© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Die Hamas hat schon zweimal gewonnen
Naher Osten: Die palästinensische Notstandsregierung unter Salam Fayyad steht auf wackligen Füßen
Günther Deschner

Jetzt auf einmal, nachdem mit dem Sieg der Hamas in Gaza und einer "Notstandsregierung" im Westjor-danland das politische Sorgenkind Palästina in den Brunnen gefallen ist, ist eine hektische Aktivität ausgebrochen: Im ägyptischen Scharm-el-Scheich trafen sich Israels Premier Ehud Olmert und Palästinenerpräsident Mahmud Abbas mit Ägyptens Staatschef Husni Mubarak und Jordaniens König Abdullah II. Tags darauf erinnerte sich in Jerusalem das "Nahost-Quartett" (Uno, EU, USA und Rußland) doch mal wieder an seinen Daseinszweck, den "Einsatz für den Friedensprozeß im Nahen Osten".

Man gab Erklärungen ab und zeigte Gesten "guten Willens": Abbas rief zu diesmal "ernsthaften Verhandlungen" auf, Olmert kündigte die Freilassung von 250 Palästinensern an - immerhin 2,5 Prozent der rund 10.000 in Israels Gefängnissen einsitzenden Häftlinge und Verschleppten. Selbst die 680 Millionen Dollar Zolleinnahmen, die den Palästinensern zustehen, die aber Israel kassiert und seit 18 Monaten unrechtmäßig einbehalten hat, sollen endlich überwiesen werden - allerdings vorerst nur zur Hälfte und auch diese nur in Raten.

"Es geht hier vor allem um politische Symbolik", konstatierte Volker Perthes, der Nahost-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Das Ziel all dieser Gesten steht schon fest. Es sind Aktionen zur Rettung von Abbas, der der Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas (Fatah) angehört.

Eine tiefere Einsicht, ein konkreter Friedensplan, läßt sich als Motiv für die hektischen Aktivitäten noch nicht ausmachen, eher die panische Furcht vor dem, was die mit der Entwicklung im Gaza-Streifen ausgelöste Dynamik als nächstes bereithält. "Letztlich wird sich erst durch die praktische Tätigkeit vor allem Israels zeigen, wie ernsthaft hier der Wunsch ist, mit Abbas und der palästinensischen Autorität zusammenzuarbeiten", so Perthes skeptisch.

Abbas ließ man politisch und wirtschaftlich verhungern

Man muß daran erinnern, was dem palästinensischen Bruderkrieg, der Aufteilung der "Gebiete", der Einsetzung einer Notstandsregierung und dem aktuellen Aktionismus unmittelbar vorausging. Dieselben Politiker, die ihn heute in peinlicher Weise zu ihrem Favoriten machen, ließen Abbas - der nach Jassir Arafats Tod Präsident geworden war - am ausgestreckten Arm politisch und wirtschaftlich regelrecht verhungern.

Die Autorität des gewählten Präsidenten und das Durchsetzungsvermögen seiner Autonomiebehörde wurden sabotiert und demontiert, wo es nur ging. Für die Erfüllung bestimmter Vorgaben wurden vage Versprechungen gemacht, eingelöst wurden sie immer nur halb, "vielleicht später", "erst dann, wenn" und oft genug überhaupt nicht. Am Schluß hatte auch Abbas keine Illusionen mehr: Sein letztes Vier-Augen-Gespräch mit Olmert sagte er im Mai von sich aus ab.

Warum Abbas sich nach all den Erfahrungen auf die Konstruktion einer Notstandsregierung im Westjordanland einläßt, bleibt zunächst sein Geheimnis. Auch ihm muß aber klar sein, daß er auf einem schmalen Grat geht. Sehr viele Palästinenser sehen die auf einmal dezidierte Unterstützung für Abbas und seine Fatah durch Israel, die USA und die EU als verdächtige Einmischung an. Schon werden die ersten Fragen gestellt, ob seine Demontage sich nicht noch fortsetzen wird, wenn er sich in so offenkundiger Weise instrumentalisieren läßt.

Zudem weiß jeder, daß die mit der Fatah konkurrierende Islamische Widerstandsbewegung (Hamas) auch im Westjordanland viele Parteigänger hat. Bei der letzten Parlamentswahl hatte sie auch dort deutliche Mehrheiten errungen: In Ramallah, dem Sitz der jetzigen Notstandsregierung, hatte die Hamas vier Parlamentssitze erobert, die Fatah nur einen, in Nablus gingen vier Sitze an die Hamas, aber nur zwei an die Fatah, in Hebron errang die Hamas alle neun Sitze, und selbst in Ost-Jerusalem fielen von sechs Sitzen nur zwei an die Fatah. Zudem ist die Fatah ja die gleiche geblieben wie zur Zeit ihrer Wahlniederlage. Im Westjordanland wird sich ihr Ansehen noch weiter verschlechtern: Alle ihre Funktionäre, die in Gaza das System von Vetternwirtschaft und Korruption bildeten, sind mitsamt den protzigen äußeren Attributen ihres unrechtmäßig erworbenen Reichtums in das Westjordanland geflohen.

In den Augen der Palästinenser steht die Hamas im Vergleich dazu als die ehrlichere Partei dar, die sich wirklich um die Linderung der Armut und der sozialen Probleme der Menschen kümmert. Und - in einer Kultur, in der nur der "starke Mann" etwas gilt, besonders wichtig! - die Hamas hat in der Wahrnehmung des Volkes und ja auch in der Realität in kurzer Zeit schon zweimal gewonnen: Erst hat sie vor eineinhalb Jahren bei der Parlamentswahl die absolute Mehrheit gewonnen, und vor drei Wochen hat sie in Gaza auch militärisch gesiegt.

Illusionen bei Israelis, Amerikanern und Europäern

Die meisten Palästinenser wissen natürlich, daß die Hamas die entscheidende Kraft ist, an der man sich orientieren muß. Die palästinensische Notstands-regierung hingegen, deren Premier Salam Fayyad zuvor Finanzminister war, ist allenfalls eine fiktive Größe. Keiner hat das in diesen Tagen treffender formuliert als Israel Harel, eine frühere Geheimdienstgröße, in einem analytischen Beitrag für die Tageszeitung Haaretz. Er nennt die Hoffnung auf Abbas eine "Fiktion", die Notstandsregierung selbst eine "Fiktion", und er kritisiert, daß Israel und die USA sie unterstützen.

"So wie die Dinge liegen, repräsentiert die neue Regierung nicht die Palästinenser. Sondern sie repräsentiert nichts als Israels Illusionen und vielleicht auch die der Amerikaner und der Europäer. Nicht einmal die israelische Armee kann die Erosion der militärischen Stärke der Fatah aufhalten, und man sollte es wohl gar nicht erst versuchen", mahnte Harel. "Die letzten Jahre haben gelehrt, daß unsere 'Verbündeten' nichts als gewaltverliebte und zweifelhafte Charaktere sind - korrupt und ohne wirkliche Macht. Als Verbündete Israels sind sie keinesfalls geeignet. Hamas wird auf jeden Fall die Oberhand gewinnen. Und Israel sollte sich darauf einrichten."

Foto: Hamas-Kämpfer vor eroberter Fatah-Geheimdienstzentrale: "Israel sollte sich auf sie einrichten"


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