© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/07 25. Mai 2007

Der humanitäre Interventionist
Frankreich: Die Ernennung von Bernard Kouchner zum neuen Außen- und Europaminister bedeutet die Abkehr von gaullistischen Traditionen
Alain de Benoist

Nachdem er seinen Wahlsieg nicht zuletzt Stimmen aus dem Lager des rechten Front National (FN) verdankte, hat sich der frischgebackene französische Präsident Nicolas Sarkozy (JF 20/07) bei der Zusammenstellung seiner künftigen Regierungsmannschaft um eine "Öffnung" nach links bemüht. Die Ernennung von Bernard Kouchner zum neuen Außen- und Europaminister veranschaulicht diese Strategie exemplarisch. Sie ist aber auch ein Paradebeispiel dafür, daß das neue Staatsoberhaupt keine Scheu davor hat, sich in Wort und Tat widersprüchlich zu geben.

Sarkozy, der nicht nur im Wahlkampf den "Geist vom Mai '68" angeprangert hat, hat nun eine einstige Galionsfigur der Achtundsechziger an den Quai d'Orsay berufen. Sarkozy, der sich zu lyrischen Ergüssen über Frankreichs nationale Identität und Unabhängigkeit hinreißen ließ, hat die französische Außenpolitik in die Hände des einzigen prominenten sozialistischen Politikers gelegt, der die Irak-Invasion der Amerikaner im Jahr 2003 vehement befürwortete.

1939 in einer großbürgerlich-liberalen jüdischen Familie in Südfrankreich zur Welt gekommen, stieg Kouchner Mitte der sechziger Jahre in die Führungsriege der Union Kommunistischer Studenten (UEC) auf. Im Mai 1968 zählte er zu den Rädelsführern im Streikkomitee der Medizinischen Fakultät von Paris. Ein Jahr darauf war er für das Rote Kreuz als Arzt in nigerianischen Provinz Biafra tätig, wo ein Bürgerkrieg mit über einer Million Toten tobte. Bei diesem Aufenthalt erfuhr Kouchner seine Sensibilisierung für "humanitäre" Fragen.

1971 wirkte er an der Gründung der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (Médecins Sans Frontières/MSF) mit, aus der er aber 1979 ausgeschlossen wurde. Daraufhin gründete er 1980 die "Ärzte der Welt" (Médecins du Monde/MDM). Seither hat er unermüdlich bei den internationalen Institutionen für eine Anerkennung des "Rechts auf Einmischung" in anderen Ländern geworben - ganz in der Tradition linker US-Demokraten und heute der "Neocons" um Präsident George W. Bush.

Kouchner, der sich selbst als Parteigänger einer "erneuerten linken Sozialdemokratie" bezeichnet, verkörpert in Wirklichkeit geradezu idealtypisch ein abstraktes Politikverständnis, das keinerlei "real-" oder geopolitischen Erwägungen gelten läßt. Das "Recht auf Einmischung", wie er es ab 1987 in Zusammenarbeit mit dem Völkerrechtler Mario Bettati definiert hat, geht sehr viel weiter als das "humanitäre Recht", das sich in der Folge des Zweiten Weltkriegs herausbildete. Sein Schlüsselgedanke lautet, daß nationale Souveränitäten keinen Vorrang mehr haben dürfen vor den moralischen Grundsätzen, die die "internationale Gemeinschaft" formuliert: Jede "Menschenrechtsverletzung" rechtfertigt die Intervention ausländischer Akteure, die Entscheidungen internationaler Gerichte müssen für alle Staaten verbindlich sein.

Allein die Menschenrechte sollen die Welt regieren

"Da haben wir sie, die revolutionäre Idee", schrieb er 1993 in einem Buch, das er gemeinsam mit dem im Januar verstorbenen Ex-Résistance-Kämpfer und Priester Abbé Pierre (1949 Gründer der Wohltätigkeitsorganisation Emmaus) verfaßte, "daß nämlich die Menschenrechte und nicht die Staaten die Welt regieren." Im gleichen Jahr gründete Kouchner deshalb auch die Stiftung "Fondation pour l'action humanitaire", die sich das Interventionsrecht engagiert.

Als Hoher Repräsentant der Uno war der French doctor von Juli 1999 (nach dem völkerrechtswidrigen Nato-Bombardement Serbiens) bis Januar 2001 auch Gouverneur des Kosovo. In diesem Amt machte Kouchner vor allem durch seine Voreingenommenheit gegenüber dem serbischen Volk sowie seine Zuneigung zu den albanischen Freischärlern der UÇK von sich reden. Anfang 2003 sprach Kouchner sich öffentlich für den Krieg "gegen Saddam Hussein" aus - eine Entscheidung, die er trotz der katastrophalen Folgen des Militäreinsatzes noch heute verteidigt. Ein Jahr später, am 26. April 2004, kürte das US-Nachrichtenmagazin Time Kouchner zu einer der hundert "mächtigsten und einflußreichsten Persönlichkeiten der Welt" und feierte ihn als "Helden", weil er "im Namen der Menschenrechte die amerikanische Intervention im Irak befürwortet" hatte.

Aufgrund seiner ständigen Medienpräsenz erfreut sich Kouchner bei einem Teil der Öffentlichkeit einer gewissen Beliebtheit. Freilich muß er sich auch häufig Kritik an seinem Opportunismus, seiner Vorliebe für Gesellschaftsereignisse, seiner ständigen Sucht nach Selbstdarstellung gefallen lassen. Seine Frau, die aus Belgien stammende Journalistin Christine Ockrent, moderiert eine französische Polit-Sendung. Sarkozys Vizewahlkampf-Chef, der 36jährige Laurent Solly, soll nun Vizechef des größten französischen Fernsehsenders TF1 werden. Bei TF1 ist der Bouygues-Konzern mit 42,9 Prozent größter Anteilseigner. Konzernchef Martin Bouygues ist ein enger Freund Sarkozys - so klein ist manchmal die Welt.

Nach gescheiterten Kandidaturen bei verschiedenen Wahlen (nur von 1994 bis 1997 war er Abgeordneter im Europäischen Parlament) rückte Kouchner im November 2006 ins Amt des Generaldirektors der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf.

Der kurzzeitige französische Gesundheitsminister (1992/93 und 2001/02) träumt indes schon seit langem von einer Karriere als Außenpolitiker. Als Sarkozy ihm den Posten anbot, zögerte er keinen Moment lang, seine Glaubwürdigkeit bei den Linken aufs Spiel zu setzen. Sein Eintritt in die Regierung von Premier François Fillon (einem Vertreter des linksgaullistischen Flügels der bürgerlichen "Präsidentenpartei" UMP) führte zum sofortigen Ausschluß aus der Sozialistischen Partei (PS), der er nun als "Verräter" gilt.

Kein Freund Rußlands und der arabischen Staaten

"Ich gebe meine sozialistischen Überzeugungen nicht auf, nur weil ich mit Personen zusammenarbeiten werde, die anders denken als ich", verteidigte sich Kouchner am Wochenende in der linken Tageszeitung Le Monde. Er werde gemeinsam mit allen, die offen seien, auch weiterhin dafür kämpfen, daß es endlich eine "französische Sozialdemokratie" gebe. Die Außenpolitik sei außerdem "weder links noch rechts".

Der Einzug dieses Apostels des "Rechts auf Einmischung" ins Quai d'Orsay, wo das Außenministerium seit 1853 seinen Sitz hat, markiert eindeutig eine historische Wende in der politischen Geschichte Frankreichs. Damit verleiht Sarkozy seiner Absicht Nachdruck, den "französischen Sonderweg" in der Außenpolitik zu beenden. An der nach dem Zweiten Weltkrieg von General Charles de Gaulle begründeten Tradition der Unabhängigkeit hatte bislang keine - rechte oder linke - Regierung der letzten knapp fünfzig Jahre ernsthaft gerüttelt.

Aus Sicht der arabischen Staaten ist die Ernennung Kouchners keine gute Nachricht, denn der neue Außenminister hat während seiner gesamten politischen Laufbahn stets die verschiedenen israelischen Regierungen unterstützt - egal, ob diese links oder rechts waren. Kouchner beruft sich bei seinen humanitären Interventionsforderungen ständig auf die Krisen- und Kriegsherde Tschetschenien, Somalia, Darfur oder Afghanistan - für die Palästinenser unter israelischer Besatzungsherrschaft hingegen hat er allerdings nie ein Wort des Mitgefühls übrig. Dies könnte durchaus zum Problem für Sarkozy werden, hat er doch angekündigt, den "Aufbau einer Mittelmeerunion" als eine seiner außenpolitischen Prioritäten in Angriff zu nehmen.

US-Außenministerin Condoleezza Rice hingegen äußerte sich "entzückt" über die Ernennung Kouchners und wartet "ungeduldig" auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Minister - obwohl dessen Herz insgeheim eher für die US-Demokraten schlagen dürfte: Die vom demokratischen US-Präsidentschaftsbewerber Barack Obama kürzlich geforderte öffentliche Liste jener Firmen, die in den iranischen Energiesektor investiert haben, könnte auch von Kouchner stammen. Zweifelsohne teilt Rice die Einschätzung Dominique Moïsis vom Institut français de relations internationales (IFRI), daß "der französische Diskurs gegenüber Moskau sich verhärten und gegenüber den USA offener werden wird".

"Ich bin Amerikas Freund, ich bin Israels Freund", erklärte Sarkozy vergangenes Jahr in Washington, nachdem er bereits im Dezember 2004 vom damaligen israelischen Premier Ariel Scharon wie ein Staatspräsident empfangen wurde, der der Ex-"Superminister" Sarkozy damals noch lange nicht war.

Um seinen Ruf als "amerikanischer Neokonservativer mit französischem Paß" zu zerstreuen, läßt Sarkozy derzeit verbreiten, er sei "längst nicht der Atlantiker, für den man mich hält" - schließlich sind im Juni Parlamentswahlen. Die Ernennung des Atlantikers, Türkei-Freundes und Russophoben Bernard Kouchner läßt Zweifel an der Ehrlichkeit dieser Bekundung aufkommen.

Foto: Bernard Kouchner: Vehementer Befürworter der Bombardierung Serbiens und des Irak-Krieges 2003


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