© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Sie sind bei uns, weil wir bei ihnen sind
USA: Ron Paul war als einziger der zehn republikanischen Präsidentschaftsbewerber gegen den Irak-Krieg
Patrick J. Buchanan

Am 15. Mai traten an der Universität von South Carolina in Columbia die derzeit zehn aussichtsreichsten Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur zu einem neunzigminütigen rhetorischen Wettstreit an, der im Nachrichtensender Fox News übertragen wurde. Zu dem entscheidenden Wortwechsel der TV-Debatte kam es, als Ron Paul, der als Abgeordneter für den Bundesstaat Texas im Repräsentantenhaus sitzt, Gründe für den Haß der Araber und Muslime auf die USA aufzählte, nicht zuletzt die zehnjährigen Bombardements und Sanktionen, die in der Folge des Golfkriegs Tausende Iraker töteten.

Da platzte dem New Yorker Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani der Kragen: "Das ist wirklich eine ungeheuerliche Behauptung, als jemand, der den Angriff vom 11. September miterlebt hat, daß wir den Angriff herausgefordert haben, indem wir den Irak angriffen. Das habe ich, glaube ich, noch nie gehört, und ich habe einige ziemlich absurde Erklärungen für den 11. September gehört. Ich fordere den Kongreßabgeordneten auf, seine Stellungnahme zurückzunehmen und uns zu erläutern, was er wirklich damit meinte." Der Applaus für Giulianos Einwurf war ohrenbetäubend - es war das Zitat des Abends und der bisherige Höhepunkt in Giulianis Wahlkampf.

Hassen sie uns für das, was wir sind oder was wir tun?

Nach der Debatte folgte in der Fox-Talkshow "Hannity and Colmes" einer jener unvergeßlichen Momente des Live-Fernsehens. Gerade forderte Michael Steele, der Sprecher der Republikanischen Partei, Paul von zukünftigen Debatten auszuschließen - da zeigte das eingeblendete Ergebnis der telefonischen Abstimmung, daß der von Giuliani attackierte Ron Paul bei den Fox-Zuschauern mit dreißig Prozent als Sieger aus der Debatte hervorging. Der 71jährige hatte sich schon immer gegen den Irak-Krieg, den Patriot Act oder weitere Steuererhöhungen ausgesprochen. Der Fox-Moderator Sean Hannity wirkte wie vor den Kopf geschlagen ob der Tausenden von SMS, die bei dem Sender eingingen. Sie verwiesen Mitt Romney auf den zweiten Platz und Giuliani auf den dritten, während die bisherige Printmedien-Favorit John McCain weit abgeschlagen auf vier Prozent kam.

Giulianis Frage war dennoch wichtig und berechtigt. Was also meinte Paul, als er sagte, die Mörder vom 11. September seien "hier bei uns, weil wir dort bei ihnen sind"? Nun, er wollte nicht den Massenmord an dreitausend Amerikanern entschuldigen. Er wollte die Wurzeln des Hasses erläutern, aus dem heraus die Selbstmordattentäter handelten. Vergessen wir nicht, daß Osama bin Laden zu jenen Mudschaheddin gehörte, die wir unter Ronald Reagan in ihrem Kampf gegen die Sowjetarmee unterstützten. Wir schickten ihnen Stinger-Raketen, Mörser, Sniper-Gewehre. Sie halfen, die Russen aus Afghanistan zu vertreiben. Paul ging es um die Frage, wie aus Verbündeten, die wir unterstützten, Feinde wurden, die die USA hassen. Etwa weil sie herausfanden, daß bei uns Meinungsfreiheit oder Trennung von Kirche und Staat herrscht? Hassen sie uns für das, was wir sind? Oder hassen sie uns für das, was wir tun?

In seiner Kriegserklärung von 1990 nannte Osama bin Laden zur Begründung die Präsenz von US-Truppen auf dem heiligen Boden Saudi-Arabiens, die Bombenangriffe auf ein darniederliegendes irakisches Volk, die Unterstützung für die israelische Verfolgung der Palästinenser. Bei anderer Gelegenheit hat er das Sykes-Picot-Abkommen aufgeführt, den britisch-französischen Geheimvertrag von 1916, der die Araber um ihre an der Seite Lawrence von Arabiens erkämpfte Freiheit betrog und ihnen statt dessen ein Vierteljahrhundert britisch-französischer Herrschaft und Erniedrigung bescherte. Fast alle sind sich einig, daß die Angriffe vom 11. September, so grauenhaft sie waren, keine anarchischen Terrorakte waren. Es handelte sich um politischen Terror, der ein politisches Motiv hatte und ein politisches Ziel verfolgte.

Welches politische Motiv macht Giuliani für den 11. September verantwortlich? Etwa daß wir gut und die anderen böse sind? Daß sie unsere Freiheit hassen? Ist es wirklich so einfach? Paul sagt, Osama bin Laden freue sich, daß wir im Irak einmarschiert sind. Hat er damit ganz unrecht? Die USA sind nun in einen blutigen Guerilla-Krieg im Mittleren Osten verwickelt und in arabischen und muslimischen Ländern verhaßt, wo wir einst als erste und größte Nation im Kampf gegen den Kolonialismus enorme Bewunderung genossen. Bildet sich irgend jemand ein, Osama bin Laden sei unglücklich darüber, wie es uns im Irak ergeht?

Einfach nur unerträgliche Wahrheiten ausgesprochen

Paul war als einziger der zehn Kandidaten, die sich in South Carolina der Debatte stellten, gegen den Irak-Krieg. Als einziger von ihnen stimmte er dagegen. Haben die vergangenen vier Jahre ihn nicht in seiner Haltung bestätigt? Inzwischen sind zwei Drittel der Bevölkerung mit ihm einer Meinung, daß der Krieg ein Fehler war, und Journalisten und Politiker der Linken wie der Rechten stammeln reumütig: "Hätte ich damals gewußt, was ich heute weiß ..."

Giuliani deutete an, daß es unpatriotisch von Paul sei, zu behaupten, die aus dem Mittleren Osten gegen uns gerichtete Gewalt könne eine Reaktion auf die US-Politik im Mittleren Osten sein. Verhielt sich Ex-Präsident Herbert Hoover unpatriotisch, als er am Tag nach Pearl Harbor an Freunde schrieb: "Sie und ich wissen, daß unser Land schließlich gebissen wurde, nachdem es die Klapperschlangen andauernd geärgert hatte."

Der japanische Angriff auf Pearl Harbor 1941 kam aus heiterem Himmel, aber er kam auch aus den problematischen Beziehungen zwischen beiden Ländern während der vorausgegangenen vierzig Jahre. Hitlers Überfall auf Polen entsprang nackter Aggression. Um ihn aber zu verstehen, müssen wir verstehen, was den Deutschen in Versailles angetan wurde - nachdem sie Wilsons Vierzehn-Punkte-Programm entsprechend ihre Waffen niedergelegt hatten. Wir entschuldigen nicht - aber wir müssen verstehen.

Ron Paul ist kein gewiefter Fernsehredner. Doch auf dieser Bühne in Columbia hat er unerträgliche Wahrheiten ausgesprochen. Verständlicherweise wollen die Republikaner ihn nicht noch einmal von der Leine lassen, damit er dem Land erklärt, wie die Partei in diesen scheußlichen Krieg hineinstolperte. Richtig so - dem einzigen, der in der Irak-Frage von Anfang an recht hatte, gehört unbedingt der Mund verboten!

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".


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