© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Generalangriff auf die schlesische Identität
Kreisreform: Der Name Niederschlesien droht endgültig von der Landkarte zu verschwinden / Streit um die Zugehörigkeit der Region zur Oberlausitz
Paul Leonhard

Der Name Schlesien dürfte im kommenden Jahr endgültig von der politischen Landkarte der Bundesrepublik verschwinden. Im Juli 2008 werden die beiden ostsächsischen Landkreise Löbau-Zittau und der Niederschlesische Oberlausitzkreis gemeinsam mit der noch kreisfreien Stadt Görlitz zum Landkreis Görlitz fusionieren.

Der Zusammenschluß erfolgt keineswegs freiwillig, sondern auf Druck der Landesregierung, die die Zahl der Landkreise von gegenwärtig 22 auf zehn und die Zahl der kreisfreien Städte von sieben auf vier verringern will. Politisch scheint alles klar zu sein. Außerhalb der Kommunalpolitik ist aber die Debatte erneut entfacht, ob die Region den Namen Schlesien beziehungsweise Niederschlesien führen darf oder nicht. Die Emotionen kochen hoch. Es geht darum, ob Görlitz und die nördliche Region zur Oberlausitz und Sachsen oder zu Schlesien gehören.

Eine Diskussion, die mit dem Wiederentstehen der alten Länder auf dem Gebiet der DDR schon einmal in aller Härte geführt wurde. Seinerzeit war der Druck der Schlesier so groß, daß die Region um Görlitz in der sächsischen Verfassung einen Passus zugebilligt bekam, nachdem hier gleichberechtigt zu den Farben Sachsens die Niederschlesiens offiziell gezeigt werden dürfen. Seitdem hängt bei festlichen Anlässen vor dem Rathaus auch die niederschlesische Fahne. Das Verschwinden Niederschlesischens empfinden nun vor allem die sich als Schlesier fühlenden Menschen als einen Generalangriff auf die eigene Identität. Der Schlesische Heimatbund in Niesky hält weiterhin an dem Wort­ungetüm Niederschlesischer Oberlausitzkreis fest. Der Name sei zwar lang, aber es kämen ja sowohl die Schlesier als auch die Oberlausitzer vor, sagt Marianne Paul vom Heimatbund.

Sie habe das Gefühl, zur Zeit sei man dabei, klammheimlich alle Bezeichnungen zu tilgen, die auf die schlesische Identität der Region verweisen. Noch drastischer formulierte es der aus der CDU ausgetretene ostsächsische Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche: "Die Schlesier werden erneut vertrieben." Sachsens Ministerpräsident Georg Mibradt (CDU) wolle den letzten Rest landsmannschaftlicher Identität der Schlesier nun "brutal beseitigen".

Taktisch zum richtigen Zeitpunkt präsentierte inzwischen der Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick (CDU) den Namen seiner Stadt als für alle tragbaren Kompromiß. Landkreis Görlitz solle das neue Gebilde heißen. Dies würde dem Anliegen der Schlesier Rechnung tragen, denn Görlitz sei heute die größte niederschlesische Stadt in Deutschland, schrieb das Stadtoberhaupt ans Innenministerium.

Prompt handelte er sich Ärger mit der Linkspartei ein. Deren Ortschef Mirko Schulze polemisierte, die Begründung für den neuen Namen dürfe nicht die schlesische Identität, sondern müsse die bessere geographische Zuordnung sein. Görlitz habe in seiner Geschichte 800 Jahre nicht zu Schlesien gehört und sei auch heute nicht Teil Schlesiens. Die Görlitzer DSU wiederum fordert, daß nach der Neuordnung des Landkreises die Stadt Görlitz künftig den Namenszusatz Schlesien oder Niederschlesien tragen sollte. Nur so könnte die "Erinnerung an Schlesien und die anderen Vertreibungsgebiete" lebendig gehalten werden, betont der Görlitzer DSU-Orts-chef Jürgen Krumpholz.

Parallel dazu wird versucht, die Oberlausitzer Identität zu stärken. "Bitte kein Niederschlesien! Wir sind alle Oberlausitzer", heißt es etwa in einem Leserbrief in der Sächsischen Zeitung. Ein Leser erinnert daran, daß die Oberlausitz 1815 auf dem Wiener Kongreß willkürlich in ein sächsisch gebliebenes und ein preußisch gewordenes Gebiet zerteilt wurde. Die preußische Oberlausitz sei niemals Schlesien eingegliedert, sondern nur durch preußische Regierungsorgane verwaltet worden.

Als Beweis für die Oberlausitzer Identität führen viele die 1902 durch Kaiser Wilhelm II. eingeweihte "Oberlausitzer Gedenkhalle mit Kaiser-Friedrich-Museums" an. Über dem Portal der sogenannten Ruhmeshalle, die sich im heute polnischen Teil von Görlitz befindet und als Kulturhaus dient, war einst zu lesen: "Den Gründern des Deutschen Reiches - die dankbare Oberlausitz."

In der Görlitzer Kommunalpolitik schert man sich derweil wenig um diese Querelen. Hier hat man längst erkannt, welche Zugkraft der Name Schlesien für den Tourismus hat. Deswegen vermarktet sich die Stadt bewußt als letzte schlesische Stadt auf bundesdeutschem Territorium und den Heimattouristen als "Tor zur alten Heimat". Görlitz sei eben wie Bunzlau und Breslau ein Synonym für Schlesien. Und so empfinden es vor allem jene in und um Görlitz Lebenden, die aus einst jenseits der Neiße lebenden Familien stammen und die sich noch heute - historische Grenzen hin oder her - vor allem als Schlesier fühlen.

Ihr Ziel ist die Pflege der Kulturlandschaft Schlesien und die Kooperation mit den Menschen auf der anderen Seite des Flusses, wo die polnische Wojwodschaft längst stolz den einst verpönten Namen Niederschlesien führt.


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