© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Ulbrichts Vorzeige-Intellektueller
Die in edierter Form vorliegenden Briefe des Literaturwissenschaftlers Hans Mayer aus seiner DDR-Zeit
Thorsten Hinz

Briefe verfaßte der Leipziger Literaturwissenschaftler Hans Mayer (1907-2002) ausschließlich als Kanzlist und Verwalter seiner selbst, genauer: seiner Profession. Diesen Eindruck vermittelt die von Mark Lehmstedt zusammengestellte und hingebungsvoll kommentierte Briefauswahl. Sie umfaßt den Zeitraum zwischen 1948, als Mayer, dem Ruf der Leipziger Universität folgend, aus Frankfurt am Main in die spätere DDR übersiedelte, und 1963, dem Jahr der sogenannten Republikflucht. Stets hatte er etwas zu vereinbaren, abzustimmen und zu klären: Vorlesungstermine, Vortragsreisen, Bücher, Aufsätze, Rezensionen.

Nebenbei erfährt der Leser Hintergründiges über das kulturelle Leben in der DDR, aber auch, warum ein so brillanter Kopf wie Mayer, der mit dem Dogmatismus der SED schnell in Konflikt geriet, es so lange aushielt in der DDR. Von einer Reise aus Westdeutschland zurückgekehrt, mokierte er sich in einem Brief vom Herbst 1953 darüber, daß ein Lottogewinn von reichlich 600.000 Mark, den ein kleiner Angestellter einstreichen durfte, selbst bei intelligenten Leuten das Tagesgespräch bildete. Für den Marxisten Mayer spiegelte sich in solchen Begebenheiten die geistige Verlotterung der bürgerlichen Gesellschaft wider, an die er seit der NS-Zeit ohnehin nicht mehr glaubte. Im Vergleich dazu ließen sich Konflikte mit der SED - vorerst jedenfalls - leichter ertragen, waltete in ihnen doch immerhin weltanschaulicher Ernst.

Der Mauerbau überraschte ihn in Schottland, über Holland kehrte er in die DDR zurück. Wie wenig verheißungsvoll ihm der Westen selbst jetzt noch erschien, zeigt ein kurzer Stimmungsbericht: "Ihr Kolonialreich haben sie verloren, aber die Gesinnung der Kolonialherren behielten sie. Sie sind immer noch reich und fett, aber alles wirkt schon nicht mehr so ganz saturiert: die Qualität der Ware hat gelitten, die sprichwörtliche holländische Sauberkeit desgleichen (...)" Dem Empfänger des Briefes, Stephan Hermlin, verschwieg er freilich, daß er auf der Rückreise Ernst Bloch getroffen hatte, der sich zum Verbleib in der Bundesrepublik entschieden hatte. So gering war sein Vertrauen in das Postgeheimnis - oder in die Verschwiegenheit seines Briefpartners?

Mayer wußte natürlich auch, daß seine Stellung in der DDR, die das alte Bildungsbürgertum hinausgeekelt, eine eigene geistige Elite aber noch nicht herausgebildet hatte, einzigartig war, allen Anfechtungen zum Trotz. Egal, ob es um E. T. A. Hoffmann, Marcel Proust, um Thomas Mann oder Gerhart Hauptmann ging, nur einer kam als Verfasser von Vor-, Nach- oder Gedenkworten in Frage: Hans Mayer. Im Juli 1961 ließ er den Aufbau-Verlag wissen, daß Hermann Hesse ihm für ein Nachwort ausführlich gedankt und ein Aquarell übersandt habe: Die Funktionäre sollten sich klarmachen, wer und wie sehr man ihn auswärts schätzte und was sie folglich an ihm hatten.

In manchen Briefen tritt enorme Eitelkeit, auch Kleinlichkeit zutage. Bei Peter Huchel, der mit seiner Zeitschrift Sinn und Form Probleme ohne Ende hatte, mahnte er ein ausstehendes Honorar an. Da er, Mayer, außer seinem Gehalt keine anderen Einnahmen habe, erwarte er die Summe "als Manna in der Wüste". Die Wahrheit war, daß die DDR ihn sich etwas kosten ließ, oder, in der Sprache der Jahre 1989/90: Finanziell gesehen, war Mayer ein Privilegierter des SED-Staates. Der Herausgeber rechnet nach, daß seine monatlichen Einkünfte sich zunächst auf insgesamt 5.000 DDR-Mark beliefen. Und obwohl er inzwischen als ideologisch unzuverlässig galt, wurden ihm seine Bezüge 1959 nochmals um 2.000 Mark erhöht. Damit erhielt er das 14fache eines Facharbeiters. Andererseits ist vorstellbar, daß ihm beim Brief an Huchel die Erfahrungen des gejagten Emigranten die Feder führten, der stets sein Geld zusammenhalten mußte.

Gerade diese Schwächen sind es, die den Kanzlisten Mayer ein wenig menschlich erscheinen lassen. Im übrigen hat er alles Private konsequent ausgespart. Es fehlen jene pikanten Histörchen, die leise geraunten Alkovenmärchen, die Briefausgaben erst die gewisse Würze geben. Ein Bericht aus dem Sommerurlaub 1957 im Harz erschöpft sich in Anspielungen auf die Walpurgisnacht im "Faust" und in mythologischen Exkursen. In einem anderen Brief wird immerhin das schlechte Wetter erwähnt. Spontane Glücksgefühle klingen höchstens einmal im Lob für eine "Zauberflöten"-Inszenierung von Walter Felsenstein an. Die Aussparung des Privaten war, wie man weiß, nicht nur der Preis für ein immenses wissenschaftliches Werk. Mayer, der im Schweizer Exil wegen der Verführung eines jungen Mannes verurteilt worden war, behielt diesen Bereich strikt für sich. Er war für ihn, anders als für den ein Jahr älteren Klaus Mann, einfach nicht mitteilbar.

Wer sich als Historiker oder Kulturgeschichtler mit der frühen DDR und den innerdeutschen Beziehungen beschäftigt, für den bietet die Briefausgabe eine Fundgrube. Bei anderen Lesern wird sich irgendwann das Gefühl der Eintönigkeit einstellen, und sie werden sich fragen, ob ein halb so dickes Buch nicht ebenfalls seinen Zweck erfüllt hätte. Im übrigen steht der Herausgeber wegen seines Forscherfleißes und seiner politischen und menschlichen Fairneß außerhalb jeder Kritik.

Hans Mayer: Briefe 1948-1963". Herausgegeben und kommentiert von Mark Lehmstedt. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2006, gebunden, 597 Seiten, 29,90 Euro

Foto: Der Leipziger Literaturprofessor Hans Mayer, Aufnahme undatiert. Er siedelte 1948 in die Sowjetzone über und floh 1963 aus der DDR wieder in den Westen: Ideologisch unzuverlässig


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