© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/07 08. Juni 2007

Schlimmer als in Nordfinnland
Demographie: Junge Frauen verlassen in Scharen Mitteldeutschland / Geburtenrückgang setzt sich fort / Mehr Sterbefälle als Neugeborene
Josef Hämmerling

Zwei in der vergangenen Woche veröffentliche Untersuchungen weisen auf besorgniserregende demographische Verhältnisse in Deutschland hin. So zeigte das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung auf, daß immer mehr Frauen aus den neuen in die alten Bundesländer umziehen und dadurch für das zahlenmäßig europaweit schlechteste Männer-Frauen-Verhältnis sorgen. In seinen Auswirkungen noch schlimmer ist allerdings, daß, wie vom Statistischen Bundesamt vorgelegt, immer mehr, vor allem auch hochqualifizierte Deutsche ins Ausland auswandern. Zudem zeigen die am Dienstag veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, daß der Schrumpfungsprozeß des deutschen Volkes weiter an Dynamik gewinnt.

Zwar zogen 2006 mit 662.000 Personen noch immer 23.000 Leute mehr nach Deutschland, als das Land verließen. Allerdings ging der sogenannte Wanderungsüberschuß gegenüber dem Vorjahr stark um 71 Prozent zurück, nachdem er von 2005 auf 2004 lediglich um vier Prozent gesunken war. Den Großteil der Zuwanderer stellten Ausländer mit 558.000 Personen (minus vier Prozent gegenüber 2005). Überhaupt ist seit 2001 die Zuwanderung von Ausländern nach Deutschland rückläufig. Dagegen zogen im vergangenen Jahr nur 484.000 Ausländer aus Deutschland wieder fort. Besonders beliebt waren erneut die alten Bundesländer, die fast zehnmal so viele Ausländer aufnahmen wie die neuen. Der Rest der Zuwanderung von 104.000 Personen entfiel vor allem auf rückkehrende Deutsche. Die Zahl der Spätaussiedler sank dagegen weiter auf nur noch 7.000 Personen, gegenüber 50.000 Spätaussiedler 2004 und 31.000 Leuten 2005. 155.000 Deutsche verließen im Jahr 2006 ihre Heimat. Während es vor allem Deutsche aus dem früheren Bundesgebiet und Berlin ins Ausland zog (143.000 Personen), waren es nur 12.000 Deutsche aus den neuen Bundesländern.

Das Statistische Bundesamt machte zwar keine Angaben über die Qualifikation der aus weggezogenen Deutschen, aus Unternehmerkreisen wird aber immer wieder darauf hingewiesen, daß vor allem Höherqualifizierte aufgrund besserer Verdienstmöglichkeiten und eines höheren Lebensstandards ihre Heimat verlassen.

Gleichzeitig zogen dem Amt zufolge 136.000 Personen aus den neuen in die alte Bundesländer, während nur 82.000 Menschen die umgekehrte Richtung wählten. Alle Zahlen zusammengerechnet, verzeichneten die alten Bundesländer einschließlich Berlin im Jahr 2006 einen Zuwanderungsgewinn von rund 73.000 Personen, während die neuen Bundesländer einen Wanderungsverlust von etwa 50.000 Personen hinnehmen mußten.

Größter Frauenmangel in Europa

Hierzu passen auch die Ergebnisse des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Danach sind aus dem Osten Deutschlands seit 1989 rund 735.000 Männer, aber 866.000 Frauen weggezogen. Dies betrifft vor allem die Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahre, wo ein Drittel mehr Frauen als Männer die neuen Bundesländer verließen. Insgesamt zogen bei den unter 30jährigen zwischen 1991 und 2005 rund 400.000 Frauen aus dem Osten in den Westen Deutschlands, gegenüber nur etwa 273.000 Männern. Dadurch hat sich in den jüngeren Erwachsenengruppen ein deutlicher Männerüberschuß herausgebildet. So kamen in allen Jahrgängen, die 2004 zwischen 22 und 32 Jahre alt waren, auf 100 Männer weniger als 90 Frauen. Damit ist der Osten Deutschlands noch frauenärmer als die unwirtlichen nordskandinavischen Regionen Pohjois-Suomi (Nordfinnland) und Övre Norrland (Schweden).

Interessant daran ist, daß diese Entwicklung nicht vom Arbeitsmarkt ausgeht, der für Frauen in den neuen Bundesländern deutlich mehr Chancen bietet als für Männer. Vielmehr ist die Hauptursache nach Erkenntnissen der Wissenschaftler der enorme Bildungsunterschied zwischen den Geschlechtern. Bundesweit erzielen heutzutage Mädchen und junge Frauen bessere, in den neuen Bundesländern sogar deutlich bessere Schulabschlüsse als ihre männlichen Altersgenossen. Diese Unterschiede wiederum liegen nicht in einer höheren Begabung der Mädchen begründet, sondern vielmehr besteht nach Feststellung des Berlin-Instituts eine erhebliche Benachteiligung junger Männer im allgemeinbildenden Schulsystem der neuen Bundesländer. Hinzu kommt, daß sich Frauen in Deutschland bei der Partnerwahl "tendenziell sozial nach oben" orientieren oder zumindest einen Partner auf gleicher sozialer Höhe suchen. Dies wiederum ist in den alten Bundesländern eher als in den neuen der Fall.

Gleichzeitig fanden die Forscher heraus, daß lokale Männerüberschüsse keineswegs das Kriminalitätsniveau erhöhen. Bestätigt wird dagegen die Vermutung, daß in so einem Fall "tendenziell mehr rechtsradikal gewählt" wird. Begründet wird dies durch "die Entwertung männlicher Rollenbilder durch das Wegbrechen dominierter Berufszweige sowie die Partnerlosigkeit".

Düster sieht es weiterhin bei den Geburten in Deutschland aus. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Statistiker in Deutschland 673.000 Geburten registriert. Das sind nochmals 13.000 weniger als 2005. Damit setzt sich der seit 1991 zu beobachtende Trend des Geburtenrückganges fort. Nur 1996 und 1997 waren mehr Kinder als im Vorjahr geboren worden. Die Zahl der Geburten war im vergangenen Jahr zudem um 149.000 Personen geringer als die Zahl der Sterbefälle, die bei 822.000 lag. Gegenüber 2005 nahm das Geburtendefizit um 5.000 Menschen zu. Seit 1991 hat es in Deutschland in jedem Jahr mehr Sterbefälle als Geburten gegeben.

Die Entwicklung bei den Geburten und Sterbefällen sowie die Wanderungsbewegung führte im vergangenen Jahr nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland zu einem Rückgang der Bevölkerung um 123.000 Personen. Am 31. Dezember 2006 lebten demnach noch 82.315.000 Menschen in Deutschland.

Vom Bevölkerungsrückgang waren vor allem die östlichen Bundesländer betroffen. Hier nahm die Einwohnerzahl gegenüber 2005 um 101.000 Personen ab.


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