© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Rationalität
Karl Heinzen

Die Industriespionage boomt. Den durch sie verursachten Schaden in den ersten vier Monaten 2007 beziffert Klaus-Dieter Matschke, der Sprecher des Bundes Internationaler Detektive, auf 1,1 Milliarden Euro. Dieser Betrag sei doppelt so hoch wie jener, den man für den Vergleichszeitraum des Vorjahres ansetzen könne. Nun ein Klagelied über den vermeintlichen Verfall der kaufmännischen Sitten anzustimmen, ist dennoch unangebracht. Insbesondere ein Detektivfunktionär wie Matschke macht sich durch so etwas unglaubwürdig, ist es doch seine Branche, die auf eine bessere Auftragslage hoffen darf, wenn mehr Unternehmen untreue Beschäftigte fürchten müssen und unlauteren Methoden der Konkurrenz auf die Spur kommen wollen.

Wer sich über Industriespionage empört, muß sich vielmehr vorwerfen lassen, unsere Marktwirtschaft mit Stilfragen oder ethischen Erwägungen zu befrachten, die ihr unangemessen sind. Nicht zuletzt jene, die für ein Unternehmen die Verantwortung tragen, sollten stattdessen ausschließlich vom ökonomischen Kalkül geleitet sein. Dieses gebietet, den zu erwartenden Nutzen und den möglichen Schaden aus einer Handlung immer sorgfältig zu schätzen und dann abzuwägen, welche Entscheidung für die Firma die richtige ist.

Recht und Unrecht sind hier nur insoweit Kategorien, als es natürlich zu prüfen gilt, ob sich ein Gesetzesverstoß überhaupt lohnt. Das Risiko, sich durch rechtswidrige Aktionen eine erhebliche finanzielle Belastung einzuhandeln, kann so groß sein, daß man besser die Finger von ihnen läßt. Wo ein derartiges Risiko gering ist, wäre es aber ein Vertrauensbruch gegenüber den Kapitaleignern, privaten Skrupeln freien Lauf zu lassen und das Wohl des Unternehmens zurückzustellen. Auch die Beschäftigten haben kein Verständnis für einen Manager, dem seine moralische Integrität wichtiger ist als der Erhalt ihrer Arbeitsplätze.

Ökonomische Rationalität ist aber nicht die alleinige Domäne der Kapitalseite. Heutzutage muß man unterstellen, daß sie auch von Arbeitnehmern beherzigt wird. Von diesen darf daher Loyalität zu ihrem Arbeitgeber nur dann erwartet werden, wenn sie sich für sie auch wirklich rechnet. Ist dies nicht der Fall, wäre es aus der Sicht des sich als Ein-Mann-Unternehmen verstehenden Beschäftigten irrational, Indiskretionen zu unterlassen.

Überhaupt und generell sollte man sich davor hüten, Industriespionage als Parasitentum abzuqualifizieren. Wer sie erfolgreich betreibt, denkt und agiert oft innovativer als seine Opfer in ihrer tumben Rechtschaffenheit.


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