© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Pankraz,
J. Freedland und das Imperium als Heil

Jonathan Freedland, der fleißige Kolumnist des Londoner Guardian, hat eine interessante Antithese aufgestellt: "Imperium oder Demokratie". Das Britische Empire, schreibt er, habe nach dem Zweiten Weltkrieg "mehr oder weniger freiwillig" auf sein Imperium verzichtet, und es habe dadurch die Demokratie für Großbritannien gerettet. Das alte Rom seinerseits habe einst unbedingt ein Imperium haben wollen und habe es auch bekommen, aber die Republik sei damit verspielt gewesen, es begann das Zeitalter der Cäsaren, Diktatoren und "Führer" (principes), ganz überwiegend ein Zeitalter der Schrecken, des Terrors und der Illiberalität.

Wie alle energischen Thesen und Antithesen hinkt die Behauptung Freedlands etwas, läßt automatisch nach Synthesen und Ausnahmen fragen. Daß aber manches auch für sie spricht, sieht jeder. Imperium heißt Herrschaft eines Führungsvolkes über andere, und warum sollten sich die anderen eine solche Herrschaft auf Dauer gefallen lassen? Widerstand der Beherrschten ist vorprogrammiert und damit auch harsche, "undemokratische" Gewaltmaßnahmen der Herrscher.

"In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen", heißt es in der Bibel, und das gilt zweifellos auch für das Haus der Herrschaftsformen. Demokratie ist kein Exportartikel, am allerwenigsten einer, den man gewaltsam einführen kann, indem man dem "Kunden" die Haustüre eintritt. Tut man so etwas dennoch, wird das Exportgut vergiftet, nicht nur beim "Kunden", sondern auch zu Hause beim Exporteur selbst. Sie verliert dort schnell jegliche Lässigkeit und Selbstverständlichkeit, denaturiert zur mißgestimmten Glaubenstrompete, aus der nur noch fanatische Töne herausquietschen.

Zahlreiche Politologen aus faktisch sämtlichen Lagern haben in der letzten Zeit darauf hingewiesen, daß Demokratie "von unten wachsen muß", um Wurzeln schlagen zu können, daß sich ihre Regeln in einem Land nur "organisch", nämlich im Takt ebenso tiefgreifender wie langfristiger sozialer und geistiger Entwicklungen, entfalten können. Wahre Demokratie und gewaltsame Revolution schließen sich, allem oberflächlichen Augenschein zum Trotz, gegenseitig aus. Hinzu kommt, daß es fast unendlich viele Formen demokratischer Machtbeteiligung, Abstimmung und Rechtewahrnehmung gibt, je nach regionaler Tradition und Lebensauffassung.

Die "moderne", strikt gleichmacherische Form des "One man, one vote" ist bei den maßgebenden politischen Nachdenkern, von Aristoteles bis Winston Churchill, stets auf große Skepsis gestoßen. Sie setzt weitgehende ethnische und religiöse Einheit, ungewöhnlich hohes allgemeines Interesse für Politik und hohen Bildungsgrad voraus, um halbwegs glaubhaft zu funktionieren. Sie ohne Rücksicht auf Verluste überall "einführen" zu wollen, wie das im Augenblick offenbar US-Präsident George W. Bush anstrebt, ist eine Torheit und gebiert horrende Schieflagen.

Schlimmster Imperialismus entstand immer dann, wenn Herrschaft und Religion miteinander vermischt wurden, genauer: wenn imperiale Herrschaft als Glaubensartikel über die Beherrschten kam und sie ständig zu fremden Lippenbekenntnissen und Anbetungszeremonien zwang. Im kommunistischen Ostblock war das bekanntlich der Fall. Zur Fremdherrschaft trat der Anspruch der Imperatoren, von Gott (oder vom Weltgeist oder vom "Gesetz der Geschichte" usw.) ermächtigt zu sein und als Erlöser und Heilsbringer anzukommen und ernst genommen zu werden.

An sich ist ja denkbar, daß ein Imperator als liberaler Bonhomme und Vielfarbenfreund ins Land kommt, indem er etwa sagt: "Leute, ich laß euch nach eurer Façon selig werden, ihr könnt in eurem eigenen Stil weitermachen und weiterwirtschaften, nur meine eigene Herrschaft solltet ihr doch bitte auch ein bißchen anerkennen, es wird gewiß nicht zu eurem Schaden sein." Einige römische Imperatoren in der Hochzeit des Reiches, Hadrian, Marc Aurel, haben in etwa so gesprochen und auch danach zu handeln versucht. Der Kommunismus war dazu nicht in der Lage, und zwar strukturell nicht, weil er eine ideologisch aufgeladene Heilslehre war.

Er ist inzwischen buchstäblich niedergebrannt, kein Imperator wagt mehr, seine Herrschaft im Namen des Kommunismus zu rechtfertigen. Andere Heilslehren sind an seine Stelle getreten, an erster Stelle und unübersehbar der Islam, der sich ja nie als "bloße" Religion verstand, von Anfang an auch als allumfassendes Ordnungssystem mit dem Ziel, eines Tages die ganze Welt zu beherrschen. Er wird als Herrschaftssystem, ahnt Pankraz, à la longue scheitern, genau wie der Kommunismus und bisher noch jede andere Heilslehre als Herrschaftssystem gescheitert sind.

Zwischen Heil und Herrschaft klafft ein geradezu metaphysischer Abgrund. Gute demokratische Politiker wissen das, haben es immer gewußt und sich deshalb stets davor gehütet, die Demokratie, im Grunde ein simples Instrument zur friedlichen Regelung von politischer Herrschaft, zum erlösungsträchtigen Heilsbringer und zur imperialen Weltformel aufzublasen. Daß diese Vorsicht jetzt in den USA und auch bei uns immer mehr schwindet, ist kein gutes Zeichen.

Freedlands Warnungen sind nur allzu berechtigt. Das ewige ideologische Herumgefuchtel mit dem angeblich notwendigen Demokratie-Export ist weder liberal noch dialogfördernd, es ist lediglich herrschaftswütig und weckt den Verdacht, daß hinter der vor Demokratie triefenden Rhetorik ganz banale ökonomische oder sonstwie eigensüchtige Interessen stecken.

Und es stimmt auch: Demokratie und Imperium vertragen sich nicht sonderlich gut. Wer im Namen der Demokratie imperial ausgreift, muß sich darauf einstellen, daß das Imperium, will sagen: die aus seiner Handhabung erwachsenden Notwendigkeiten und Zwänge, umgehend auf die eigene Demokratie zurückschlagen. Spitzelei, Kontrolle, KZ, Folter ziehen ein. Dann doch lieber freiwilliger Abzug im Stil des alten "British Empire".


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