© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

CD: Klassik
Spießiges
Jens Knorr

Wie konnte es nur dazu kommen? Das fragten sich Musik- und Theaterkritiker fassungslos angesichts des beispiellosen Siegeszugs, den eine Oper des elsässischen Komponisten Victor Ernst Nessler (1841-1890) nach ihrer Uraufführung 1884 am Leipziger Stadttheater über die deutschen Bühnen antrat, ein Jahr nach Wagners Tod, im Jahr der Uraufführung von Massenets "Manon" und Puccinis "Le Villi", der Entstehung von Bruckners 7. Symphonie und Mahlers "Liedern eines fahrenden Gesellen".

Die immer wieder gern als zeitlose Meisterwerke gegen die zeitgeistigen Werke unserer Gegenwart ausgespielt werden, sie waren selbst einmal als Ausgeburten des Zeitgeists, als dekadent und, da unverstanden, als unverständlich verschrien. Wer jedoch verstehen will, warum sie es so schwer hatten, sich im Repertoire durchzusetzen, der muß sich auch jenen Werken zuwenden, die das damalige Repertoire verstopften, beispielsweise Nesslers "Der Trompeter von Säckingen" nach Victor von Scheffels "Sang vom Oberrhein".

Scheffels Versroman hatte sich anfänglich zäh verkauft, wurde aber nach 1870 im wilhelminischen Deutschland zu einem Bestseller, bot er doch die Folie für Bildungsbeflissenheit ohne intellektuelle Anstrengung, Nationalgefühl ohne Nationalbewußtsein. Denen, nicht aber Scheffels Intentionen, entsprachen das von Rudolf Bunge "mit autorisierter teilweiser Benutzung der Idee und einiger Originallieder" verfertigte Libretto und Nesslers Tonsetzerei - eine Fluchtbewegung vor den Zumutungen der Moderne, zurück hinter Wagners unauflösbaren Tristan-Akkord, dorthin, von wo das gute Alte so gut und alt herüberklingt, wie es nie geklungen hat, als es das böse Neue war, in ein Biedermeier ohne Vormärz.

Werner Kirchhofer und Maria von Schönau, die bei Scheffel noch Margareta heißt, lernen sich in Säckingen kennen und lieben, doch Standesschranken verhindern die Heirat. Als der Heidelberger Ex-Student, gewesene Landsknechtsmusikus und jetzige Schloßtrompeter unter Anwendung seiner bei den Landsknechten erworbenen Sach- und Fachkenntnisse eine Bauernrevolte niederschlägt, während Marias ungeliebter Bräutigam als Führungskraft jämmerlich versagt, zudem des verwundeten Jung-Werners adliges Muttermal entdeckt wird, ist das holde Weib errungen und darf ausgiebig geblasen werden - die Trompete.

Dank der Tontechnik darf Nesslers "Trompeter" auf der Klangbühne sein Residuum finden, ohne weiteren Schaden auf der Schaubühne anzurichten. Die bisher einzige Aufnahme, 1994 in Zusammenarbeit des Westdeutschen Rundfunks mit den Herbstlichen Musiktagen Bad Urach entstanden, verdient durchaus Beachtung (Capriccio 60055-2).

Mit herzlicher Hingabe hält Helmuth Froschaue die schützende Dirigentenhand über Nesslers schlichtgestrickte Partitur, daß deren musikalisch-dramaturgische Mängel nicht etwa durch schäbige oder unfreiwillige Parodie ausgestellt würden. Zwar gibt es viel zuviel unnötiges Chargieren der Sänger zu erdulden, nicht aber der Sängerinnen, Regina Klepper als Maria und der jungen Katharina Kammerloher, heute wichtiges Mitglied in Barenboims Ensemble an der Berliner Lindenoper.

Trotz rührenden Bemühens wird von Nesslers Oper nicht viel mehr bleiben als die sprichwörtlich gewordene Zeile aus dem Lied des Werner Kirchhofer, stud. jur., das Hermann Prey selig in einem seiner "Verkaufsgespräche" - als die Jürgen Kesting Preys Singen ganz richtig charakterisiert hat -, Kölner Rundfunkchor und ein unbekannter Solotrompeter des Kölner Rundfunkorchesters adäquat an den Kunden bringen: Behüt' dich Gott! Es wär' zu schön gewesen, behüt' dich Gott, es hat nicht sollen sein!

"Der Trompeter von Säckingen" - eine Warnung an die Operngeschichte.


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