© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Auf der Suche nach der verlorenen Stimme
Bürgerschaftswahl in Bremen: Erfolg für die Linkspartei / "Bremen muß leben" scheitert / Achtungserfolg für "Bürger in Wut"
Christian Dorn

Wie kann man denn heut' noch SPD wählen?" - Die entrüstete Erwiderung eines Rentnerehepaares auf die Frage, ob sie als "echte Bremer" denn wieder die seit 1946 regierende SPD gewählt hätten, wurde nicht nur von diesem, sondern von über 23.189 Bremern mit einer Stimmabgabe zugunsten der Linkspartei bekräftigt. Die war zusammen mit der WASG angetreten und erzielte 8,4 Prozent. Damit ziehen die Postkommunisten erstmals in ein westdeutsches Parlament ein. Doch nicht nur in dieser Hinsicht war die Wahl zur Bremer Bürgerschaft am Sonntag bedeutsam.

Bei der einzigen Landtagswahl in diesem Jahr erhielten die Grünen knapp 16,5 Prozent. Es ist das beste Ergebnis, das sie je in einer Bundestags- oder Landtagswahl erzielt haben. Ausgerechnet hier hatte auch der parlamentarische Weg der Grünen begonnen: 1979 waren sie mit 5,1 Prozent als Grüne Liste erstmals in ein Landesparlament gelangt. Rudi Dutschke applaudierte damals von der Tribüne, als die ersten vier grünen Abgeordneten in die Bürgerschaft einzogen. Einer von ihnen war der Unternehmensberater Andreas Jordan, der vergangenen Sonntag auf der Liste der Deutschen Konservativen angetreten war, die sich mit ihrem Spitzenkandidaten Joachim Siegerist erstmals unter dem Namen "Bremen muß leben" zur Wahl gestellt hatten.

Die Gruppierung hatte sich aufgrund einer Umfrage des Meinungsinstitutes Infratest/dimap bis zu dreizehn Prozent ausgerechnet. Um so größer war die Enttäuschung: Nur 1,6 Prozent der Stimmen entfielen trotz eines mit hohem finanziellen Aufwand betriebenen Wahlkampfes auf die Siegerist-Truppe. "Ich habe keine Erklärung dafür", kommentierte Siegerist das enttäuschende Abschneiden: "Wahrscheinlich hat es an mir gelegen." Er habe 25 Jahre auf den Wahlantritt hingearbeitet, nun seien seine Batterien leer und er werde überlegen, den Vorsitz seines Vereins Die Deutschen Konservativen abzugeben. Siegerist gratulierte dem Vorsitzenden der "Bürger in Wut" (BIW), Jan Timke, für das gute Abschneiden.

Der konservativen Wählervereinigung fehlt laut vorläufigem Endergebnis nur eine Stimme, um in die Bürgerschaft einzuziehen. "Wir müssen jetzt abwarten", sagte Timke der JF. In der kommenden Woche werde vom Wahlleiter das amtliche Endergebnis verkündet. Bis dahin würden die Wahlprotokolle auf mögliche Zahlendreher überprüft, sagte Timke, der den Erfolg der BIW damit begründete, daß es gelungen sei, "nah am Bürger zu sein". Man habe offensichtlich den Nerv der Leute getroffen. Sollte nächste Woche immer noch eine Stimme fehlen, werde man Einspruch gegen das Wahlergebnis erheben und eine Neuauszählung der als ungültig gewerteten Stimmen fordern. Seinen Platz sicher hat dagegen der DVU-Kandidat Siegfried Tittmann. Er ist zum dritten Mal in Folge für Bremerhaven in die Bürgerschaft eingezogen. Gescheitert sind dagegen die Republikaner, die 0,5 Prozent erreichten.

Die großen Verlierer der Wahl sind die seit zwölf Jahren in einer Großen Koalition verbundenen Parteien von SPD und CDU. Während die SPD fast sieben Prozent an Stimmen einbüßte und auf knapp 37 Prozent kommt, erzielte die CDU, die drei Punkte verlor, 25,6 Prozent. Vertreter von der Jungen Union sehen darin die Quittung für das untaugliche Modell einer "modernen Großstadtpartei". Statt dessen müsse die CDU künftig wieder ein deutlich konservativeres Profil zeigen. Grüne Politiker in Frankfurt am Main etwa, so ein führendes JU-Mitglied gegenüber der JF, gälten inzwischen schon als die besseren CDUler. Allerdings wird die CDU wohl Zeit bekommen, sich als Oppositionspartei neu zu definieren. Denn Oberbürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) verzichtete vor der Wahl bewußt auf eine Koalitionsaussage. Wenngleich Sondierungsgespräche mit der CDU und den Grünen angekündigt worden sind, sieht alles nach einer Neuauflage von Rot-Grün aus. Die Grünen selbst glauben den eindeutigen Auftrag zur Regierungsverantwortung erhalten zu haben.

Nach Mitternacht, als im SPD-Quartier Friesenhof nur noch der Tisch mit Oberbürgermeister Böhrnsen besetzt ist, stimmt man dort plötzlich ein kommunistisches "Auf, auf zum Kampf" an: "Dem Karl Liebknecht, dem haben wir's geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand." Der Text stimmt nicht ganz: Hier heißt Luxemburg Karoline Linnert, sie ist als Spitzenkandidatin der Grünen die voraussichtliche Koalitionspartnerin der SPD im künftigen Senat von Bremen.


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