© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Zeitschriftenkritik: Volkslust
Im Bann der leeren Worte
Werner Olles

Mit dem Editorial ist es immer so eine Sache. Manchmal ist es der beste Teil einer Zeitschrift, ein anderes Mal hält es nicht, was es verspricht, oder aber der Rest des Magazins ist weitaus interessanter, als die gewundenen Sätze des Editors ahnen lassen. Für die vierte Ausgabe der laut Impressum "unregelmäßig" erscheinenden Volkslust trifft letzteres zu. Es hilft wenig, Rainer Maria Rilke, Karl Kraus und Rudi Dutschke zu zitieren und das eigene Heft als "Katalysator für eine emanzipatorisch-antiautoritäre Entwicklung der Gesellschaft" zu beschwören, wenn die "tiefgreifende Kritik, welche an den Grundfesten der warenproduzierenden Moderne zu rütteln in der Lage ist", schon im zweiten Absatz mit einem hanebüchenen Fehlurteil aufwartet.

Keineswegs liegt die staatliche Repression "über 2.000 Jahre zurück, in den Anfängen der christlichen Ideologie, die unnatürlich teilt, hier Hölle, dort Paradies, hier erlaubt, dort verboten". Selbstverständlich gibt es keine "christliche Ideologie", sondern eine christliche Religion, was etwas völlig anderes ist. Ohne Frage ist die Religion aber ein soziales Machtphänomen in der Welt, und in der Tat ist jeder Staat dem Sittengesetz unterworfen, kann von sich aus also nicht bestimmen, was sittlich gut oder schlecht ist, ja nicht einmal, was dem Gemeinwohl dient oder nicht. Ist man sich dessen bewußt, muß man sich auch nicht mehr großartig "vom uniformierten Denken" befreien.

Am Thema vorbei geht auch Henning Eichbergs Text "Die Kritik des Kapitalismus vom Kopf auf die Füße stellen", bei dem sich der Rezensent irgendwie im Bann der leeren Worte fühlt. Wo liegt denn, bitte schön, der Unterschied zwischen dem von den Nationalsozialisten erfundenen "raffenden Kapital" und Lenins "Finanzoligarchie"? Ist der Zusammenhang von Marxismus-Leninismus und Antisemitismus tatsächlich so schwer zu verstehen?

Neue, gänzlich ungewohnte Fragen wirft dagegen der Beitrag "Gegen Kapital und Arbeit. Einführung in die Wertkritik" auf. Nach einer gut verständlichen Erklärung des Begriff "Wertkritik" als "eine Strömung der postmarxistischen Kritik an der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, der es um eine radikale Kritik aller Grundlagen dieser Form menschlicher Vergesellschaftung geht", arbeitet sich der Text auf eine durchaus löbliche Reflexionshöhe hinauf, die zumindest eine richtige Richtung anzeigt. Näher eingehen sollte man jedoch auf die Frage, ob der Kapitalismus als Totalisierung der Warenform wirklich keine andere Realisierung von Individualität als die fetischistische hervorbrachte. Oder ob es ihm letztlich nicht doch gelungen ist, am Ende der Arbeitsgesellschaft so tief in die Sphäre der Reproduktion einzudringen, daß der Begriff der "lebenden Ware" (Robert Kurz) gerade auch außerhalb jeglicher wertschaffenden Arbeit längst keine Metapher mehr ist. Andererseits erkannte Marx immerhin, daß der Mensch auch in der Entfremdung durchaus glücklich leben kann. Ein Widerspruch?

Zu empfehlen wäre den entsprechenden Autoren, in der nächsten Ausgabe von der Subjekt- und Abspaltungskritik zu einer konkreten Krisenanalyse zu gelangen.

Anschrift: FIDEA e.V., Postfach 60 10 67, 22210 Hamburg. Einzelpreis 5 Euro, Abo (3 Hefte) 15 Euro. Internet: www.magazin-volkslust.de


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