© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Auf der Suche nach einem Profil
Evangelische Kirche: Auf dem Kirchentag in Köln bleiben viele Wünsche offen / Erinnerung an den Erfurter Pfarrer Weißelberg
Christian Kanig

Profilschärfe lautete das Leitmotiv des Kirchentages. Nur, ein Profil zu bilden, hieße "wir" zu sagen, was den Ausschluß eines "Nicht-wir" bedeutet, und in solche Abgründe wollte kaum ein frommer Kirchentagsbesucher blicken. So geriet der Kirchentag zum heiteren "Wünsch Dir was".

"Globalisierung neu gestalten", lautete das Motto auf den orangenen Schals der Besucher. Und wahrlich, die Wünsche der Kirchentagsprominenz waren global und kein bißchen protestantisch bescheiden. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, forderte Religionsfreiheit in der arabischen Welt, Kirchentagspräsident Reinhard Höppner wünschte sich den Dialog mit den Taliban, Abdul Hadi Hoffmann den EU-Beitritt der Türkei, Pfarrerin Mechthild Werner den Hybrid-VW. Der Journalist Heribert Prantl wollte freie Migration für alles und jeden, Musikprofessor Dieter Schnebel endlich genauso viele Studenten in seinen Vorlesungen über den tschechischen Komponisten Janacek wie zu denen über Richard Wagner. Die Oberkirchenrätin Antje Haider-Rottwill wünschte sich eine Reformation in der Orthodoxen Kirche und Hans Joas eine im Islam. Der Publizist Alfred Grosser wünschte sich ein deutsch-französisches Geschichtsbuch und die SPD-Abgeordnete Angelica Schwall-Düren ein deutsch-polnisches.

Mit 110.000 Gästen ging am vergangenen Sonntag der 31. Kirchentag der EKD in Köln zu Ende. Auf knapp 3.000 Veranstaltungen diskutierten Prominente und Laien über das neue Profil der Kirche angesichts der Globalisierung, der islamischen Herausforderung, der demographischen Krise und des Scheiterns der Ökumene. Wegen der Krise der EKD war der Kirchentag mit Spannung erwartet worden. Die Kirche leidet unter Mitgliederschwund, Geldnot, Überalterung und einem verwaschenen Profil.

Bereits seit Monaten gab es Diskussionen um eine Neuausrichtung der Kirche. Huber und Bischöfin Margot Käßmann hatten im Vorfeld eine stärkere Profilierung angemahnt. Käßmann empfahl die Rückkehr zum "Kerngeschäft", zu Taufe, Konfirmation, Gottesdienst, Gemeindearbeit. Bischof Huber hatte statt der Ökumene die "Ökumene der Profile" ausgerufen und gefordert, Gewalt im Islam nicht länger zu ignorieren und der Religionsfreiheit in der islamischen Welt mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Allerdings könne die Kirche kein Profil vorgeben, betonte die Studienleiterin des Kirchentags, Silke Lechner, sondern neue Schärfe müsse von unten erwachsen. Doch der schmerzhaften Diskussion über "was wir sind" entging man durch wohlfeiles "was wir wollen".

Im Streit über "Deutschland, ein Zuwanderungsland?" mit Heribert Prantl, Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, und einer illegalen Ausländerin antwortete Innenminister Wolfgang Schäuble: "So illegal können Sie gar nicht sein. Sonst wären Sie ja gar nicht hier", und erntete die kollektive Empörung des Publikums. Schäuble blieb hart und fügte hinzu, daß illegale Migration entschlossen bekämpft werden müsse. Unter tosendem Beifall widersprach Prantl, daß grundsätzlich "kein Mensch illegal" und Integration eine Pflicht sei - und zwar die des Staates.

Ähnlich hohe Erwartungen an den Staat mußte Angela Merkel auf ihrem ersten großen Auftritt nach dem G8-Gipfel dämpfen. Auf die Kritik, daß man nicht genug für Afrika und das Klima getan habe, warnte die Pfarrerstochter: "Wir müssen aufhören, so zu tun, als ob es Erlösungsereignisse gibt, die die Welt von einem Tag auf den anderen besser machen."

Auf kleineren Podien ließen sich jedoch besorgte Stimmen vernehmen. Erika Mann, Mitglied der SPD-Fraktion im Europaparlament, erinnerte daran, daß das Bewußtsein für die Fremdheit erst wenige Jahre alt sei. "Wir reden seit 30 Jahren über kulturelle Vielfalt. Aber erst seit kurzem wissen wir, wie schwer das ist." Gret Haller, während des Bürgerkrieges in Jugoslawien OSZE-Menschenrechtsbeauftragte, fügte hinzu, daß Europa die Stabilität seit dem Westfälischen Frieden von 1648 seiner Homogenität verdanke, die im Dreißigjährigen Krieg teuer erkauft worden sei. Seit damals sei Europa nicht mehr so heterogen gewesen wie heute. Das wachsende Konfliktpotential könne nur ein starker Staat bändigen, der die Religionen in ihre Schranken verweise. Religionsfreiheit könne heute kein bedingungsloses Gut mehr sein, sondern erfordere Selbstbeschränkung.

Dem widersprach Margunn Sandal, Generalsekretärin der Norwegischen Kirchenakademie: "Die säkularen Humanisten in Westeuropa glauben, daß Europas Kulturen Räume sind, die man leerräumen kann, um sie neu einzuräumen. Religion sollte entweder gar nicht sein oder Privatsache. Aber so ist Religion nicht. Unser Glaube wurzelt im Boden, in den Mauern und Kirchtürmen, im Glockengeläut, in Geschichte und Sprache und ist die Grundlage für unseren Lebenskreis. Er ist keine Religion, die man in der Tasche trägt und wegwerfen kann, wenn sie einem nicht mehr paßt."

Auf dem "Markt der Möglichkeiten" verschrieben sich allein vier Stände dem "Kampf gegen Rechts". Der Verein der Verfolgten des Naziregimes (VVN), eine Vorfeldorganisation der DKP, gegen die ein Unvereinbarkeitsbeschluß der SPD existiert, sammelte Unterschriften für ein NPD-Verbot. Auch der DGB, der Bund der Religiösen Sozialisten Deutschlands und die Bundeszentrale für politische Bildung verteilten Broschüren gegen Rechtsextremismus.

Initiativen warnen vor Islamisierung

Ein auffälliges Novum auf dem 31. Kirchentag waren die vielen Aktivisten, die sich der Warnung vor dem Islamismus verschrieben hatten, wie die islamkritische Bürgerbewegung zur Bewahrung von Demokratie, Heimat und Menschenrechten e.V. (BDB), das Internetportal "Politically Incorrect" und eine Initiative zum Gedenken an den Erfurter Pfarrer Weißelberg (JF46/06), der im November 2006 die Selbstverbrennung aus Furcht vor dem Islam wählte. Zwar hatte man diesen Gruppen keinen Stand auf dem Kirchentag zugestanden, aber ihre Flugschriften und Auftritte auf Diskussionen machten die Angst vor der Islamisierung spürbar. Nicht nur einmal hatten die Moderatoren Schwierigkeiten, die Zwischenrufe der Islamkritiker in ruhigere Bahnen zu lenken. Auf eine Veranstaltung zum Moscheebau in Köln-Ehrenfeld und den Streit um die Äußerungen Ralph Giordanos (JF 23/07) hatte man wohlweislich verzichtet.


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