© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Täglich zum Luxusdinner nach Katalonien
"documenta"-Streit: Warum ein spanischer Starkoch nicht als bildender Künstler an der Ausstellung teilnimmt
Richard Stoltz

Die Aufregung der Kunstwelt ist beträchtlich. In Kassel hat "documenta"-Leiter Roger Buergel den berühmten spanischen "Molekularkoch" Ferran Adrià (45) doch nicht wie ursprünglich geplant als "ausstellenden Künstler" auf seine Superschau geholt. Seit Eröffnung der Ausstellung fahren lediglich täglich je zwei Künstler für teures Geld an die Costa Brava in Adriàs Restaurant "elBulli" nördlich von Barcelona, um dort eines der legendären "Molekulardinner" einzunehmen.

Buergel ist in Erklärungsnot. Er sagt, es sei einfach zu schwierig gewesen, das komplette "elBulli" samt Logistik und Kundenstamm nach Kassel umzusetzen. Manche Kritiker, wie etwa Wolfgang Herles vom TV-Kulturmagazin "capriccio", wollen das nicht gelten lassen. Adriàs "Molekularkochkunst", so argumentieren sie, sei erstrangige bildende Kunst und hätte deshalb unbedingt auf die "documenta" gehört.

Aber gehört die Kochkunst wirklich zur bildenden Kunst? Gewiß, "das Auge ißt mit", heißt es, und es gibt eine Menge Stilleben mit Speisen und Getränken und schöne altholländische Genre-Gemälde, auf denen ausgiebig getafelt und gebechert wird. Doch die Esserei ist da bekanntlich rein fiktiv, die Speisen werden auf den Bildern nicht weniger. Ähnliches gilt ja auch für die moderne "Eat Art" à la Daniel Spoerri. Die dort gezeigten realen Bockwürste sind nicht zum Essen da, sondern sie verschimmeln allmählich, bevor sie weggeräumt bzw. "restauriert" werden.

Auf solch einen "natürlichen Alterungsprozeß" seiner Produkte wollte sich Starkoch Ferran Adrià nicht einlassen. Sein "documenta"-Stand sollte keine bloße Installation sein, sondern ein echtes Restaurant. Seine Devise hieß: "Was bei mir auf den Tisch kommt, wird auch gegessen." Dadurch gab er sich eindeutig als Nichtmitglied in der Gilde der bildenden Künstler zu erkennen. Auch die sprichwörtliche Winzigkeit seiner Einzelportionen ("Molekularkochkunst"!) konnte über diesen Tatbestand nicht hinweg täuschen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen