© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Verkehrte Welt im Oderbruch
Geschichtspolitik: Die Stadt Seelow hat eine Straße nach einem Ritterkreuzträger benannt
Marcus Schmidt

Verkehrte Welt im Oderbruch: Während überall in Deutschland die Namen von Straßen und Plätzen auf ihre politische und historische "Unbedenklichkeit" überprüft werden, ging die Stadt Seelow einen anderen Weg. Sie benannte eine Straße nach einem im Zweiten Weltkrieg gefallenen U-Boot-Kommandanten. Nun ist die Aufregung groß.

Einstimmig beschloß die Stadtverordnetenversammlung des östlich von Berlin gelegenen Städtchens im vergangenen Dezember, die Feldstraße im Ortsteil Werbig in Seibickeweg umzubenennen. Was auf den ersten Blick wie eine kommunale Routineangelegenheit erscheint, erweist sich beim genauen Hinsehen als Paradebeispiel für den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte. Der Fall hat alles, was ein richtiger Skandal braucht: aufgeregte Reaktionen, Distanzierungen, Warnungen und den üblichen Sturm der Entrüstung in den Medien. Ihren Ausgang nahm die Geschichte, als die Medien darüber berichteten, wer sich hinter dem Straßennamen Seibicke verbirgt: der mit dem Ritterkreuz ausgezeichnete Kapitänleutnant Günther Seibicke, der 1943 mit seinem U-Boot U 436 im Nordatlantik versenkt wurde und dessen Familie aus Werbig stammt.

Dort betrieben die Eltern auch einen Gasthof. Dieser sei der eigentliche Grund für die Namensgebung, versuchten sich SPD und Linkspartei, die der Umbenennung zugestimmt hatten, zu verteidigen. "Die wußten natürlich alle, wer Seibicke war", sagt dagegen Falk Janke, der für die Gruppierung "Die Rechte" im Stadtparlament sitzt und sich für die Umbenennung eingesetzt hatte. Und für die Medien war die Sache eh klar: "In Seelow erinnert neuerdings eine Straße an den Ritterkreuzträger der Kriegsmarine Günther Seibicke", empörte sich die Märkische Oderzeitung. Spätestens da dämmerte es den Politikern langsam, daß sie in den Augen der Öffentlichkeit als geschichtspolitische "Geisterfahrer" unterwegs waren.

Indes: Außer der Tatsache, daß Seibicke hochdekorierter U-Boot-Kommandant war, konnte gegen den Mann bislang nichts vorgebracht werden. Doch in den Augen der Umbenennungsgegner reicht es, "Nazi-Soldat" gewesen zu sein, um als Namensgeber einer Straße auszuscheiden. Der Bürgermeister von Seelow, Udo Schulz (SPD), der für die Umbenennung gestimmt hatte, hat seine Meinung mittlerweile geändert. Er habe nichts von dem Zusammenhang gewußt. Nun befürchtet er, daß die Straße zum Wallfahrtsort für "nationalistische Kreise" werden könnte. In der vergangenen Woche beschloß das Stadtparlament schließlich, den Seibickeweg in Feldweg umzubenennen. In Seelow, so scheint es, ist die Welt nun wieder im Lot.


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