© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Spiegelbild einer verunsicherten Partei
CDU: Entwurf des Grundsatzprogramms der Union geht auf "Nichtglaubende" zu / Ungeliebter Begriff der Leitkultur / Integrations- statt Einwanderungsland
Paul Rosen

Die CDU war immer eine mehr pragmatisch und weniger programmatisch veranlagte Partei. Programme spielten eine Nebenrolle. Man hatte das christliche Menschenbild, war katholisch oder evangelisch, bürgerlich und marktwirtschaftlich orientiert. Das reichte von Adenauer bis Kohl, aber jetzt reicht es nicht mehr. Bereits 2004 kündigte Parteichefin Angela Merkel ein neues Grundsatzprogramm an. Im Herbst soll es soweit sein: Der CDU-Parteitag will ein neues Programm beschließen.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla rühmt den knapp 90 Seiten starkenEntwurf, der jetzt an der Basis und größeren Regionalkonferenzen debattiert werden soll: "Für uns ist Freiheit ohne Sicherheit nicht vorstellbar, aber auch Sicherheit ohne Freiheit nicht." In der Tat setzt der Entwurf auf den Schlüsselbegriff der Freiheit. So heißt es: "Wir wollen eine Gesellschaft, in der Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit gelebt werden." So weit wie die CSU, die sich in ihrem Programmentwurf ebenfalls für die Freiheit, aber auch für einen starken Staat ausspricht, geht die CDU aber nicht. Überhaupt scheint das CDU-Programm von dem Versuch geprägt zu sein, klare Festlegungen zu vermeiden. Zwar spricht Pofalla davon, daß die CDU mit ihrem christlichen Menschenbild ein Alleinstellungsmerkmal habe, aber zugleich wird dies im Programm relativiert. Auf dieser ethischen Grundlage des christlichen Menschenbildes baue "das gemeinsame Handeln von Christen, Andersgläubigen und Nichtglaubenden in der CDU" auf. Man muß sich das vorstellen: "Nichtglaubende" in der CDU. Das ist genauso wie Antimarxisten in der SED.

Eine andere, in den vergangenen Jahrzehnten instabil gewordene Säule der CDU, der Konservativismus, machte sich zuletzt am Begriff der "Leitkultur" fest, der in der Partei heftig umstritten war. Erfinder Friedrich Merz hat sich inzwischen aus der Parteiführung zurückgezogen und verdient lieber als Rechtsanwalt Geld. Seine Leitkultur findet sich in dem Programm wieder.

"Unsere gemeinsame Sprache, Geschichte sowie das Leben und Handeln in einem gemeinsamen Nationalstaat begründen ein patriotisches Zusammengehörigkeitsgefühl. Bedingungen unseres Zusammenlebens sind zuerst: die deutsche Sprache zu beherrschen, achtungsvoll dem Mitbürger zu begegnen und zu Leistung und Verantwortung bereit zu sein. Dieses umfassende Verständnis macht unsere Leitkultur in Deutschland aus."

Sympathie für harte Markttheorie

Der Begriff erfährt noch zusätzliche Weiterungen, woraus man sehen kann, wie unangenehm es der Pofalla-Kommission war, dieses Wort mit in das Programm zu nehmen. Über Patriotismus und Sprachkenntnisse und Achtung des Grundgesetzes gehört zur Leitkultur jetzt auch die Verantwortung, "die den Deutschen aus den Verbrechen des Nationalsozialismus auch für die Zukunft erwächst". Ob Merz das mit Leitkultur gemeint hatte? Deutschland ist zwar kein Einwanderungsland, wie die Linken es viele Jahre postuliert hatten, sondern gleich hinter der Leitkultur kommt ein neuer Begriff: "Deutschland ist Integrationsland." Groß ist der Unterschied zwischen Einwanderungs- und Integrationsland gewiß nicht. Ähnlich ist es in der Familienpolitik. "Die Ehe ist unser Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau", heißt es da: "Wir respektieren die Entscheidung von Menschen, die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Lebensentwurf verwirklichen." Weil es opportun erscheint, haben Pofalla und seine Kommission die Forderung nach mehr Krippenplätzen auch gleich ins Grundsatzprogramm geschrieben. Immerhin tritt die CDU für ein steuerliches Familiensplitting ein, das Familien mit Kindern entlasten soll.

Tagesaktuelle Streitfragen wie der Mindestlohn sind ebenfalls tauglich, um in das Grundsatzprogramm zu kommen. Ein kürzlich entdecktes Problem, die angebliche Klimaveränderung durch Kohlendioxid, fand ebenfalls Eingang ins Programm: Treibhausgasemissionen sollen bis 2020 um 30 Prozent gesenkt werden. Gleichzeitig schreibt die CDU, es könne auf absehbare Zeit auf "den Beitrag der Kernenergie zur Stromerzeugung nicht verzichtet" werden. Dieser Punkt ist mit Vorstellungen der SPD und der Grünen auf keinen Fall kompatibel, vieles andere jedoch sehr wohl.

Das Programm spiegelt die Verunsicherung der Partei wider. Einerseits ist den Verantwortlichen klar, daß sie konservative Aussagen brauchen, um einen nicht unbedeutenden Teil der Wählerschaft an sich zu binden. Andererseits ließ man Merz ziehen, wählte den konservativen brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm aus der Parteiführung und hofft jetzt mit lieblos zusammengewürfelten Sätzen konservative Wähler zu halten. Vergrault werden auch Anhänger des früheren Büm-Flügels. Das Bekenntnis zum Sozialstaat wirkt weich, Sympathien für die harten Markttheorien sind deutlicher.

Die interne Debatte, die jetzt geführt werden soll, wird wenig bringen. Zu fest sitzen Merkel und Pofalla im Sattel. In der CDU gilt immer noch: Herrscht ihr Chef (oder Chefin) im Kanzleramt, ist der ganze Laden respektvoll erstarrt. Ein deutliches Wort kam vom Historiker Paul Nolte. Er sagte der taz: "Das Programm ist bewußt so gestaltet, daß sich jeder seine eigene Interpretation zurechtlegen kann. Es versucht auf relativ billige Wiese, verschiedene Strömungen aufzunehmen - statt solche Konflikte nach vorne zu denken."


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