Awoda Ende diesen Monats ihren Parteivorsitzenden wählt und Peretz den Vorsitz nicht halten wird. Dessen potentieller Nachfolger hat bereits angedeutet, die Koalition aufkündigen zu wollen.

Premier Olmert scheint aus dem innerparteilichen Machtkampf zunächst als Sieger hervorgegangen zu sein. Doch zu bedenken ist dabei, daß der Hauptteil des Winograd-Berichts erst in zwei bis drei Monaten vorgelegt wird - und die in ihm angeschlagene Tonlage wird sich garantiert nicht verbessern.

Der Winograd-Teilbericht in englischer Version im Internet: www.vaadatwino.org.il/pdf/press%20release%20april%2030-yd-final.pdf 


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