© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
Lissaboner Strategien
Andreas Mölzer

Seit 1. Juli 2007 hat Portugal den Vorsitz im Europäischen Rat inne. Diese halbjährige Ratspräsidentschaft wird vor allem im Zeichen der Detailausarbeitung des EU-"Reformvertrags" stehen. Bereits Ende Juli soll die Regierungskonferenz mit ihrer Arbeit beginnen, um die Ersatzverfassung, die nicht so genannt wird, möglichst schnell auf die Schiene zu bringen. Dabei soll keine Zeit verloren werden, denn das Risiko, daß sich Widerstand gegen den "Reformvertrag" formiert, soll möglichst gering gehalten werden. Man will um jeden Preis an den Völkern Europas und deren Willen vorbei einen europäischen Bundesstaat legitimieren. Auch wenn dieser Bundesstaat mit bereits existenter exekutivistischer Rechtssetzung schon heute erschreckende Realität ist, und jetzt im nachhinein nur mehr abgesegnet werden soll, darf man nicht aufhören, für ein föderalistisches Europa zu kämpfen.

Wichtige Bereiche im portugiesischen Vorsitz werden neben der Forschung und der Sozialpolitik vor allem die Lissabon-Strategie, der Klimawandel und die Energie sein. Die eigentliche Diskussion über die "Lissabon-Strategie" soll zwar erst unter dem slowenischen Vorsitz im ersten Halbjahr 2008 stattfinden, man will aber die Vorbereitungen dafür intensiv auf Basis eines Zwischenberichts betreiben. Grund dafür ist, daß die Strategie unter dem Vorsitz Portugals im Jahr 2000 ins Leben gerufen wurde - und als ein wichtiges politisches Projekt für EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso gilt. Die Erfolgsaussichten sind mager, zumal die Wirtschaftsdaten in Europa zwar einen Konjunkturaufschwung zeigen, der aber auf einem zyklischen Hoch beruht. Die Nachhaltigkeit läßt zu wünschen übrig, der Arbeitsmarkt in Europa ist durch Globalisierungseffekte weiterhin stark gefährdet.

Weitere Themen sind der Klimawandel und die Energiepolitik. Im Dezember wird es eine internationale Klimakonferenz in Bali geben, wo der Grundstein für das Nachfolgeregime des derzeitigen Kyoto-Abkommens gelegt werden soll. Die EU wird sich im Sinne des ehrgeizigen politischen Rats-Gipfels vom Frühjahr für konkrete CO2-Reduktionsziele einsetzen. Im Bereich der Migration wird vor allem die Erweiterung des Schengen-Raums im Mittelpunkt stehen. Zwar ist die illegale Zuwanderung im Mittelmeerraum durchaus Thema - konkrete Maßnahmen sind jedoch wieder einmal nicht zu erwarten.

Und so wird Portugals Präsidentschaft den unseligen Weg Europas fortsetzen - weder wird im Bereich des "Reformvertrags" eine grundlegende Richtungsänderung vorgenommen werden, noch wird man im Bereich der Erweiterung in Hinblick auf die Türkei-Beitrittsverhandlungen die Notbremse ziehen. Wesentliche Politikbereiche wie eine pronatalistische Familienförderung und die Migration werden nicht entscheidend behandelt werden. Wobei eine ordentliche Familienpolitik - übergreifend in der gesamten EU - gar nicht erst angedacht ist. Hier muß man ganz klar sagen, daß sich die einzelnen Mitgliedsstaaten zum Handeln aufgerufen sehen müssen - ansonsten wird für die Familie als wichtigste Keimzelle der europäischen Gesellschaften nichts getan werden. Damit geht das Trauerspiel Europäische Union in die nächste Runde - für Europa ist bei dieser Entwicklung derzeit schwarzzusehen.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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