© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/07 08. Juni 2007

Wenn das Gold fehlt
Politische Zeichenlehre XXIV: Rot und Schwarz
Karlheinz Weissmann

Die dominierenden Farben bei der Demonstration am vorletzten Wochenende in Hamburg gegen das Asien-Europa-Treffen (Asem) und bei den gewalttätigen Ausschreitungen vorigen Samstag in Rostock im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm waren Rot und Schwarz. Seit den siebziger Jahren hat diese Farbkombination eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Das hängt vor allem mit dem Einfluß kleiner anarchistischer Gruppen auf die Gesamtlinke zusammen, die mindestens deren Symbolsprache zu dominieren wußten und die das (sozialistische oder kommunistische) Rot des mainstream durch Hinzusetzung des (anarchistischen) Schwarz überbieten wollten: Rot und Schwarz sind die Fahnen der "Antifa", Rot und Schwarz die Symbole des "Schwarzen Blocks".

Erfunden haben die Militanten die Zusammenstellung aber nicht. Es handelte sich ursprünglich um das Symbol des Anarcho-Syndikalismus. Eine Ursache dafür war, daß die Anarcho-Syndikalisten trotz ihrer Trennung von der sozialistischen oder kommunistischen Linken am traditionellen Rot festhalten wollten (einige Anarchisten wie etwa Peter Kropotkin hatten die rote Fahne sowieso niemals aufgegeben), aber immerhin eine Unterscheidung mit Hilfe des anarchistischen Schwarz vollzogen.

Eine diagonal rot und schwarz geteilte Fahne tauchte zuerst 1910 mit der Gründung der spanischen Confederación Nacional de Trabajadores (CNT) auf. Möglicherweise handelte es sich aber nur um eine Wiederentdeckung, denn es gibt Hinweise auf solche Fahnen, die seit den 1870er Jahren in Spanien, Mexiko, Italien und der Schweiz von Anarchisten verwendet wurden. Die CNT war eine syndikalistische Organisation, die den Sozialismus auf genossenschaftlicher Grundlage anstrebte und bis zum Spanischen Bürgerkrieg erheblichen politischen und gewerkschaftlichen Einfluß ausübte.

Von Spanien aus verbreitete sich mit den syndikalistischen Ideen die rot-schwarze Fahne zuerst nach Italien, wo sie während der "beiden roten Jahre" 1919/20 eine Rolle spielte, vor allem aber nach Lateinamerika. Anarcho-Syndikalisten in Mexiko benutzten Fahnen nach dem CNT-Muster, die dann der Revolutionär Sandino in Nicaragua übernahm; die "sandinistische" Bewegung der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN), die nach dem Zweiten Weltkrieg gegen das von den USA gestützte Regime in Nicaragua kämpfte, führte und führt dementsprechend eine allerdings waagerecht rot-schwarz geteilte Fahne.

Das Phänomen der Übernahme linker Symbole durch rechte Gruppierungen ist übrigens auch in diesem Fall zu beobachten. Die 1933 von Ledesma Ramos gegründeten "Nationalsyndikalistischen Angriffsverbände" - Juntas de Ofensiva Nacionalsindicalista (JONS), zu deren Mitgliedern auch dissidente Anarcho-Syndikalisten gehörten, führten eine senkrecht rot-schwarz-rot gestreifte Fahne, auf deren Mittelfeld in rot Joch und Pfeile aufgelegt waren. Diese Fahne übernahm die von José Antonio Primo de Rivera gebildete Falange Española, in der die JONS aufgingen und die später zur Staatspartei des frankistischen Spanien wurde. Nach dem Untergang des autoritären Regimes 1976 haben einige Splittergruppen versucht, die Falange wiederzubeleben; sie alle verwenden bis heute rot-schwarze Embleme.

Ob es einen Zusammenhang zwischen der Bedeutung von Rot-Schwarz für den spanischen Faschismus und dem verstärkten Auftreten dieser Farbkombination im italienischen Faschismus der Spätzeit gibt (eventuell vermittelt durch den gemeinsamen Kampf im Spanischen Bürgerkrieg), ist kaum noch zu klären. Auffällig erscheint allerdings, daß - nach der Gründung der Repubblica Sociale Italiana 1943 - Rot und Schwarz zu den bevorzugten Waffenfarben irregulärer Einheiten der faschistischen Republikaner gehörten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Rot und Schwarz seine Bedeutung fast völlig eingebüßt und kam erst wieder zu Ehren, als die Neue Linke symbolische Ausdrucksformen suchte, die nicht so brav waren wie die der Sozialdemokratie und nicht so kontaminiert wie die kommunistischen. Der romantische Rekurs auf die Linke der spanischen Republik spielte dabei genauso eine Rolle wie die Verklärung der Sandinisten. Mit wenigen Schnitten ließ sich bei jeder Anti-Brokdorf-Demonstration die Fahne am Bundeswehrparka in ein Symbol für den Kampf gegen das "System" umwandeln, indem man den gelben Streifen abtrennte.

Bundeswehrparkas sind längst verschwunden aus der Optik der linken Gewalttäter, die erinnert heute eher an active life outfits der besonderen Art, aber Rot und Schwarz gehören nach wie vor dazu.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Foto: Fahne der Bewegung der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN)


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