© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

"In den Köpfen gibt es keinen cordon sanitaire"
Interview: Vlaams-Belang-Chef Frank Vanhecke über die Wahlen, die Zukunft Belgiens und die Unabhängigkeitschancen Flanderns
Irmhild Boßdorf

Gibt es nach den Wahlen in Flandern eine Mehrheit für eine Teilung Belgiens?

Vanhecke: Nicht so sehr für eine Teilung Belgiens, nur unser Vlaams Belang (VB) und die Neue Flämische Allianz (N-VA) wollen das. Aber es gibt doch eine große Mehrheit für eine weitgehende Staatsreform. Die Wahlallianz aus flämischen Christdemokraten und N-VA (CD&V/N-VA) schnitt unter anderem deshalb so gut ab, weil sie eine Kampagne führten für mehr Flandern - unter anderem die Teilung des Gesundheitswesens, die Teilung des Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde, die Forderung nach Zuständigkeit für die Arbeitsmarktpolitik. Unser VB fürchtet, daß sie diese Versprechen nachher nicht halten können oder wollen. Gleichwohl ist es sehr deutlich, daß die linken Parteien in Flandern durch die Wähler abgestraft wurden. Flandern stimmt deutlicher denn je rechts oder für die rechte Mitte. Eine andere Schlußfolgerung ist, daß Flandern und Wallonien einmal mehr wie zwei getrennte Welten erscheinen: Im französischsprachigen Wallonien bleibt die Linke in Führung.

Der VB hat erneut etwas zugelegt. Ist das Ergebnis so gut, wie Sie erwartet hatten?

Vanhecke: Der VB ist zufrieden mit dem Ergebnis des 10. Juni. Trotz der schwierigen Bedingungen bei diesen Wahlen - Konkurrenz von der CD&V/N-VA und zum ersten Mal auch durch die rechts-liberale Partei Liste Dedecker - erhielten wir erneut ein Fünftel der Wählerstimmen und behaupteten uns erneut als große flämische Volkspartei.

Sind die stagnierenden Ergebnisse in Antwerpen und Mechelen ein Zeichen dafür, daß der VB nicht mehr zulegen kann?

Vanhecke: Der Vlaams Belang bleibt in Mechelen größte Partei. Es darf auch nicht vergessen werden, daß die CD&V/N-VA aus zwei Parteien besteht. Auch in Antwerpen bleibt unsere Partei größer als diese Listenverbindung. Ich verhehle aber nicht, daß es immer schwieriger wird, in großen Städten noch zuzulegen. Das liegt einfach daran, daß die linke Regierung von Guy Verhofstadt dafür sorgte, daß 340.000 Ausländer die belgische Nationalität - und damit das Stimmrecht - bekommen haben. Und das in nur sechs Jahren! Natürlich hat das berüchtigte "Schnell-Belgier-Gesetz" einen Einfluß auf das Wahlergebnis: In den großen Städten stimmen immer mehr "neue" Belgier für die linken Parteien SP.A und Grüne.

Wird es nach diesen Wahlen noch immer einen starken "cordon sanitaire" geben?

Vanhecke: Den cordon sanitaire (die politisch-gesellschaftliche Totalisolation des VB) gibt es bei den traditionellen Politikern, aber nicht in den Köpfen der Flamen, die massenhaft für eine Programmpartei wie den VB stimmen. Unmittelbar nach den Wahlen gab der CD&V/N-VA-Chef die Losung aus, daß der undemokratische cordon sanitaire weiter Bestand haben werde. Das ist nicht hinnehmbar. Während Flandern rechts gestimmt hat, ist zu befürchten, daß dieses Land erneut von einer linken Regierung beherrscht wird.

Ist es möglich, daß der VB in Zukunft mit der Liste Dedecker zusammenarbeitet?

Vanhecke: Der VB will selbstverständlich mit jedem sprechen, der unseren Standpunkt teilt und ein Stück weit auf dem Weg zur flämischen Unabhängigkeit gehen will. Das Programm von VB und Dedecker hat eine Menge Gemeinsamkeiten: eine strengere Ausländerpolitik, eine stärkere Kriminalitätsbekämpfung und manches mehr.

Sehen Sie eine Chance, jemals mit der CD&V/N-VA zusammen zu arbeiten?

Vanhecke: Der VB hat schon häufiger die Hand nach der N-VA ausgestreckt. Unsere Programme überschneiden sich zu 90 Prozent. Die N-VA lehnte aber die ausgestreckte Hand ab und entschied sich für eine Zusammenarbeit mit der belgischen Partei CD&V. Für beide kommt nun der Moment der Wahrheit: Entweder führen sie tatsächlich eine weitgehende Staatsreform durch, oder es folgt bei den flämischen Wahlen 2009 die Quittung. Der VB wird die flämisch gesinnten Wähler beizeiten an diese Wahlversprechen erinnern.

Würden Sie gerne an einer belgischen Regierung beteiligt werden? Was würden Ihre Wähler dazu sagen?

Vanhecke: Unser Standpunkt dazu ist klar und deutlich: Der VB würde nur dann in eine belgische Regierung eintreten, wenn dies die letzte wäre: also um die Teilung zwischen Flandern und Wallonien zu regeln.

 

Frank Vanhecke, geboren 1959 in Brügge, war von 1996 bis 2004 Vorsitzender des Vlaams Blok. Nach dessen Verbot wurde er Chef des Vlaams Belang. Seit 1994 ist er EU-Abgeordneter, seit 2007 Mitglied der EU-Fraktion ITS.

 

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