© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

Schatten und Schild des Erzengels Michael
Vor achtzig Jahren begründete Corneliu Codreanu seine Legion / Revolutionär-religiöser Aufbruch der rumänischen Jugend
Manfred Müller

Wohin ich auch meine Schritte lenkte, überall fühlte ich über mir den Schatten des heiligen Erzengels Michael." Dies schrieb Corneliu Zelea Codreanu (1898-1938) im Rückblick auf eine folgenschwere politische Tat: die Gründung der "Legion Erzengel Michael". Vor achtzig Jahren, am 24. Juni 1927, schuf der charismatische Studentenführer Codreanu zusammen mit einigen Studenten eine politische Gemeinschaft, die - straffer geführt als die nationalistische Partei, der er bis dahin als Organisationsleiter gedient hatte - eine Neuordnung Rumäniens in Angriff nehmen sollte.

Wer Codreanu und seine Bewegung verstehen will, kann sie, wie in der zeitgeschichtlichen Forschung üblich, den "faschistischen" Bewegungen der Zwischenkriegszeit zuordnen. Die Eigentümlichkeit der Legion erschließt sich aber erst ganz, wenn man ihr religiöses Selbstverständnis erfaßt. Denn Codreanu unternahm den Versuch, allen Säkularisierungstendenzen zum Trotz - welche sich in Rumänien noch nicht so stark durchgesetzt hatten wie in den meisten Teilen Europas - eine Gemeinschaft aufzubauen, in der orthodoxes Christentum und glühende Vaterlandsliebe zu einem solidarischen Aufbruch der Nation führen sollten.

Einteilung ihrer rumänischen Landsleute in Gute und Böse

Zeit und Umstände drängten, da Codreanu und seine Freunde Rumänien am Rande des Abgrunds sahen. Schuld daran waren die "Mächte der Finsternis", die "Höllenbrut". In den Augen Codreanus und seiner Anhänger waren dies vor allem die "Politikaster", die etablierten Politiker des korrupten rumänischen Systems, die in ihrer Unfähigkeit und Selbstsucht - so die Meinung dieser radikalen jungen Leute - Rumäniens christliches Erbe verspielten und in den Untergang führten. Insbesondere griff man Parteifunktionäre jüdischer Herkunft an, die Marxismus oder Liberalismus repräsentierten. Codreanu, wie seine Freunde orthodoxer Christ, sah sich von Gott auserwählt, "das Volk auf gesündere Bahnen zu führen". Neben der Gottesmutter verehrte er besonders stark den heiligen Michael. Er vertraute fest darauf, der Erzengel werde den Kämpfern der neuen Organisation beistehen: "Der Erzengel leitet uns, er verteidigt uns, er kämpft an unserer Seite, und mit seiner Hilfe werden wir siegen. Damit er uns aber beisteht, müssen wir an Gott und die Macht seines Erzengels glauben." Michael sei in besonderer Weise Schutzpatron der Legion: "Wir haben den heiligen Erzengel Michael nicht wie einen einfachen Schutzpatron, wie die Schuster, die Kutscher, die Händler und andere Handwerksgilden einen Schutzpatron haben mit einer Fahne, einer Ikone und einem Tag im Jahr, an dem man zu Ehren des Schutzpatrons ißt und trinkt. Manchmal artet dies dann aus, und man prügelt sich sogar. Bei uns ist der Erzengel lebendig! Er lebt! Er ist lebendiger und stärker als alle Mächte des Bösen in der Welt!"

Eine Michaels-Ikone, die Codreanu während einer Gefängnishaft Trost gespendet hatte, wurde zum "magischen Zeichen" (Ernst Nolte) der Legion . "Je mehr Schwierigkeiten uns bedrängen werden, desto mehr werden wir unter dem Schild des heiligen Erzengels Michael und im Schatten seines Schwertes stehen." Der orthodoxe Glaube hatte zur Nationsbildung der Rumänen entscheidend beigetragen, daher ist diese Ausrichtung auf St. Michael, der sich bei den Orthodoxen großer Beliebtheit erfreut, nicht verwunderlich. Auf die Bedeutung des Namens Michael anspielend (Wer ist wie Gott), bekannte Codreanu: "Während ich diese jungen Leute durch die Gründung der Legion dem Haß der Welt aussetzte, gab ich ihnen gleichzeitig das notwendige Gegengift, den Glauben an Gott." Für die Verbindung von rumänischem Nationalismus und inniger Michaelsverehrung fand Codreanu folgende Formel: "Dies sind die feststehenden Grenzen unserer Bewegung: die eine Spitze steckt in der Erde unseres Vaterlandes und die andere im Himmel: der Erzengel Michael und die Heimaterde."

Die Legion verstand sich als eine Bewegung vor allem der jungen Generation, sie setzte auf die Heranbildung des "neuen Menschen" und auf ein neues Ethos: Disziplin, Selbstverleugnung, Unbestechlichkeit, Fleiß, Mut. Die Legionäre übten dies in Arbeitslagern ein. Die Teilnehmer (überwiegend Studenten und junge Akademiker) stellten sich die Aufgabe, den Bauern bei der Ernte zu helfen, Wege anzulegen, Brücken auszubessern, Kirchen zu bauen oder zu renovieren. Codreanu versuchte, die bäuerlichen Massen für seine Ideen zu gewinnen, die Studentenschaft und die Intelligenz an sich zu ziehen, aber auch in die Arbeiterschaft einzudringen.

In ihrem Radikalismus, in der fanatischen Einteilung ihrer Landsleute in Gute und Böse, erlagen die Legionäre immer wieder der Gefahr, das Volkstum, zu dem sie sich bekannten, absolut zu setzen und auch vor Terrormaßnahmen gegen ihre Feinde nicht zurückzuschrecken. Zu dieser Gewaltanwendung trugen bei: geschichtliche Auswirkungen wie die Türkenherrschaft, die grausam tückische Repression durch die Herrschenden und die Überzeugung der Legionäre, der Drachensturz der Apokalypse rage aus den heilsgeschichtlichen Zusammenhängen in die Weltgeschichte hinein. Codreanu schrieb in einem Aufruf zum Michaelstag 1934: "Wir verharren in unserem unerschütterlichen Glauben an des heiligen Erzengel Michaels mitleidloses Schwert." Und im Legionärslied aus dem Jahre 1933 heißt es: "Der Erzengel half uns,/ den Schuldigen zu strafen ...". Die Tätigkeit der Legion spiegelt sich wider in bedeutenden Romanen der rumänischen Nationalliteratur, so etwa in Büchern des als Religionswissenschaftler berühmt gewordenen Mircea Eliade ("Der verbotene Wald"; "Die Hooligans").

König Carol II. ließ Codreanu 1938 ermorden

1930 gründete Codreanu als parteipolitisches Instrument die Eiserne Garde, zu deren Kernbestand die Legionäre gehörten. 1937 stellten die Gardisten die drittstärkste Parlamentsfraktion. Den Vernichtungsschlag gegen die Legionärsbewegung konnte auch eine Woche des Betens und Fastens nicht aufhalten, zu der Codreanu Ende Februar 1938 alle seiner Bewegung "seelisch Verbundenen, Bauern und Städter, alt und jung" aufrief. Codreanu und viele seiner Mitstreiter wurden auf Befehl des rumänischen Königs Carol II. ermordet. Wenige Monate vor seinem Tod schrieb Codreanu in Kerkerhaft: "Möge Gott mein Leid entgegennehmen, zum Wohl und zur Blüte unseres Volkes."

Foto: Der rumänische Politiker, Antikommunist und Antisemit Corneliu Zelea Codreanu (Mitte mit Weste) im Kreise seiner Anhänger (undatiert): Verbindung von Nationalismus und inniger Michaelsverehrung


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