© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Harmloser, als Stalin dachte
Viel Brimborium verdeckt das Eigentliche: "Der Drache" im Theater Erlangen
Werner Veith

Ja, ein dreiköpfiger Drache faucht schon wieder - diesmal nicht bei Chrysler, den der Finanzinvestor Cerberus von Daimler übernommen hat, sondern im beschaulichen Erlangen, unterm blühenden Lindenbaum, zwischen Efeu und fränkischem Fachwerk, im Hinterhof des Stadtmuseums, wo der Kirchturm der evangelischen Dreifaltigkeitskirche hineinblinzelt und eine Katze auf der Hausmauer miaut. (Nur drei Worte in altdeutscher Schrift lassen Böses ahnen: Luftschutzort Erlangen Befehlsstelle).

Ebensowenig geht es um den dreiköpfigen Höllenhund Cerberus, der die Pforten zur antiken Unterwelt bewacht, sondern um einen Drachen, der die Stadt seit 400 Jahren bedroht. Die Einwohner der Stadt verpflegen den Unhold und schenken ihm jedes Jahr eine schöne Jungfrau, die der Drache gleich nach der Hochzeit tötet. Der jugendliche Held Lanzelot kann das nicht bejahen und fordert den Drachen zum Zweikampf auf. Doch Bürgermeister und Stadtrat wollen den zugereisten Lanzelot nicht mit Waffen ausrüsten, weil sie den Kompromiß mit dem Tyrannen für sinnvoll halten. Trotzdem siegt Lanzelot - und verschwindet aus der Stadt. Schon spielt sich der Bürgermeister als Drachentöter auf, gebärt sich wie ein Diktator und will gerade jenes Mädchen heiraten, das einst für den Drachen vorgesehen war. Plötzlich taucht Lanzelot wieder auf, verhaftet Bürgermeister und Konsorten und befreit alle politischen Gefangenen. Soweit die Geschichte.

Doch was macht die Regisseurin Andrea Moses aus den politischen Ideen, die sich im Märchen verstecken? Viel, viel Klamauk, überdrehte Figuren allenthalben, meist grell und laut. Figuren, die an die Heiligen Drei Könige erinnern, an Sternsinger und Kirchenprozessionen. Musikalisch gibt es Kirchenlieder und Hip Hop, Schlager und Krimimusik, dazu Sicherheitsleute mit Sonnenbrillen und aufgeblasenen gelben Schwimmwesten.

Interessanter sind da schon einige Protagonisten: Andreas Petri als Drache, verkleidet als Geschäftsmann, mal herrisch und mal aufgeregt, in Armani-Anzug, rosa Hemd und blauer Krawatte. Oder Gregor Henze als Lanzelot, der jugendliche Drachentöter, der als einziger mit einem ungepuderten Gesicht agiert. Oder Sophie Weikert als Elsa und Drachenopfer, die sich von einer mechanischen Marionettenpuppe zur zickigen Trotzfigur wandelt.

Ob die Rechnung der Regisseurin aufgeht, wenn sie Klamauk und schale Satire dominieren läßt? Es sind halt keine Kabarettisten, die Schauspieler in Erlangen. Die Spaßmacher des Nürnberger Burgtheater sind ihnen da weitaus überlegen. Mit der leichten Muse haben es schon viele probiert. Zuletzt Wulf Kunold, Chef des Nürnberger Staatstheaters, der mit Operetten das Publikum locken wollte und damit reichlich Schiffbruch erlitt. 

Vieles wird in Erlangen überdeutlich gezeigt, so grotesk, so kraß wie bei RTL 2. Dabei gilt Jewgeni Schwarz (1896-1958) als Meister des feinen, unaufdringlichen Humors und milden Spotts. Der Autor von über 30 Märchen konnte zwar seinen "Drachen" in Leningrad 1943 veröffentlichen, als Theaterstück blieb es verboten. Erst 1961 folgte die Weltpremiere in Nowa Huta bei Krakau, später sah man den "Drachen" in der Bundesrepublik und in Ost-Berlin.

Der Sprung vom politischen Drachen Hitler und Stalin zum wirtschaftlichen Drachen ist in Erlangen nicht gelungen. Die Artikel des Grundgesetzes als Sprechgesang helfen nicht weiter. Das Grundgesetz bestimmt eben nur die Pflichten und Rechte zwischen Bürger und Staat, nicht jedoch zwischen Bürger und Bürger, zwischen Journalist und Verleger oder zwischen Arbeitnehmer und Wirtschaftsdrachen. Auch wenn man den Opportunismus der Menschen kritisieren will, hilft ein Kanon der Grundrechte nicht besonders. Gerade das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt die Wendehälse, die heute Hü und morgen Hott trompeten.

Die nächste Aufführung im Erlanger Stadtmuseum, Martin-Luther-Platz 9, findet statt am 8. Juli. Kartentelefon: 0 18 05 / 21 32 21


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen