© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Maximal Feuchtgebiete
Korruptionsaffäre: Die Sächsische Staatsregierung wehrt sich gegen den Vorwurf, im Freistaat regiere die Organisierte Kriminalität
Paul Leonhard

Sachsen fürchtet um seinen guten Ruf. Und so wird die Staatsregierung nicht müde zu beteuern, daß es mitnichten einen Korruptionssumpf trockenzulegen gibt. Maximal "Feuchtgebiete" gebe es, räumt Justizminister Geert Mackenroth (CDU) ein.

Seit vier Jahren beobachtet der sächsische Verfassungsschutz Strukturen der Organisierten Kriminalität (OK). Lange Zeit war nur Insidern bekannt, auf welche brisanten Strukturen die Verfassungsschützer dabei gestoßen sind. Und hätte nicht Sachsens Datenschutzbeauftragter die Vernichtung von umfangreichem Material über die OK verlangt, das nach seiner Einschätzung rechtswidrig gesammelt worden war, wüßte heute niemand, daß es in Sachsen offenbar seit langem ein mafiöses Netzwerk gibt, in dem Politiker, Polizisten und Justizbeamte zappeln. Es ist die Rede von Bestechlichkeit, Rechtsbeugung, Immobilienschiebereien, Strafvereitelung im Amt, Sexual- und Rauschgiftdelikten, Körperverletzung. Für Schlagzeilen sorgten vor allem die Berichte über ein Kinderbordell in Leipzig, das auch von Politikern besucht worden sein soll.

Genaues weiß man nicht. Von den Dossiers, die 15.000 Seiten umfassen sollen, ist erst ein Bruchteil der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Daß die Gerüchteküche brodelt, wird durch das ungeschickte Agieren der Staatsregierung befördert. Diese weist zwar in der Korruptionsaffäre alle Schuld von sich, nährt aber gleichzeitig die Ängste vor noch immer aktiven Mafiastrukturen. Die Netze der Organisierten Kriminalität seien noch immer aktiv, warnte Innenminister Albrecht Buttolo (CDU). Jeder, der sich an der Aufklärung beteilige, müsse damit rechnen, bedroht zu werden. Die Generalbundesanwaltschaft ist da skeptisch. Sie bezweifelt, ob überhaupt ein Anfangsverdacht für die Existenz einer kriminellen Vereinigung besteht, und hat es folgerichtig abgelehnt, die Ermittlungen zu übernehmen. Damit liegt das Heft des Handelns sehr zum Leidwesen des Kabinetts von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) weiterhin bei der sächsischen Justiz.

Die Opposition fordert unabhängige Ermittler

Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen rund fünfzig Fallkomplexe aus dem Datenmaterial herausgefiltert. In gut zwei Dutzend davon hatte die Justiz schon einmal ermittelt - für die Opposition aus Linkspartei, FDP und Bündnisgrünen, die das unsichere Agieren der Staatsregierung weidlich ausnutzt, erneut ein Fingerzeig. Während Justiz- und Innenminister fast gebetsmühlenartig wiederholen, daß Sachsen kein Sumpf sei und die Staatsregierung nichts vertusche, weist der Landtagsabgeordnete und frühere Stasi-Zuträger Klaus Bartl (Die Linke) genüßlich darauf hin, daß "mit der Aufklärung der Korruptionsaffäre beauftragte Staatsanwälte nun Fälle aufarbeiten, die sie bereits früher bearbeitet haben".

Der mit Geheimdienstarbeit vertraute Bartl meint Ermittlungschef Henning Drescoll. Bis 2001 Leitender Oberstaatsanwalt in Chemnitz, habe dieser bis in die neunziger Jahre mehrfach Verfahren zur OK bearbeitet. Und Drescolls Stellvertreter Wolfgang Schwürzer soll im Oktober 2002 bei einer Razzia mit der OK in Berührung gekommen sein. Er habe Bedenken, "wenn beide nun ihre Arbeit von damals bewerten müssen", sagt Bartl. Die Opposition fordert unabhängige Ermittler, und die rot-schwarze Staatsregierung ist bereits eingeknickt.

Mackenroth hat einen Gerichtspräsidenten aus Süddeutschland gebeten, als neutraler Beobachter zu fungieren. Gleichzeitig weist er den "unerhörten Generalverdacht" gegen Richter und Staatsanwälte zurück: "Wer wegen eventueller schwarzer Schafe nur noch schwarzsieht, riskiert Blindheit und treibt ein gefährliches Spiel."

Trotzdem scheint es so, als ob die Staatsregierung immer mehr zum Getriebenen wird. Jetzt mußte sie einräumen, daß der Inhalt von mehr als vierzig Aktenordnern mit brisantem Material "versehentlich vernichtet" worden sei. Zuvor war dem Verfassungsschutz vorgeworfen worden, der Parlamentarischen Kontrollkommission und den Ermittlungsbehörden nur zögerlich Material zur Verfügung gestellt zu haben.

Inzwischen wurde Verfassungsschutzpräsident Rainer Stock durch seinen Vorgänger Reinhard Boos abgelöst. Der will alle Akten der Justiz übergeben. Die Opposition mißtraut diesem Versprechen. Sie fordert die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses des Landtages. Die Entscheidung darüber soll Anfang Juli fallen.

Foto: Minister Mackenroth (l.) und Buttolo: "Es wird nichts vertuscht"


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen