© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Drinnen scheint die Sonne gelber
Knut war gestern: "Die schönsten Franzosen kommen aus New York" und erobern Berlin im Sturm
Wolfgang Saur

Am festlichen Eröffnungsabend zeigte sich Bundespräsident Köhler entzückt von den "herrlichen Impressionisten". Dieser Standardformel entspricht die öffentliche Bildkommunikation zum Ausstellungsereignis in der Neuen Nationalgalerie: Das meistkolportierte Motiv, Monets "Garten in Sainte-Adresse" (1867), zählt in Licht und Farbe und seinem Freizeitthema wirklich zu den Schlüsselwerken dieser Periode. Doch die Fülle ästhetischer Alternativen der "schönsten Franzosen" aus dem Metropolitan Museum konterkariert solche Schrumpfung des kunsthistorischen Weltbilds aufs impressionistische Klischee, als welches vielen die Malerei des 19. Jahrhunderts pauschal und der Franzosen speziell erscheint. Tatsächlich bilden die Impressionisten nur einen Zweig der großen New Yorker Schau in Berlin - 36 von 160 Werken -, die einen zeitlichen Bogen von 1801 bis 1920 schlägt.

Seltsam auratisch wirkt eingangs das Autoporträt der David-Schülerin Villers von 1801, dessen Lichtgrundierung das romantische Motiv der Inspiration geheimnisvoll variiert. Am Ende des Rundgangs begegnen uns dann die Vertreter der klassischen Moderne: Matisse mit ornamental verspielten Stilleben, Picasso in seiner Blauen Periode und die kühn stilisierten Frauenakte Modiglianis. Dazwischen tut sich das ganze Panorama französischer Kunst im großen Jahrhundert auf: arrangiert nach Gruppen, Stilformen, Schulen, Programmen. Es gibt Bekanntes, Altvertrautes; man ist glücklich, säkularen Ikonen zu begegnen; anderes überrascht, ist neu zu entdecken. Von Klassik und Romantik über Realismus und Impressionisten hin zu den Symbolisten, dann zu den Gruppen der Nabis und Fauves spiegelt die Ausstellung die stilgeschichtlichen Kämpfe dieses "französischen Jahrhunderts".

Das verdeutlicht auch und vertieft der zweite Standort des Berliner Sommers an den Staatlichen Museen: in der Alten Nationalgalerie, wo der gesamte heimische Bestand französischer Kunst aus dieser Zeit (60) präsentiert, dann freilich die Impressionisten der Berliner Sezession (1898 ff.) herausgestellt werden. Die 1876 eröffnete Nationalgalerie besaß schon französische Kunst, als ihr neuer Direktor (1896-1908) Hugo von Tschudi Impressionisten und Post­impressionisten in Paris erwarb und diese provokativ daheim installierte. Europaweit galt zeitgenössische Avantgarde im Museum als unerhört! Dieser Vorstoß bescherte der Nationalgalerie eine glanzvolle Abteilung, die bis heute unverändert zu bewundern ist, während daneben jetzt deutsche Impressionisten die Aufmerksamkeit fesseln, wieder aufgetaucht aus den Depots. Ihre Gliederung verläuft in fünf Sektionen: Porträts, "Stadt und Umland", "Haus, Garten, Interieur", "Frauen, Kinder" und "Landschaft".

Um 1900 propagierte ein Netz von Malern, Kritikern, Galeristen und Museumsleuten das Prinzip der "reinen Malerei" als Farbe und Form, deutete von da aus Tradition und entwarf den Weg zur Abstraktion. Der Realist Courbet nimmt das vorweg. Vier Meisterwerke von seiner Hand besitzt die Nationalgalerie. Die düster-leblosen Naturansichten schichten Farbe spachtelförmig und frieren mit der "Welle" (1870) höchste Dynamik ein zur Chiffre der Erstarrung - was Cézanne begeisterte. Der ideelle Aspekt der Kunst war Courbet verhaßt, sein Realismus forderte die "wahre Wahrheit". Dieser Autonomismus faszinierte die Tschudi-Clique, doch war er nicht das letzte Wort. Die Künstler gingen vielfach andere Wege. Das zeigen schon Ingres und Delacroix, die klassisch-romantischen Antipoden. Die perlartig-kostbare "Odaliske" (1834) Ingres', mit streng linearer Stilisierung und pathetischem Lichtkontrast, öffnet jetzt den Reigen der orientalischen Motive. Ihr Spezialist war Delacroix. Dieser Motivkomplex ist heute etwas angestaubt. Desto mehr triumphiert die Nationalgalerie mit Delacroix' delikat modelliertem Frauenakt (1820), einem Spitzenwerk, das seine Exoten überrundet - auch die aus New York.

In den 1850er und 1860er Jahren gestalteten die Maler der Schule von Barbizon "intime Landschaften". Hier überflügeln die Amerikaner mit den entrückten Idyllen Corots die Berliner Stücke und resümieren mit weiteren Bildern (Millet, Breton, Daubigny) glänzend diese nachklassische Landschaftskunst. Bretons "Unkrautjäterinnen" (1868) tritt mit seiner tröstlichen Abendstimmung den berühmten Ährenleserinnen Millets zur Seite.

Ein Glücksfall, daß das Metropolitan umbaut

Wurde Barbizon kanonisch, so entschied neuere Kunstkritik gegen die einst beliebten Salonmaler. Um so wichtiger nun, daß die Galerie der "schönsten Franzosen" Alexander Cabanels "Geburt der Venus" (1863) ausdrücklich würdigt, faßt es akademischen Geschmack doch in eine schlagende Bildformel: Der makellose Frauenkörper liegt, wie hingegossen, ausgestreckt auf einem Fels im Meer, während neckische Amoretten das so überirdische wie sinnlich berückende Wesen umschweben. Die glattpolierte Oberfläche samt mythologischem Apparat erlaubten den voyeuristischen Blick - was umgekehrt den Schock von Manets "Olympia" 1865 erklärt: eine prominente Pariser Hure, die ihren kalten, illusionslosen Blick direkt auf den Betrachter richtet (im Musée d'Orsay).

Das Metropolitan Museum zeigt weitere Meisterwerke Manets: Bilder seiner spanischen Periode der 1860er Jahre im flächigen Stil, dann die berühmten impressionistischen Familienbilder. Freunde dieser Stilform werden gewiß nicht enttäuscht: Man sieht die extraordinären Tänzerinnen Degas' und herrliche Landschaften Monets bis hin zu seinem berühmten Londoner "Parlament bei Nebel" (1904) - eine Huldigung an Turner, den englischen Propheten der neuen Malerei. Turner zeigt, daß es für den Impressionismus - ganz unabhängig von Frankreich - je nationale Anreger gab, so in Deutschland Rottmann, Blechen, Wasmann und vor allem Menzel. Was die heimische Lage in den Jahren 1890 bis 1910 betrifft, so sehen wir, wie wenig sie sich erschöpft im "Dreigestirn" Liebermann-Slevogt-Corinth, sondern eine Fülle von Begabungen aufweist wie Uhde, Max Uth, Reinhold und Sabine Lepsius, Lesser Ury, Wilhelm Trübner oder, als Glanzstücke, die Interieurs von Gotthardt Kuehl (1900) und Heinrich Hübner (1909).

Daneben steht als einsamer Gigant Hans von Marées. Auf französischer Seite entspricht ihm Puvis de Chavannes, der ganz aus der realistischen Entwicklungslinie herausfällt. Seine vier Meisterwerke unter den "schönsten Franzosen" werden jetzt für den deutschen Besucher zur kardinalen Entdeckung. Grau und pastellartig entfalten seine statuarischen Kompositionen einen monumental-dekorativen Flächenstil, dessen Figuren sich zu erhabenen Allegorien in einer arkadischen Landschaft zusammenschließen. Puvis steht mit Moreau und Redon für die Aspekte "Imagination", "Erfindung", die zum Surrealismus führen. Hier mag man auch die gewaltigen Plastiken Rodins verorten, die nach Berlin zu verbringen eine Herausforderung für sich war.

Daß das Metropolitan aufgrund von Umbauten seine Franzosen exklusiv nach Berlin gibt, wird die Sensation des Sommers. Eine Ankurbelung des Europatourismus, zweifellos. Man erwartet 500.000 Besucher, denen das neuartige Ticketsystem den Ausstellungsbesuch flott ermöglicht. Ein spezielles Rahmenprogramm wird Frankreich feiern.

Zu Recht. Gottfried Benn meinte im Rückblick auf Alteuropa einmal, "Kultur" im Vollsinn sei nur den Franzosen geglückt, gegen sie bleibe alles andere Fragment. Gewichtiges Zeugnis davon legt nun das Kunstfest der Berliner Museen ab.

 

Die Ausstellung ist bis zum 7. Oktober in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 22 Uhr, Sa./So. ab 11 Uhr, zu sehen. Tel.: 030 / 2 66 26 51

Fotos: Claude Monet, "Garten in Sainte-Adresse" (1867): Es gibt viel mehr zu sehen als nur Licht und Farbe; Jean-Auguste-Dominique Ingres, "Odaliske in Grisaille" (1867)


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