© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

Heilsame Unterbrechung
Verfassungsbeschwerde: Der Sonntag schützt unser Zusammenleben
Klaus Schwarzwäller

Mit einer Verfassungsbeschwerde wenden sich der katholische Erzbischof von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, und der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, gegen die faktische Abschaffung des Sonntags durch das Berliner Ladenschlußgesetz. Sie steht im Widerspruch zu dem in Artikel 140 Grundgesetz übernommenen Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Gleichzeitig werden aus ideologischen Gründen wesentliche Gehalte unserer Verfassung unterminiert. Drei gesellschaftliche Phänomene lassen sich dabei beobachten:

Da ist zunächst der unsere Zeit kennzeichnende Positivismus, der nur Nachweisbares gelten läßt und für real nimmt. In diesem Sinne sind real allein die vielfältigen Ausnahmen der Sonntagsruhe und die durch Untersuchungen belegte Verhältnislosigkeit der Bürger zum Sonntag überhaupt. Real auch die exakt quantifizierbaren Einbußen, die der Sonntag ökonomisch mit sich bringt. Als nicht real in diesem Sinne und damit beliebige Privatmeinung gilt das nicht Nachweisbare: vom dritten Gebot über die christlich-abendländische Tradition bis zu jener "seelischen Erbauung", von der Artikel 139 WRV im Zusammenhang mit dem Sonntag spricht. Alles das wird als grundsätzlich austauschbar und ersetzbar angesehen.

Da ist ferner der grassierende Individualismus. Er geht aus von "dem" Menschen, also vom abstrakt wahrgenommenen einzelnen als beliebig konfigurierbarem Individuum. Diese Individuen stehen in krassem Widerspruch zur menschlichen Realität: Der Mensch lebt in Gemeinschaft. Als einzelne real sind wir nur in existentiellen Grenzsituationen, in Einzelhaft und als Sklaven. Vor den einzelnen stehen unsere Eltern, und zu Menschen wachsen wir heran und bleiben es allein dadurch, daß wir mit Menschen zusammengehören, daß wir Mitmenschen sind. So allein leben und überleben wir. Wo man Menschen auf einzelne reduziert, gar von einzelnen ausgeht, hat man die menschliche Wirklichkeit und mit dieser unsere Menschlichkeit verlassen und verraten.

Und da ist schließlich der Liberalismus, der im Zusammenhang mit Positivismus und Individualismus die Freiheit des - "des" - Menschen vor allem in der Rendite als realisiert betrachtet: "Es muß sich rechnen." Was sich nicht rechnet, gilt als Hemm- und Störfaktor eines eindimensional auf Gewinn ausgerichteten Wirtschaftens. Der wirtschaftende Mensch wird wahrgenommen allein in der nachweisbaren Realisierung seiner individuellen Ziele.

Es ist ganz offenkundig: Das alles ergibt einen Tunnelblick, der die Realität nur in grotesk verengtem Ausschnitt wahrzunehmen vermag. Insbesondere läßt er sich in keiner Weise vereinen mit Artikel 6 des Grundgesetzes: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung."

Wo man diesen Verfassungsartikel von Positivismus, Individualismus und Liberalismus her liest, hat man ihn bereits unterhöhlt. Denn Ehe und Familie setzen ihrerseits Maßstäbe des Menschlichen: in der elementaren Zusammengehörigkeit von Menschen einerseits und in ihrer Unverrechenbarkeit mit sekundären Zwecken und Zielen andererseits. Aus dem gebotenen Schutz von Ehe und Familie resultiert jedoch auch, ihnen gebührenden Raum und angemessene Zeit einzuräumen. Das wird immer wieder übersehen.

Bei der Frage nach Aufgabe oder Schutz des Sonntags geht es um genau diesen Aspekt der Zeit. Die Situation einer ausdifferenzierten, hochkomplexen postmodernen Industrie-, Informations- und Dienstleistungsgesellschaft bringt es mit sich, daß Zeit immer weniger durch primäre Rhythmen bestimmt ist, individuelle Zeiten immer stärker differieren und gemeinsame Zeit von zusammengehörigen Menschen zunehmend nur mehr aus Überschneidungen resultiert. Verschlimmert wird die Situation durch die allseits ganz selbstverständlich geforderte "Flexibilität" derer, die Arbeit wollen - offenbar geht man von Nomaden aus. Alles in allem werden dabei Ehe und Familie kontinuierlich und konsequent ausgehöhlt und von innen heraus bedroht. Artikel 6 Grundgesetz pervertiert dabei umgekehrt zum unzeitgemäßen Schutz von längst Überholtem.

Der Sonntag paßt zu alledem nicht und stört auf der ganzen Linie. Er ist das letzte Bollwerk gegen den ökonomisch begründeten Verschleiß von uns Menschen, gegen die schleichende Erosion von Ehe und Familie und gegen das Übergehen von nicht Nachweisbarem, auch von Werten. Er ist es, weil er den Wochenrhythmus setzt, indem er einen freien Tag aus allen Zusammenhängen herausbricht, der nur in unbedingten, begründeten Ausnahmefällen zu Arbeit genutzt werden darf - unbegründet und jeder Rationalität spottend.

Der Einwand von Mißbrauch und ohnehin geschehender Arbeit liegt auf derselben Ebene wie das Prostitutionsargument gegen die Ehe oder das Sklavereiargument gegen die Freiheit und bedarf keiner Widerlegung. Wohl aber lehren geistliche Einsicht wie jahrtausendealte Erfahrung: Wenn und soweit man die Zehn Gebote suspendierte, wurde die Menschlichkeit verraten und verletzt. Gott läßt seiner nicht spotten.

 

Prof. Dr. Klaus Schwarzwäller lehrte Systematische Theologie an der Universität Göttingen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen