© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Keine Angst vor Heuschrecken
USA: Die Private-Equity-Gesellschaften sind die nächste Entwicklungsstufe des neuzeitlichen Kapitalismus
Elliot Neaman

Unter dem Titel "Barbarians at the Gate" (dt. "Die Nabisco-Story. Ein Unternehmen wird geplündert", 1993) bereiteten 1990 die Wall Street Journal-Reporter Bryan Burrough und John Helyar den bis dahin größten kreditfinanzierten Unternehmenskauf für ein breites Publikum auf - die Übernahme des Konzerns RJR Nabisco für 25 Milliarden Dollar im Jahr 1988. Das Buch wurde verfilmt, und es fiel schwer zu glauben, daß die Handlung nicht von Anfang bis Ende erfunden war. Letzte Woche wurde Alltel für 27,5 Milliarden Dollar übernommen - ein Vorgang, der inzwischen außerhalb der Wirtschaftsseiten kaum Schlagzeilen machte.

Das Wachstum der Beteiligungsgesellschaften (Private Equity/PE) bildet die nächste Entwicklungsstufe des neuzeitlichen Kapitalismus. Die Aktienmärkte haben sich mittlerweile in zwei Teile gespalten - noch dominiert der Handel mit börsennotierten Aktien, dessen global verzahnten Märkte ein enormes Wachstum dadurch verzeichneten, daß die Mittelschichten in den USA, Europa und den aufstrebenden Märkten ihre Ersparnisse in Investmentfonds und Rentenversicherungen anlegen.

Ohne Aufsichtsbehörde, Aktionäre und Gewerkschaft

Gleichzeitig haben sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre PE-Gesellschaften von kleinen Finanzclubs für einige wenige Superreiche zu Global Players entwickelt, die über Hunderte von Milliarden Dollar bestimmen. Sie verfügen über "heißes Geld": Kapital, das schnell überall auf der Welt von einem Markt in den anderen fließen kann. Börsennotierte Firmen werden aufgekauft, umstrukturiert und dann - häufig mit beträchtlichem Gewinn - wieder verkauft. Das PE-Prinzip funktioniert über die Aufnahme von Schulden und ähnelt insofern den kreditfinanzierten Übernahmen der Vergangenheit. Dank niedriger Zinssätze und der Möglichkeit, in den verschiedenen Märkten Kredite aufzunehmen (etwa japanische Yen zu einem günstigen Zins), sind diese Gesellschaften heute jedoch mächtiger als je zuvor. Mit einer Milliarde Dollar an Kapital können sie drei Milliarden Dollar an Vermögenswerten kaufen.

Arbeitnehmern und Regierungen bereitet der Aufstieg des PE-Phänomens große Sorge. Wenn eine PE-Gesellschaft ein Unternehmen kauft, ist sie nicht demselben Druck von Aktionären, Aufsichtsbehörden und Gewerkschaften ausgesetzt wie die Geschäftsführung einer AG. PEs senken die Ausgaben und entlassen Arbeitnehmer, um die Gewinnspanne zu erhöhen. Diese rücksichtslose Vorgehensweise hat ihnen den Zorn von rechten wie linken Antikapitalisten eingetragen - die hierzulande 2005 von SPD-Chef Franz Müntefering eingeleitete "Heuschrecken"-Debatte hält weiter an.

Denn die jüngste Übernahme von 80 Prozent von Chrysler durch die PE-Gesellschaft Cerberus ist ein Paradebeispiel. Als Daimler-Benz 1998 den maroden US-Autokonzern aufkaufte, hoffte man, unter deutscher Ägide ließe Chrysler sich in eine Art europäische Importmarke verwandeln, deren Wagen dann zu höheren Preisen verkauft werden könnten. Das hat nicht funktioniert, und die Ehe zwischen den beiden Traditionsunternehmen stand von Anfang an auf wackligen Füßen. Das Hauptproblem besteht darin, daß Chryslers Lohnkosten pro Arbeitsstunde um 30 Dollar höher liegen als etwa bei Toyota - Tendenz steigend. Die Gewerkschaft UAW hat praktisch ein Monopol auf die Stellung von Arbeitskräften für die "Großen Drei": General Motors, Ford und Chrysler. Da es in den USA keine gesetzliche Krankenkasse gibt, entstehen den Firmen hohe Kosten für die betriebliche Krankenversicherung. So haben US-Autohersteller an asiatische und EU-Konkurrenten Boden verloren.

Die Vorstellung, PEs seien "Heuschrecken", die über ein Unternehmen herfallen, sich vollfressen, um dann weiterzufliegen und eine verheerte Landschaft zurückzulassen, ist eine wüste Überzeichnung. Mit einer derartigen Strategie könnten Cerberus und andere keine Gewinne erzielen. Die Globalisierung ist ein schmerzhafter Prozeß, der von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern die rasche Anpassung an sich wandelnde Realitäten verlangt. Die Chrysler-Übernahme veranschaulicht, wie PEs die Herausforderung in einer vielleicht brutalen, jedoch effizienten Weise bewältigen. Wenn dabei ein besserer Autohersteller herauskommt, werden die kostensenkenden Maßnahmen langfristig bessere Autos und sicherere Arbeitsplätze schaffen. Davon wird auch die Daimler AG profitieren, die weiterhin 20 Prozent besitzt.

Kritiker wenden dagegen ein: Zwar sei es richtig, daß AGs fett und faul werden können und einen Ansporn brauchen, um effizienter zu werden. Doch AGs seien zumindest transparent. Sie sind verpflichtet, den Aktionären ihre Buchführung offenzulegen, und sind auch den sogenannten stakeholders Rechenschaft schuldig, den Arbeitnehmern und anderen Interessengruppen.

Solange die gegenwärtige Kapitalschwemme andauert

PEs seien allein einem geheimen Kreis reicher Investoren und Privatbanken verpflichtet. Die Undurchsichtigkeit der Transaktionen begünstige Insider- und sonstige unlautere Geschäfte. Aber wer kann etwas dagegen haben, wenn eine PE-Gesellschaft ein schlecht geführtes Unternehmen übernimmt und daraus eine profitable, besser geführte Firma macht? Freilich geht sie dabei auch ein hohes Risiko ein. Wenn das überschuldete neue Unternehmen Bankrott macht, verlieren die Investoren ihr Geld, die Arbeitnehmer aber ihren Lebensunterhalt.

Ob die Befürworter oder die Kritiker recht behalten, kann nur die Zukunft erweisen. Solange die gegenwärtige Kapitalschwemme andauert, kann nichts und niemand diesen Behemot aufhalten. Die Aktienmärkte gleichen einem großen Linienflugzeug: In der ersten Klasse sitzen die Superreichen - die Bankiers im Investmentgeschäft und die PE-Kapitalisten, die in einer Welt des Luxus leben, wie ihn nur wenige jemals erleben werden. Die bloß Reichen fliegen Business Class - die Investoren, die zunehmend komplexere Finanzprodukte wie Hedge-Fonds und Derivate kaufen. Und auf den Billigsitzen drängen sich die Kleinanleger in der bangen Hoffnung, daß der nächste Crash einen anderen Jumbojet auf die Erde zurückholen wird.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Foto: Daimler-Chef Zetsche vor Chrysler: An "Heuschrecke" verkauft


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