© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Lob auf ganzer Linie
Polen: Das kompromißlose Auftreten auf dem EU-Gipfel hat dem Kaczynski-Brudergespann innenpolitisch den Rücken gestärkt
Andrzej Madela

Das Kaczyński-Brudergespann an der Warschauer Staatsspitze hat allen Grund zur Freude, die harte Linie der polnischen Außenpolitik beim EU-Gipfel in Brüssel wird vom Wähler eindeutig goutiert: Laut einer Umfrage der Tageszeitung Rzeczpospolita sind über die Hälfte der Befragten mit dem mitgebrachten Ergebnis zufrieden, lediglich jeder Vierte meint, die dortige Verhandlungsposition sei grundsätzlich falsch. Entsprechend deutlich fällt das Lob für den Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyński aus, den eigentlichen Urheber der heiß umstrittenen "Quadratwurzel": Selbst die linksliberale Gazeta Wyborcza kann nicht umhin, anerkennend anzumerken, die für Polen sehr günstige Stimmengewichtung von Nizza sei im Prinzip für zehn Jahre gesichert.

Das scheint auch der Grund dafür, warum Warschau die Brüsseler Kungelei (JF 27/07) als Erfolg verkaufen kann, so die Rzeczpospolita. Der 2003 in Kraft getretene Vertrag von Nizza garantiert den 40-Millionen-Ländern Polen und Spanien nur zwei Stimmen weniger als dem 80-Millionen-Land Deutschland. Letzteres verfügt mit 29 über die gleiche Stimmenanzahl wie Frankreich und Italien, die jeweils gut 20 Millionen Einwohner weniger haben.

Der polnische Einfluß liegt also der Stimmengewichtung nach weitaus höher, als dies dem Land der Bevölkerungszahl nach zukäme. Käme das Prinzip der doppelten Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsländer, die gleichzeitig 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren) zur Anwendung, hätte dies eine erhebliche Beschneidung des polnischen Stimmenanteils zur Folge.

Die Kaczyńskis hatten va banque gespielt und einen für Polen passablen Kompromiß erreicht. Vor allem bleibt das System von Nizza bis 2014 unangetastet, anschließend kann in einer Übergangszeit von drei Jahren das Prinzip der doppelten Mehrheit parallel zum ersteren ausprobiert werden, wobei ein kompliziertes Regelwerk vorschreibt, wann welches zu greifen hat. Mit dem Vetorecht rechnet sich die Regierung zusätzlich gute Chancen aus, etwaige für sie ungünstige EU-Entscheidungen bis 2017 zu blockieren.

Das konservative Blatt Dziennik unterstreicht, daß die Dauer des erreichten Kompromisses vor allem den EU-Großen (hauptsächlich also Deutschland) abgetrotzt worden sei. Gemessen an Tempo und Ausmaß der Veränderungen, die Europa in den letzten 20 Jahren erlebt habe, sei der Zeitraum komfortabel. Auch könne niemand ernsthaft  zu wissen behaupten, welche Verfassung sich die EU in den nächsten zehn Jahren tatsächlich zu geben gewillt ist.

Die EU an den Rand des Zerbrechens gebracht

Den gleichen Gedanken greift die Wochenmagazin Wprost auf. Brüssel sei bereits der dritte Anlauf zu einer entscheidenden Änderung, nachdem die vorangegangenen institutionell verworfen bzw. durch die Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert sind, so die polnische Außenministerin Anna Fotyga im dortigen Interview. Bis 2017 sei noch vieles möglich - auch dies, daß andere Staaten auf die polnische Position einschwenken. Daher sei die Idee einer "Quadratwurzel" noch lange nicht begraben. Die Politikerin von der sozialkonservativen Regierungspartei PiS zielt mit ihrer Aussage auf die möglichen EU-Mitglieder Türkei und Ukraine ab.

Zumindest das letztgenannte Land hat bei seiner "orangenen Revolution" 2004 Polen außenpolitisch viel zu verdanken, folglich rechnet sich die Außenministerin gute Chancen aus, bei etwaigen Abstimmungen mit dem 50-Millionen-Land auf einer Linie zu liegen und so ein Gegengewicht zu anderen EU-Großen zu schaffen.

Einstimmig fällt auch das Urteil über die für Polen eher milden Kosten des Brüsseler Kompromisses aus. Polens Zustimmung zum wirkungslosen "EU-Außenminister" sowie einigen anderen zweitrangigen Vereinbarungen über die künftige EU-Präsidentschaft sei auf jeden Fall erträglich, so die einhellige Meinung der polnischen Presse.

Geteilt hingegen sind die Kommentatoren bei der Einschätzung des tatsächlichen polnischen Gewichts nach dem EU-Gipfel. Die linken und linksliberalen Blätter, allen voran die Gazeta Wyborcza, sind der Meinung, Polen habe mit seinem Vabanque-Spiel und dem gefährlichen ressentimentgeladenen Kurs viel Ansehen und Unterstützung eingebüßt, die EU gar an den Rand des Zerbrechens gebracht. Wesentlich gelassener sehen dies konservative und liberalkonservative Presseorgane, vor allem die Rzeczpospolita: Europa sei ein Spiel der Interessen, so der Text zwischen den Zeilen, Risikobereitschaft und aggressive Verteidigung gehören einfach dazu. Meistens würden sie auch mit Erfolg belohnt.

Und am Montag legte Kaczyński noch einmal nach. Angesichts von Aussagen von EU-Vertretern, denen zufolge das Recht, eine EU-Entscheidung um bis zu zwei Jahre verzögern zu können, doch nur für bis zu vier Monate gelten solle, erklärte der Premier: "Wir wollen, daß das vollständig aufgeschrieben wird, ohne Auslassungen."


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