© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/07 25. Mai 2007

Alles, nur nicht stringent
Barings Nachtgedanken
Peter Lebitsch

Arnulf Baring jüngstes Buch enthält Zeitungsartikel und Vortragstexte aus den letzten acht Jahren. Die deutsche Lage wird seziert, doch gewinnt der Autor keinen schlüssigen Standpunkt. Seit dem Mauerfall plagen ihn Kopfschmerzen, die Ära Adenauer bedeutete eine "glückliche Ausnahmezeit". Verwünscht Baring insgeheim die Einheit? Manche Mitteldeutsche, konstatiert der furchtsame Verfasser, nörgeln an der Westintegration. Doch könne unser Land weder Nato noch EU ignorieren und müsse die "indirekte Mitsprache des Auslands" hinnehmen. Gleichzeitig wachse Berlins diplomatischer Handlungsrahmen. Freilich traut Baring Nato und EU wenig zu; einen europäischen Bundesstaat werde es nicht geben, das nationalstaatliche Zeitalter gehe weiter. Was folgt daraus?

Nun widerspricht sich Baring radikal. "Von Bismarck zu Hitler" habe die "fixe Idee" geherrscht, Deutschland müsse die Rolle einer "eigenständigen, unabhängigen Großmacht" spielen. Bismarcks Reichsgründung und den Hitlerschen Imperialismus in einen Topf werfen? Baring schätzt die sechziger und siebziger Jahre, als die Deutschen "nett und harmlos" waren. Ohne "Schutzmacht" tappen wir nämlich blind im Dunkeln. "Die USA bleiben unser Fundament", und Baring tadelt Altkanzler Schröder, weil er den Irak-Krieg öffentlich ablehnte.

Aufgrund des Traumas der NS-Zeit mißachten viele Deutsche die eigene Kultur. Geburtenrückgang und "multikulturelle" Illusionen resultieren aus dieser "größten Schwäche". Ob die Integration der Zugewanderten möglich sei, bleibt offen. Der Autor verlangt, Erhards Marktwirtschaft zu restaurieren, obwohl die Lage der von 1948 kaum ähnelt. Weniger Menschen produzieren mehr, und viele können sich nicht selbst Arbeit schaffen. Dennoch fordert der gutbetuchte Pensionär Baring, daß der Einzelne mehr Verantwortung tragen möge. Soziale Ungerechtigkeit kennt sein neoliberales Paradies nicht. Solche Wirrungen sind nur biographisch zu verstehen. Baring erhielt die "folgenreichsten Prägungen" in den letzten Kriegsmonaten und der frühen Nachkriegszeit. Immer noch beschwört er antiquierte Stereotype, aber seine Kompaßnadel rotiert im Kreis.

Arnulf Baring: Deutschland gehört nicht nur den Deutschen. Rückblick und Ausblick. Hohenheim Verlag, Stuttgart 2007, gebunden, 328 Seiten, 19,90 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen