© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/07 08. Juni 2007

Wir gebären doch nicht selber!
Karl Otto Hondrich begrüßt das Aussterben der Deutschen heiter als Zukunftsmodell
Ellen Kositza

Das gemeinschaftliche Einschwingen in apokalyptische Endzeitszenarien gilt als typisch deutsch. Diese German angst hat jedoch einen ebenbürtigen Partner: die radikal verfochtene Antithese, die gewohnt fix zur Stelle ist. Als prägnanteste Beispiele der düsteren Prognose dürfen die Klima- und die Demographiedebatte gelten. Gegenreden zur Klimakatastrophe wurden so zügig wie vielfältig gehalten. Längst verfügt jeder Laie über seine Privatmeinung zu Ausmaß, Schaden und Nutzen des CO2-Ausstoßes.

Nun steht uns die Revision des Demographiedebakels ins Haus. Beizeiten haben ja Feministinnen gegen die "erneute patriarchalische Mobilmachung der Gebärmütter" protestiert. Doch das erschien als eher symbolischer Grabenkampf zwischen Fronten, die längst geklärt waren. Zur Speerspitze der Anti-Natalisten ist nun, sinnigerweise postum (JF 5/07), der Frankfurter Soziologieprofessor Karl Otto Hondrich geworden. Kurz nach dem Tod des 69jährigen ist sein 280 Seiten starker Lobpreis des demographischen Wandels erschienen: "Weniger sind mehr. Warum der Geburtenrückgang ein Glücksfall für unsere Gesellschaft ist" (Campus Verlag, Frankfurt/Main 2007, 19,90 Euro). Der "sauertöpfischen" Logik der Bevölkerungswissenschaft wird hier heiter die Freiheit einer "Sozio-Logik" gegenübergestellt, deren Gelassenheit sich aus einer vermeintlichen Gewißheit speist: dem Glauben an die Selbstregulierung von Gesellschaften.

Wir werden weniger, aber wir werden "besser, wenn ein Teil der Familien verschwindet und wenn die Kinderzahl niedrig ist". Ein Endlich-sagt's-mal-einer-Aufatmen zieht sich nahezu unisono durch die Rezensionen des Buches. Selbst in als konservativ geltenden Publikationen werden Hondrichs Thesen bestätigend aufgenommen. Nonchalant lächelt der Soziologe dem "Schreckgespenst Vergreisung" entgegen: die Deutschen als aussterbende Nation? Keineswegs! Mit unserem Abbau bestehender "Kinderberge" (böse Analogiebildung zur Butterüberproduktion!) seien wir Avantgarde - sämtliche Kulturen würden künftig von einer hohen Reproduktionsbasis umbauen auf eine schmale Basis langlebiger Individuen.

Aber was ist - ein Zutreffen der Prognose vorausgesetzt - bis dahin? Wohin mit den zornigen jungen Männern, jenen youth bulges, die, gezeugt von anderen Ethnien, aus ihren beengten Räumen drängen, und zwar mit anderer Dynamik als der zivilgesellschaftlich befriedeten? Keine Rede davon - zumindest nicht aus Hondrichs Feder. Sein Zauberwort heißt Akkulturation, Austausch von Werten: "Beide Seiten gewinnen dabei, beide müssen Federn lassen."

Bedrohung der Institution Familie durch Gebärstreik? Von wegen! Je weniger Köpfe innerhalb einer familiären Bindung (Hondrich rechnet Homosexuelle und "Freundeskreise" hinzu), desto exklusiver und intensiver die Beziehungen! Was ist mit dem Wert von Elternschaft an sich - oder anders: wohin mit dem Kinderwunsch? Ach: "Was den deutschen Frauen an Mutterschaft entgeht, wird mehr als aufgewogen durch andere Entfaltungsmöglichkeiten."

Von solcher Warte betrachtet, erscheint der Gebärstreik als Gegenteil einer Dekadenzerscheinung. Leere Rentenkassen, wankende Sozialversicherungssysteme? Heute vielleicht - weil zu viele Kinder ihre Mütter davon abhielten, in jene Kassen einzuzahlen! Wörtlich: "Kinder sind der sozialen Sicherungssysteme Feind. Sie schmälern deren Einnahmen. Und sie erheischen Auszahlungen, konkurrieren mit Rentnern und anderen bedürftigen Gruppen." Arbeitskräftemangel? Nichts weniger als das! Die Frauenerwerbsquote werde steigen, ebenso die Produktivität, die Jugendarbeitslosigkeit werde sinken. Setzen prosperierende Länder nicht längst erfolgreich auf Arbeitskräfteimport?

In diesem Punkt widerspricht nicht allein die Sachlage, sondern der Autor sich selbst. Hat nicht derselbe Hondrich angemerkt, daß jede menschliche Gemeinschaft durch die "Präferenz für das Eigene" bestimmt sei? Daß ein Staat, der übergroßes Vertrauen auf integrative Kräfte und Fremdenfreundlichkeit setze, Bedürfnisse nach Identität mißachte und die Selbstzerstörung seiner Gesellschaft riskiere? Nun fordert Hondrich, sich dem Gedanken einer Arbeitsteilung zwischen produktiven und reproduktiven Kulturen zu stellen: Kinder in Brasilien oder Indien gebären zu lassen, um sie später als Arbeitskräfte zu nutzen und in unsere Sozialsysteme einzahlen zu lassen.

In einem Mix aus arglos-optimistischer Grundierung, ingenieursmäßigem Soziologiesprech und eingestreutem Plauderton liefert Hondrichs Steilvorlage trotz allem ein paar bedenkenswerte Einsichten: Es gab demographische Stabilität nie als Normalität; Politik wird in punkto Gebärfreudigkeit wenig ausrichten können; der schon lange währende Geburtenrückgang geht mir der Geburt des Individuums einher; schließlich: Jegliche Selbstregulation liegt in den Händen ebenjener Individuen. Wenn der Geburtenrückgang, wie Hondrich nahelegt, einem Ausleseprinzip gleiche: Keiner hindert uns - Fruchtbarkeit vorausgesetzt - daran, uns auf die Seite jener Evolutionsgewinner zu schlagen. Wir, das wäre dann allerdings nicht mehr als die eigene Sippe. Der Rest verläuft in Bahnen umspannender Transforma- tionsprozesse.

Einen beliebten Gesichtspunkt unter den angeblichen Vorteilen einer Schrumpfung hat Hondrich zu Recht ausgelassen: Kinderverzicht als Naturschutz. Mit dem Kurzschluß, weniger Einwohner bedeuteten verringerten Ressourcen- und Flächenverbrauch bei gleichzeitigem Mehr an "Wildnis", wurde zuletzt in der Vierteljahreszeitschrift Politische Ökologie aufgeräumt. Im Gegenteil läßt die Singlegesellschaft sowohl Verkehrsaufkommen als auch Wohnraumbedarf steigen; der Fortzug aus sich entvölkernden Regionen trägt zur breiten Neuversiegelung westdeutscher "Speckgürtel" bei, wogegen die energieaufwendigen Versorgungsnetze in Abwanderungsgebieten dennoch aufrechterhalten werden müssen. Verlassene Landstriche werden weniger renaturiert denn intensiv landwirtschaftlich genutzt - unterm Strich ist die "Entvölkerung" kein Gewinn für unsere Ökosysteme.

Nichtsdestotrotz nannte der Londoner Optimum Population Trust jüngst den Verzicht auf Kinder als einen hervorragenden Beitrag zum Klimaschutz. Der Vizepräsident des Instituts mahnte, das Beste was jeder für die "Umwelt und die Zukunft des Planeten tun könnte, wäre, wenn er auch weniger Kinder hätte". Angeblich würde der Verzicht auf ein weiteres Kind jährlich dieselbe Summe an CO2-Ausstoß einsparen, die 630 Hin- und Rückflüge zwischen London und New York hätten.

Weiter fliegen oder noch eins wiegen: Die Entscheidung dürfte dem mobilen Individuum recht leichtfallen, weil aus seiner Sicht - und mit Hondrich gesprochen - weniger in der Tat mehr ist.

Foto: Säuglingsstation in einem Krankenhaus mit einem einzigen Neugeborenen: Beim Abbau von "Kinderbergen" ist Deutschland Avantgarde


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