© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

Ode an die Tradition
Liturgie: Martin Mosebachs "Häresie der Formlosigkeit" in einer Neuauflage
Thorsten Thaler

Der Unterschied zwischen einem Buch, das man öfter lesen kann, und einem, das man immer wieder lesen will, ist der Unterschied zwischen einem guten und einem großartigen Buch. Martin Mosebachs Textsammlung zum Verfall der Tradition in der katholischen Kirche infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils ist letzteres. Deswegen ist es ein Glücksfall, daß Mosebachs Hausverlag Hanser, München, den Band "Häresie der Formlosigkeit", erstmals 2002 im Wiener Karolinger Verlag erschienen (JF 50/02; 13/03), jetzt in einer erweiterten Neuauflage abermals herausgebracht hat.

Die Sammlung umfaßt dreizehn Texte, die zumeist als Vorträge und Reden gehalten sowie in verschiedenen Zeitungen bzw. Zeitschriften veröffentlicht wurden. Neu dazugekommen gegenüber der ersten Ausgabe sind drei Beiträge und ein Nachtrag, insgesamt mehr als ein Drittel. Die Argumentationskette ist dicht, die Sprache elegant und stilsicher. Gut gewählt ist auch der Zeitpunkt der Neuveröffentlichung. Seit Monaten wird in der katholischen Welt über ein Dekret des Papstes spekuliert, ein Motu proprio, das die traditionelle lateinische Messe wieder allgemein zuläßt. Benedikt XVI. will offenbar - allen Widerständen gerade auch aus Deutschland zum Trotz - den auf das Jahr 1570 zurückgehenden alten Ritus vollständig freigeben. Für die katholische Kirche wäre das ein Vorgang von ungeheurer Tragweite, ja geradezu historischer Dimension.

Von progressiver Seite immer wieder wegen ihres Festhaltens an vermeintlich überholten Traditionsbeständen angegriffen, hat in Wahrheit die Überlieferung auch in der katholischen Kirche einen schweren Stand. Längst hat das vor gut vierzig Jahren während des letzten Konzils in Rom selbst ausgelegte Gift der Zersetzung seine Wirkung entfaltet. So sehen Traditionalisten in der wenige Jahre nach dem II. Vaticanum erfolgten förmlichen Abkehr von der alten Liturgie durch die von Papst Paul VI. angeordnete neue Meßordnung eine der wichtigsten Ursachen für jene heutige Glaubenskrise, die auch der katholischen Kirche zu schaffen macht.

An diesem Punkt nun setzt Martin Mosebach an. Dabei wendet er sich mit seiner Ode an die Tradition und Überlieferung nicht allein an Katholiken, ja, man muß nicht einmal Christ sein, um die einzelnen Aufsätze mit Gewinn zu lesen. Insofern wäre es schade, wenn Nicht-Katholiken und Atheisten dem Irrtum aufsäßen, sie ginge das Thema des Buches nichts an. Nicht von ungefähr zitiert Mosebach in seinem einleitenden Text "Ewige Steinzeit" den französischen Intellektuellen Charles Maurras mit dessen Ausspruch "Ich bin Atheist, aber ich bin natürlich Katholik."

Dem gläubigen Katholiken Mose-bach kommt es zunächst auf das Katholische gar nicht an. Freimütig bekennt er sich zu jener Denkschule, die aus der Oberfläche, der äußeren Erscheinung auf die innere Beschaffenheit und womöglich Wahrheit oder Verlogenheit einer Sache schließt. "Die Lehre von den 'inneren Werten', die sich in schmutziger, verkommener Schale verbergen, kommt mir nicht geheuer vor. Daß die Seele dem Körper die Form und das Gesicht, seine Oberfläche verleiht, glaubte ich schon, als ich noch nicht wußte, daß dieser Satz eine Definition des kirchlichen Lehramtes war", schreibt Mose-bach. Eine unwahre, verlogene, gefühllose Sprache könne keinen Gedanken von Wert enthalten, und was für die Kunst gelte, müsse in noch viel höherem Maße das öffentliche Gebet der Kirche treffen. Denn: Wo das Häßliche sonst nur auf das Unwahre schließen lasse, bedeute es in der Religion "die Anwesenheit des Satanischen".

Daß Mosebach sich mit dieser ästhetischen Sichtweise angreifbar macht, ist ihm bewußt, kümmert ihn aber gottlob nicht. Das muß es auch nicht. Was er an Beispielen über die geistigen und geistlichen Verheerungen innerhalb der Kirche zusammengetragen hat, spricht für sich selbst. Mosebach vergleicht das nachkonziliare Zerstörungswerk mit der nachreformatorischen Bilderstürmerei, und er verweist darauf, daß die Liturgiereform nicht zufällig ins "Achsenjahr" 1968 fällt - das Jahr der Studentenrevolten (nicht nur in Deutschland) ebenso wie des Beginns der chinesischen Kulturrevolution mit ihrer Verwüstung von Tempeln und Kunstschätzen.

Die jahrhundertealte katholische Messe sieht Mosebach als etwas Vorgegebenes, Offenbartes, Ewiges, als überzeitliches Mysterium, das seine ganz eigene geheimnisvolle Kraft entfaltet. Man muß als Teilnehmer einer Heiligen Messe nach altem Ritus nicht jedes Detail liturgischer Handlungen kennen und verstehen. Worauf es ankommt, ist das Eintauchen in eine andere Welt: in das Reich der Wirklichkeit.

Beim Blick in die Ferne wird Mose-bach allerdings eher skeptisch gestimmt. "Das Zukunftsmodell der christlichen Religion scheint, von heute aus betrachtet, die nordamerikanische Sekte zu sein, das schrecklichste Gesicht, das die Religion auf der Welt angenommen hat." Sagt ein katholischer Traditionalist.

Martin Mosebach: Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind. Carl Hanser Verlag, München 2007, gebunden, 256 Seiten, 21,50 Euro


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