© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

Geschichte aus der Mitläufer-Perspektive
Laßt mir meine Mauer stehen: "Parteidiktatur und Alltag in der DDR" im Deutschen Historischen Museum
Ekkehard Schultz

Der Historiker Hubertus Knabe betrachtet als einer von wenigen seines Fachs die Geschichte der SED-Diktatur in erster Linie aus der Perspektive ihrer Opfer. Dafür mußte der Leiter der Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen in den vergangenen Jahren viel Kritik einstecken, obwohl dieser Standpunkt bei der Behandlung anderer Diktaturen der deutschen Geschichte nichts Außergewöhnliches ist, sondern vielmehr als Auffassung der Mehrheit gelten kann.

Doch wenn es um die DDR geht, ist Knabes Perspektive weit entfernt von einer Selbstverständlichkeit: Denn nicht nur in Zeitungskommentaren, Leserbriefen und in Internetforen, sondern auch in der Geschichtswissenschaft haben in den letzten Jahren jene Stimmen massiv an Gewicht gewonnen, welche dafür plädieren, die SED-Diktatur weniger aus der Perspektive der politischen Gefangenen sowie anderer gesellschaftlicher Opfer dieses Staates zu betrachten, sondern den Alltag der "Normalbevölkerung" stärker in den Mittelpunkt rücken. Gemeint ist jene Masse, die bei aller Kritik an sekundären Fragen doch grundsätzlich in der DDR eine Heimat sah und sich dementsprechend weitestgehend mit dem System arrangierte.

So entstand im vorigen Jahr im Zentrum Berlins ein "DDR-Museum" (JF 30/06), wo man seither zwar Radios und Fernseher aus volkseigener Produktion betätigen, Dederonhemden berühren und sich auf der Couch mit zeittypischer Siebziger-Jahre-Musterung lümmeln kann. Nicht im mindesten nachvollziehen hingegen kann man die schreckliche Verzweiflung einer Mutter, deren Sohn bei der versuchten Flucht von Deutschland nach Deutschland erschossen wurde. Die Lektüre von Atze, Frösi und Für Dich erscheint in diesem rekonstruierten Reich wichtiger als die Empathie gegenüber Menschen, die bei Zwangsmaßnahmen wie der Aktion "Ungeziefer" ihre angestammte Heimat verlassen mußten, nur weil sie dem Staat als nicht "fortschrittlich" genug galten. Und die flächendeckende Bespitzelung des MfS wird zum lustigen Kinderspiel, wenn der Besucher im Kapitel "Staatssicherheit" die Möglichkeit erhalten, kurze Ausschnitte anderer Besucher der Ausstellung unter Kopfhörern zu belauschen.

"Fragen für Jugendliche" wie aus einem DDR-Schulbuch

Um so bedenklicher stimmt es, daß dieses fragwürdige Geschichtsbild auch in großen Teilen der aktuellen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) "Parteidiktatur und Alltag in der DDR" keinen Gegenpart erhält. Vielmehr folgt die Präsentation sowohl im Aufbau als auch inhaltlich den Vorgaben des DDR-Museums. Gegliedert ist "Parteidiktatur und Alltag" nach dem sogenannten Inselmodell. Hier werden zunächst Schwerpunkte des Themas gebildet und dargestellt, eine chronologische Aufgliederung entfällt. Solche Inseln sind beispielsweise "Planwirtschaft", "Frau und Arbeit", "Stasi", "SED", Kampfgruppen", "Auszeichnung", "Frau und Familie", "Alter", "Erziehung", "Volkspolizei" oder "Wehrdienst /Bausoldaten". Dabei sollen jene Seiten der Inseln, die stärker ins Zentrum der Räume ragen, das darstellen, was die Menschen in der SED-Diktatur in direkter Form in ihrem Leben berührte. Die in Richtung der Wände angeordneten Teile der Ausstellung zeigen dagegen, was in erster Linie nur die höhere Politik und den Staat betraf.

Ob eine solche Gliederung sinnvoll ist, muß allerdings stark bezweifelt werden. Denn die klassische Trennung von Öffentlichkeit und Privatem existierte in der DDR nicht. Zwar ist es richtig, daß trotz der ständigen Ausweitung des Bespitzelungsapparates (die Birthler-Behörde zählt insgesamt Akten zu über vier Millionen Personen!) ein flächendeckendes Eindringen in das letzte Rückzugsgebiet vieler Bürger - den Privatraum - dem SED-Regime bis zu seinem Ende nicht gelang. Doch tatsächlich wurde der formale Anspruch des Staates, schon die Jüngsten aus dem familiären Kontext zu reißen und in staatlich organisierten Gemeinschaften nach seinem Willen zu formen, nie aufgegeben.

Die Ausstellungsobjekte von "Parteidiktatur und Alltag" stammen nahezu komplett aus den Eigenbeständen des DHM, zum größten Teil aus den einstigen Sammlungsbeständen des Museums für deutsche Geschichte in der DDR. Daß diese Bestände große Schätze vor allem im Bereich der Propagandakunst bergen, wurde in zahlreichen Ausstellungen des DHM seit der ersten Schau zum Kalten Krieg von 1993 immer wieder unter Beweis gestellt. Und so finden sich unter den jetzt präsentierten rund 540 Exponaten zahlreiche sehr interessante und selten gezeigte Stücke wie ein SED-Agitationsplakat von 1954, welches auf die Ereignisse des 17. Juni 1953 Bezug nimmt, sowie zahlreiche Schilder aus Kasernen der ehemaligen sowjetischen Besatzungsmacht.

Allerdings erfordert die Dominanz von Propagandaobjekten, deren Aussagen nur auf einem Bruchteil der Erklärungen hinterfragt werden, aber auch vollkommen unpolitisch erscheinenden Alltagsobjekten ein hohes Maß an kritischem Reflexionsvermögen der Besucher. Da die Ausstellung des DHM jedoch ausdrücklich als Angebot für Schulklassen empfohlen wird, welche diesen Themenschwerpunkt im Unterricht behandeln, wäre ein besonderer pädagogischer Zugang notwendig.

Dieser erscheint jedoch im Hinblick auf die häufig unter den Objekten befindlichen "Fragen für Jugendliche" zumindest zweifelhaft. So steht unter einem DDR-Plakat von 1964 mit der Parole "Dank Euch, ihr Sowjetsoldaten. 8. Mai. Tag der Befreiung" und der Darstellung eines zerschlagenen Hakenkreuzes gefragt, "wofür ... den sowjetischen Soldaten in der DDR gedankt" werde. Daß allein der Begriff der Befreiung an sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Facetten aufweist, wird auf diese Art und Weise von Beginn an ausgeblendet. Auch Fragen wie "Warum gratulieren die 'Thälmannpioniere' und 'FDJler' den Schulanfängern?" könnten einem DDR-Lehrbuch entstammen - als Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung sind sie eher ungeeignet.

Mögliche Vorbilder aus den Reihen der Opposition werden in "Parteidiktatur und Alltag" den Heranwachsenden nicht vor Augen geführt. Im Mittelpunkt stehen die Mitläufer. Und so verwundert es nicht, daß am Ende der Ausstellung ein heutiger Rentner zu Wort kommt, nach dessen Auffassung die Mauer "stehenbleiben konnte, nur etwas durchlässiger". Ein Zufall?

Die Ausstellung ist bis zum 29. Juli im Deutschen Historischen Museum, Ausstellungshalle von I. M. Pei, Hinter dem Gießhaus 3, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 203 04-444

Foto: Kranfahrerin im Kirow-Werk (um 1970), Plakat mit der Aufforderung zum Eintritt in die LPG (1958): Überall Propagandaobjekte


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