© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

Eurovision Song Contest: Skandale beleben das Geschäft
Sieben, sieben, ai lu lu!
Anni Mursula / Curd-Torsten Weick

Wer kann sich nicht an die Sieger des letzten Eurovision Song Contest erinnern? Die Monster-Rocker Lordi aus Finnland stachen mit ihren Masken aus der Masse hervor - und gewannen. Denn die Band, deren Mitglieder eher an Fantasy-Figuren erinnern als an Musiker, war im besten Sinne des Wortes unangepaßt in der Glitzer-Glamour-Welt des Wettbewerbs. Und sie hatten den anderen Kandidaten eins voraus: Sie nahmen sich selbst nicht allzu ernst. Doch selbstironisch aufzutreten, fiel Finnland nicht schwer - schließlich hatte das Fünf-Millionen-Land in der 52jährigen Geschichte des Grand Prix d' Eurovision de la Chanson nie zuvor gewonnen. Tatsächlich glaubte bis zum besagten Abend im Mai 2006 niemand, daß sie echte Gewinnchancen haben könnten. Doch Lordi triumphierten und wurden zum Stolz der kleinen Nation. Stürmisch wurde die Musikgruppe in Helsinki gefeiert. Finnland verfiel in eine echte Lordi-Manie: Sogar Präsidentin Tarja Halonen und Premier Matti Vanhanen empfingen die Monster mit allen Ehren.

Und was ist von dieser Euphorie geblieben? Ein wenig doch, denn fast genauso begeistert wird der diesjährige Wettbewerb in Helsinki erwartet. Die Hauptstadt bereitet sich seit Monaten auf die Chanson-Touristen vor, im ganzen Land herrscht Ausnahmezustand. Ausnahmezustand wird in diesem Jahr auch wieder auf der Showbühne herrschen. Lordi hat mit Auftritt und Musik Wegmarken gesetzt, die wohl kaum mehr zu überbieten sind. Dennoch gibt es kein Anzeichen für eine Rückkehr zum "Grand Prix". Auch in diesem Jahr ist der Eurovision Song Contest wieder ein Jahrmarkt des Alles-ist-erlaubt: ein bunter Mix von Oper bis Techno, Disco und Syrtaki. Ein Spiegel der Hit-Welten von Viva. Für jeden ist etwas dabei. Eine Sängerin ist hübscher als die andere, ein Tänzer wendiger als der nächste. Es wird gerockt, getrommelt und getanzt, was das Zeug hält.

"Sieben, sieben, ai lu lu. Sieben, sieben, eins, zwei! Sieben, sieben, ai lu lu. Eins, zwei, drei! - Tanzen!" singt dann auch Verka Serduchka aus der Ukraine im Polka-Rhythmus und sorgt mit dem Titel "Dancing Lasha Tumbai" für Stimmung - und Unmut. Denn die Agenturen vermelden, der Herr im schrillen Damenkostüm empöre um das Ansehen des Landes besorgte ukrainische "Konservative". Dem nicht genug. Auch in Rußland ist man nicht amüsiert. Hier verstehen manche den Text auf ihre Art, hören orange-revolutionäre Töne und wittern antirussische Ressentiments. Laut Net­zeitung meinen gar manche, in der offensiven Inanspruchnahme deutscher Wörter eine "versteckte Botschaft" zu erkennen - "nämlich: Rußland in die Nähe der Nazis zu rücken". Man darf auf die Stimmvergabe gespannt sein.

Überhaupt besitzt die deutsche Sprache auch im Jahr 2007 keinen hohen Stellenwert. Für Österreich kämpft Eric Papilaya mit dem englischen Titel "Get A Life - Get Alive" um den Einzug ins Finale (12. Mai, 20.15 Uhr, ARD) und gegen Aids. Ebenfalls durch das Halbfinale (10. Mai, 21.00 Uhr, NDR) quälen muß sich DJ Bobo alias René Baumann für die Schweiz. Sein "Vampires Are Alive" kommt im typischen DJ-Bobo-Sound und auf englisch daher. Über 13 Millionen verkaufte Tonträger sprechen für sich, und so gilt Bobo als Favorit bei den Buchmachern. Nicht aber bei den Kritikern: Die werfen ihm vor, Satanist zu sein. Doch Skandale beleben das Geschäft.

Mit Skandalen kann Deutschlands Roger Cicero nicht aufwarten, und so scheinen seine Chancen gering. Das erkannte nun auch der 36jährige Berliner, der bis dato auf die Muttersprache schwor, und erklärte, die letzten zwei Strophen seines "Frauen regier'n die Welt" auf englisch zu singen. Richtig so, meint Jan Schulte-Kellinghaus, verantwortlich für den Eurovision Song Contest: "Ich finde es gut, weil es die deutschen Chancen erhöht und die anderen Europäer verstehen, um was es geht." Na eben! Sieben, sieben, ai lu lu.

Foto: Verka Serduchka: Antirussische Ressentiments?


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