© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

National, liberal und streitlustig
Dieter Grillmayers nur teilweise erheiternde Geschichte der "Dritten Kraft" in Österreich
Herbert Ammon

Es bedarf keines tiefgründigen Studiums Machiavellis, um zu wissen, daß Doppelmoral zum Wesen der Politik gehört. Politik ist ein dreckiges Geschäft, weiß der Volksmund entgegen allen Maximen politischer Bildung. Während in der Bundesrepublik Deutschland diese Erkenntnis gewöhnlich nur bei Parteispendenaffären ans Licht treten darf, dienen im glücklichen Österreich "Hetz", Heuchelei und Skandale der alltäglichen Volksbelustigung. Obgleich die im Gefolge des Berliner Mauerfalls in "sozialdemokratisch" rückbenannte SPÖ sowie die mit den "Bünden" verbandelte ÖVP davon reichlich zu bieten haben, ist für Spektakel und mediale Dauererregung hauptsächlich das "Dritte Lager" zuständig - unter wechselndem Etikett: VdU, FPÖ, Die Freiheitlichen, BZÖ, und immer wieder Haider, für dessen wechselnde Gefolgschaft "der Jörg".

Wer das umfangreiche Buch von Dieter Grillmeyer zur Hand nimmt, wird für die streckenweise ermüdende, an allzu penibler Chronologie aufgereihte Geschichte der "Dritten Kraft" oder des "Dritten Lagers" (Adam Wandruszka) mit wissenswerten Fakten und (nicht immer nur humoresken) Details entschädigt. Zu den im "linken" Lager ungeliebten historischen Realitäten gehört die gemeinsame Herkunft der "Blauen" (Freiheitlichen) und der "Roten" (Sozialisten) aus der nationalen und liberal-demokratischen Revolution von 1848. Großdeutsche Programmatik und antiklerikaler Liberalismus waren kennzeichnend für die deutsch-nationale Bewegung. Am Linzer Programm (1882) der Deutschnationalen Partei Georg von Schönerers, der wenig später, teilweise inspiriert von den demagogischen Erfolgen des Christlich-Sozialen Karl Lueger, vom nationalen Liberalismus zum alldeutschen Antisemitismus umschwenkte, arbeiteten noch jüdische Burschenschafter wie der Historiker Heinrich Friedjung und der spätere Austromarxist Victor Adler mit. Zu den Schönerianern zählte ursprünglich der als "Bier-Zeus" bekannte Engelbert Pernerstorfer, der erst 1896 den Sozialdemokraten beitrat.

In den 1920er Jahren intonierten die Volksschüler im "roten" Wien das Deutschlandlied, um so "die nationale und republikanische Erziehung der Jugend" zu fördern. Karl Renner, 1945 erster Präsident der II. Republik, stimmte 1938 (nach dem Einmarsch der Wehrmacht) - wie im anderen Lager die Bischöfe - öffentlich für den "Anschluß". Die Kommunisten fochten bis in die Volksfrontära für ein großdeutsches Sowjetreich. Nach 1945 hielten nur noch Einzelne wie der nach New York emigrierte Linkssozialist Friedrich Adler (Sohn Victor Adlers) an großdeutschen Zielen fest.

Das alles steckt jüngeren österreichischen "Antifaschisten", soweit überhaupt mit historischen Elementarkenntnissen ausgestattet, vielleicht noch als Stachel im Bewußtsein. Vergessen scheint, daß die Nachkriegs-SPÖ bei der Entstehung des Verbandes der Unabhängigen (VdU), 1949 gegründet von politisch unkompromittierten Persönlichkeiten wie dem Wirtschaftsjournalisten Herbert Kraus Salzburger Nachrichten-Chefredakteur Viktor Reimann, Geburtshilfe leistete, um die "schwarze" Konkurrenz ÖVP zu schwächen. Bei den Unabhängigen sammelten sich in der Tat viele "Ehemalige", während die bei den Proporzparteien, vor allem bei der SPÖ, untergekommenen Nationalsozialisten nicht so stark auffielen.

Erst recht galt dies für die 1955 von dem ehemaligen NS-Funktionär Anton Rheintaller geführte Freiheitspartei, bei deren Gründung Bundeskanzler Julius Raab die Fäden zog. Aus der Verbindung der beiden Gruppen ging die FPÖ hervor, die nach den Nationalratswahlen 1956 mit ihren wenigen Abgeordneten in der Mitte - nicht etwa rechtsaußen - Platz nehmen durfte. Die Anrüchigkeit wurde die Partei nur vorübergehend los, als Bruno Kreisky sie 1970/71 in die Regierung holte. Kreisky hielt zu dem als Liberalen bekannten FPÖ-Chef Friedrich Peter, als dieser wegen seiner Zugehörigkeit zur SS-Division "Das Reich" von Simon Wiesen­thal attackiert wurde. Nach Kreiskys Tod verhängten die Sozialisten unter Franz Vranitzky über die FPÖ die Quarantäne.

National und liberal, liberal und/oder national? Der Widerspruch begleitet die Freiheitlichen seit ihrer Konstituierung. "Nationale" Bekenntnisse gerieten im Umfeld der Freiheitlichen nicht selten zweideutig, umgekehrt gehört die "Nazifizierung", das Anhängen von NS-Verdacht, bei ungeliebten Gegnern zum politischen Geschäft. Anders als in der Bundesrepublik wirkt das Verfahren in Österreich nicht unbedingt tödlich.

Der Autor, studierter Mathematiker und langjähriger Obmann des freiheitlichen Lehrerverbandes, ist seiner Herkunft nach ein typischer Repräsentant der beiden "freiheitlichen" Traditionslinien. Ungeachtet der jüngsten Querelen und Spaltungen ist er der FPÖ als Mitglied verbunden geblieben, in kritischer Distanz zum einstigen Haider-Protegé Andreas Mölzer. Dessen prononciert deutsch-nationales Bekenntnis hält er für kontraproduktiv. Sein Buch ist frei von falschen Zungenschlägen, aber reich an Beispielen der "Sager" - Versprecher, Fehlleistung und/oder gezielte Provokation -, mit denen maßgeblich Jörg Haider zu Ruhm gelangt ist.

"Mangelnde Geschlossenheit, Streitlust und Besserwisserei waren immer schon die Schwachpunkte des Dritten Lagers, und gerade die jüngste Vergangenheit zeigt, daß sich daran bis heute nichts geändert hat." Die von unendlichen Intrigen, Spaltungen und Kurswechseln bestimmte Parteigeschichte gerät über lange Strecken zur unverdaulichen Kost. Straffung hätte dem Buch gutgetan.

Von größerem Interesse sind oft die in den Fußnoten verstreuten Informationen: Jörg Haiders Vater, ein Schuhmacher, konvertierte von der Sozialdemokratie zur NSDAP. Wolfgang Schüssel ("Wir Österreicher sind keine halben Deutschen, wir sind Österreicher") ist mit der NS-Problematik aus der Familiengeschichte vertraut. Die Sinti und Roma verdanken ihre Anerkennung als Minderheit der FPÖ, für Umweltschutz fochten die Mannen um Haider schon vor den Grünen.

Einen Überblick über die 1945 staatstragend vollzogene Abkehr von dem einst in allen Lagern selbstverständlichen Bekenntnis zu deutscher Kultur und Geschichte und die Hinwendung zur österreichischen Nation bietet im Anhang der Aufsatz von Walter Kristanz. Lothar Höbelt hat ein Vorwort beigesteuert. Als Fachhistoriker hätte er den Passus, Hitler sei in Deutschland - im Gegensatz zu Kurt Schuschnigg in Österreich - "auf demokratischem Weg, also durch freie Wahlen, an die Macht gekommen", nicht überlesen dürfen. Der Satz paßt zwar ins Curriculum ("Tätervolk") der erweiterten bundesdeutschen Gesamtschule, zielt aber an den historischen Fakten vorbei. Hitler verdankt die im Rahmen der strapazierten Weimarer Verfassung legale Machtübertragung ("Machtergreifung") am 30. Januar 1933 dem bis dato widerstrebenden Reichspräsidenten Hindenburg. Bei den noch halbwegs freien Wahlen am 5. März 1933 kam die NSDAP auf 43,9 Prozent. Zutreffend ist die Genealogie: Die NSDAP verdankt Namen und Symbol der 1913 etablierten österreichischen DSNAP. Deren Parteigründer Walter Riehl "wanderte" nach dem 13. März 1938 wegen kritischer Äußerungen ins Gefängnis.

Dieter Grillmayer: National und liberal. Die Geschichte der Dritten Kraft in Österreich. Edition Genius, Wien 2006, gebunden, 432 Seiten, 29 Euro

Foto: Jörg Haider (Pennalburschenschaft Albia Bad Ischl) mit Korporierten: Gezielte Provokationen


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