© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

Krieg den Weicheiern
Kraß und unkorrekt II: Der Fernsehfilm "Wut" ist jetzt als DVD erschienen
Martin Lichtmesz

Die Kontroverse um die WDR-Produktion "Wut" (JF 41/06) war ebenso vorhersagbar wie langweilig, weswegen es sich kaum lohnt, sie zu rekapitulieren. Erwähnt sei zumindest, daß der Sender die Ausstrahlung des Filmes kurzfristig vom Hauptsendetermin ins Spätprogramm verlegte. Dies geschah offenbar aus volkspädagogischen Erwägungen, hatte man doch erstmalig in der Geschichte des deutschen Fernsehens ein heißes Eisen konsequent angefaßt: "Wut" zeigt wie ein junger türkischer Dealer eine gutbürgerliche deutsche Familie bis zur blutigen Eskalation terrorisiert.

Kurz zuvor hatte Detlev Bucks "Knallhart" (JF 14/06) einen deutschen Jungen als "Opfa" ausländischer Straßengangs auf die Kinoleinwand gebracht. Was in Bucks Film allerdings nur Nebenthema war, wird in "Wut" zum zentralen Motiv. Den bösen türkischen Bandenführer spielt in beiden Filmen der 1986 in Berlin geborene Oktay Özdemir. In "Wut" ist er mit seiner aggressiven, raum­ergreifenden Präsenz und atemberaubenden street credibility die jede Szene dominierende Figur.

Der eigentliche Clou an dem Film unter der Regie des als Kind nach Deutschland gekommenen und in Stuttgart aufgewachsenen Züli Aladag ist jedoch weniger die Anprangerung der Gewalt von Ausländern gegen Deutsche, sondern vielmehr seine ziemlich gnadenlose Abrechnung mit dem Post-68er-Establishment. Der Vater des von dem Dealer Can erpreßten Felix (Robert Höller) ist ein bildungsbürgerlicher, linksliberaler Professor (August Zirner), dessen persönliche Feigheit und Bigotterie sich hinter pseudoaufgeklärten Sprüchen verschanzt. Je mehr er den Aggressionen Cans mit "Vernunft" und "Dialogbereitschaft" begegnet, umso größer die Verachtung, die ihm dieser entgegenbringt. Der Versuch, die "Probleme" durch "einfach normal miteinander reden" zu lösen, scheitert an dem inkarnierten Ausnahmezustand Can, der berstend vor Sozialneid, ethnozentrischem Stolz und "Mannes­ehre" den wohlhabenden deutschen Weicheiern den Krieg erklärt.

Der schüchterne, schwächliche Sohn des Professors, Felix, indessen ist geradezu fasziniert von Cans Macho-Gehabe und Alpha-Männchen-Status. Er verkörpert all das, was sein von liberalem Rückenmarkschwund befallener Vater ihm nicht zu geben vermag. Dabei fallen zwischen Vater und Sohn aufschlußreiche Dialoge. Felix: "Warum habt ihr die in unser Land gelassen?" - Vater: "Wir haben sie geholt. Jetzt sind sie da und wissen nicht, wo sie hingehören." - Felix: "Ihr habt mich einfach falsch erzogen. Selbst wenn ich genug Freunde hätte (um gegen Cans Gang anzutreten), die Deutschen trauen sich doch sowieso nicht. Und die Türken halten zusammen. Das ist Ehrensache bei denen." - Vater: "Ehrensache, was heißt denn Ehrensache? Das ist ein vollkommen rückständiger, anachronistischer Kodex." - Sohn: "Kein Volk läßt sich soviel bieten wie die Deutschen. Und daran seid nur ihr schuld, mit eurem scheiß Hitler-Komplex!" - Vater: "Ach, Hitler findest du jetzt gut??"

An einer anderen markanten Stelle beschwört der Vater den angeknacksten familiären Zusammenhalt (beide Ehepartner betrügen einander) mit den Worten "Wir sind ein Team!" Worauf der Sohn verzweifelt kontert: "Wir sind eine Familie!"

Geschickt steuern Regisseur Aladag und Drehbuchautor Max Eipp (Jahrgang 1955) die Wut des Zuschauers weniger auf Can, als auf Felix' Vater, dessen "Toleranz" in Wirklichkeit die eigene Unfähigkeit, sich zur Wehr zu setzen, moralisch bemäntelt, wodurch die Gewalt umso nachhaltiger eskaliert. Auf subversive Weise gibt der Film Can in einem gewissen Sinn recht, wenn dieser den Professor mit folgenden Worten attackiert: "Du hast scheißviel Geld, eine scheißgeile Frau, ein scheißgroßes Haus, aber du hast keine Ehre, Mann, und du verdienst keinen Respekt, deine Familie braucht einen Mann und keine Scheiß-Schwuchtel wie dich!"

"Wut" ist intelligente Multikulturalismuskritik im Gewand eines packenden Thrillers à la Martin Scorseses "Cape Fear" (1992), kompetent geschrieben, inszeniert und hervorragend gespielt, nun als DVD erhältlich.

DVD "Wut", erschienen bei der WVG Medien GmbH, Laufzeit ca. 88 Minuten

Foto: Can (Oktay Özdemir) hat die linksliberalen Eltern von Felix in seiner Gewalt: "Du hast keine Ehre"


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