© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/07 25. Mai 2007

Etwas faul im Staate Dänemark
Kino: Niels Arden Oplevs Kinderfilm "Der Traum" spielt in der verkehrten Welt
Ellen Kositza

Wie wäre es mit diesem Film: Ein Schulmädchen hat einen Narren gefressen ausgerechnet an Eva Hermans Weiblichkeitsthesen. Die Mitschülerinnen sind noch nicht "so weit", hänseln die Klassenkameradin zunächst, können sich bald einer gewissen Faszination aber nicht entziehen. Wenn da nur die eiskalten Lehrerinnen nicht wären! Durch und durch emanzipiert fast alle, vor allem die Rektorin, die unser Mädel immer wieder bloßstellt und aufs Glatteis zu führen sucht. Die Eltern kennen Herman noch gar nicht, führen aber selbst ein Leben in klassischen Rollenmustern: ein weiterer Grund für bösartige Häme seitens des schulischen Establishment! Die tapfere Schülerin hält sämtlichen Intrigen stand, und das glückliche Schlußbild des Films färbt sich langsam rosa.

Andere Filmidee: Ein Knabe ist beseelt vom Wirken eines charismatischen Freikorpskämpfers. Entsprechende Poster pflastern seine Zimmertapete. Die Lehrerschaft, größtenteils Linke mit fieser Persönlichkeit (das erscheint als konsequent), drangsalieren den Jungen, benoten seine Leistungen ungerecht. Der kleine Held aber (unterstützt von einem zackigen, gleichwohl beliebten Musterpreußen: ein Lehrer mit Herz für die Jugend) gibt nicht auf, infiziert bald die ganze Schülerschaft mit seiner Begeisterung, und als der schmuddelige Oberideologe nach Verkünden seiner kruden postnationalen Utopie tot zusammenbricht, feiert die ganze Schule frohgemut ein Fest der konservativen Revolution.

Ja, wie wäre das? Illusorisch, klar. Holzschnittartig würde man solche Filme nennen, ihre zugrunde liegenden Ideen gnadenlos von der Wirklichkeit überholt. Wohl ausnahmslos jeder würde solch Filmdichtung als groben Hokuspokus verspotten. Vermutlich zu Recht. Was aber, wenn man die Vorzeichen schlicht umstellt? Dann blüht ein Lobpreis ohnegleichen: der nationale Filmpreis für den besten Spielfilm, die beste Regie und das beste Drehbuch, auf der Berlinale der Gläserne Bär des Kinderfilmfests und zahlreiche weitere Auszeichnungen.

Und so geht "Der Traum" des 46jährigen dänischen Regisseurs und Drehbuchschreibers Niels Arden Oplev, der sich nun mit all diesen Ehrerweisungen brüsten darf: Der Vater des 13jährigen Frits (Janus Dissing Rathke) hat sich wegen schweren Depressionen in eine psychiatrische Klink begeben. Gleichsam als Trost wird für Frits und seine kleinen Schwestern ein Fernsehgerät im dörflichen Wohnzimmer aufgebaut. Wir schreiben 1969, und der strubbelköpfige Junge wird von den Bildern der Studentenunruhen gebannt. Elektrisierend wirkt auf ihn auch die hypnotische Rede Martin Luther Kings, dessen Konterfei er sich ins Kinderzimmer hängt.

In der Hauptsache aber ist Frits ein ganz normaler Junge seines Alters, der seine Antipathien (betreffend den gestrengen Rektor seiner neuen Schule) und Sympathien intuitiv verteilt. Letztere gelten vor allem der Mitschülerin Iben (warum eigentlich so überschminkt?) und jenem Referendar, der sich schlicht "Freddie" nennen läßt. Freddie ist ein cooler Typ. Eigentlich heißt er ja Gunnar, aber das ist ein ätzend-bürgerlicher Name. Er trägt die Haare lang und um den Hals das "Peace"-Zeichen, das Hemd hängt ihm aus der Hose. Die alten Volksliederbücher heißt er seine anfangs ungläubig staunenden Zöglinge in die Ecke feuern. Freddie packt Schlagzeug und E-Gitarre aus, offeriert Cola und zeigt den Jungs und Mädels, was Dynamik ist: Soul, Blues und Rock'n Roll!

Eines Tages kommt es zu einer pubertären Keilerei in der Umkleidekabine: Frits, verlockt durch Mitschüler, hat die nackten Mädchen beobachtet und wird von denen eingeseift. Der Rektor reagiert, wie man es von diesem Kotzbrocken gewohnt ist: In seinem Büro zieht er Frits tatkräftig die Ohren lang. So sehr, daß ein Ohrläppchen des Jungen einreißt; es muß genäht werden. Das bringt Frits' Eltern - der Vater ist mittlerweile genesen - auf die Barrikaden. Was zunächst als ohnmächtiges Anrennen gegen die Schulbürokratie erscheint, verlangt durch das Insistieren der beiden (schon großartig: Anne-Grethe Bjarup Riis als Mutter Stine) den Schwur des gesamten Kollegiums. Hat der Rektor unrecht getan oder nicht - und überhaupt: Ist Frits nicht womöglich bereits mit einem blutenden Ohr zur Schule gekommen? Alles scheint sich zu Gunsten des Bösewichts zu entwickeln.

Frits derweil heißt nicht mehr Frits, sondern Martin, nach seinem großen Vorbild (die direkten Zusammenhänge mit dem Tun des charismatischen Schwarzen-Führers bleiben unklar). Dieser selbstherrliche Namenswechsel machte die Großmutter zunächst traurig, war der Enkel doch nach dem guten Großvater benannt worden. Doch Opa nennt sich, cool, gleich auch Martin: Den schrecklichen deutschen Namen hat er ja immer gehaßt.

Das gute Ende der schulischen Malaise läutet sich ein, als beim Schulfest Frits-Martins Klasse überraschend "We shall overcome" intoniert und dafür mit Applaus bedacht wird. Auch der Rektor klatscht mit, aber geschlagen ist er noch nicht. Noch einmal holt er aus, und zwar gewaltig. Nachdem er Martin-Frits vor den Augen seiner Klasse verprügelt hat, erleidet er einen Herzinfarkt und stirbt. Yeah, da darf gefeiert werden, Diktatoren haben nichts anderes verdient.

Um sich nicht vollends auf die inhaltliche Schwarzweiß-Ebene des Films zu begeben: Doch, der Film zeigt bisweilen durchaus anrührende Momente - die erschütternde Melancholie des Vaters etwa oder die Herzhaftigkeit der Mutter. Leider liegt solches Potential letztlich brach in der Wüste mutwilliger Konstruktion.

Foto: Frits (Janus Dissing Rathke, M.) verehrt Freddie (Anders W. Berthelsen) und Martin Luther King


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