© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

Vierteilige Dokumentation auf Arte: Versunkene Welt zum Leben erweckt
Die Germanen kommen
Christoph Martinkat

Bezeichnungen für Staaten und ihre Völker, mögen sie auch noch so falsch sein, halten sich offenbar länger als das hartnäckigste Gerücht. So heißt es im englischsprachigen Raum Germany, in Italien Germania und in Finnland Saksa, wenn von Deutschland die Rede ist. Zwar klingt Saksa lustig, doch ist die Bezeichnung natürlich unzutreffend, obgleich sich Sachsens Nachfahren wohl gern als Identitätsstifter des Deutschtums sähen.

Die Begriffe Germany und Germania wiederum suggerieren, es hätte ein Volk der Germanen gegeben, auf dessen Grundlage die spätere Nation erwuchs. Das wird zwar jedem Patrioten schmeicheln - vor allem dann, wenn er sich das ewige Hickhack um den geeinten Nationalstaat vor Augen führt -, gehört aber ebenso in das Reich der Fabeln  wie die Annahme, die von den Franken besiegten Alemannen hätten den Kernstamm der Deutschen gebildet.

Der Begriff "die Germanen" ist eine Erfindung des Römers Julius Cäsar, der diesen aus innenpolitischem Kalkül heraus geschickt als Propagandacoup plazierte. Denn erst mit der von ihm her-aufbeschworenen Gefahr in Form eines mächtigen, kampfeslustigen Volkes im Norden ließ sich der römische Senat dazu bewegen, Cäsars Feldzüge in Gallien weiterhin zu finanzieren und den Rhein als Reichsgrenze festzulegen.

In Wahrheit hatte es das römische Imperium mit einer Vielzahl von germanischen Stämmen zu tun, die sich im Laufe der Geschichte immer wieder zusammenschlossen, voneinander abspalteten und neue Stämme bildeten. Diesen wiederum war der Begriff "Germania" gar nicht geläufig. Auch besaßen sie kein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Obwohl sie in Siedlungs- und Gesellschaftsstruktur zum Teil starke Parallelen auswiesen, standen sich die Stämme zumeist feindlich gegenüber. Sie kannten keine Schrift, keine Bauten aus Stein und auch keine Tempelanlagen, wie sie bei den Römern üblich waren. Dafür verehrten sie dieselben Götter - Odin (Wodan), Thor (Donar) und Freyja, deren Namen sich in unseren Wochentagen widerspiegeln -  in Hainen, an heiligen Gewässern und Mooren. Dort brachten sie ihnen Waffen-, Tier- und Menschenopfer dar.

Was sich für die Römer als furchteinflößendes und barbarisches Ritual darstellen mußte, ist für die germanische Archäologie von heute wiederum ein Segen. Stehen ihr doch mit den Wasser- und Moorfunden eine Reihe gut erhaltener Zeugen zur Verfügung, mit deren Hilfe - und unter Anwendung neuester Analyseverfahren - das Leben der germanischen Stämme zwischen Skandinavien und den Alpen, zwischen Rhein und Weichsel rekonstruiert werden kann. Dabei ergibt sich ein überraschend differenziertes Bild: Jüngste sensationelle Entdeckungen - etwa einer zivilen Römerstadt bei Waldgirmes, des Schlachtfelds Kalkriese, eines Pfahlgötzen oder einer germanischen Leier mit Ritzzeichnungen - verweisen eindrucksvoll darauf, daß das von den Römern geprägte Bild von den wilden Germanen keinesfalls der Wahrheit entspricht.

Wie aber verlief sie denn nun, die wechselvolle Geschichte unserer Ahnen? Wie erlebten sie die kriegerische Konfrontation, aber auch das zivile Zusammenspiel mit den Römern? Was hat die aktuelle Germanenforschung über ihr Alltagsleben und ihre Vorstellungswelten zu berichten?

Die TV-Dokumentation "Die Germanen" (Sa., 21. u. 28. Juli, jew. ab 20.45 Uhr, Arte) geht diesen und anderen Fragen auf den Grund. Doch nicht nur das. Der aufwendige Vierteiler macht in einer gelungenen Mischung aus Spielfilmelementen, Einblicken in die Forschung und großartigen 3-D-Rekonstruktionen - etwa von der Römergründung Colonia, vom Grenzwall Limes oder von einem typisch germanischen Dorf - weite Teile der versunkenen Welt unserer Vorfahren sichtbar und vor allem emotional nacherlebbar.

Dabei wird der dramaturgische Bogen raffiniert gespannt: von der Schlacht zwischen Cäsar und dem Sueben Ariovist über den Aufstieg und Fall des Cheruskers Arminius hinein in die Zeit um 250 n. Chr., in der die Römer den Grenzwall Limes bewachen, bis hin zur Taufe des Frankenkönigs Chlodwig, die das Ende des Imperium Romanum und  den Aufstieg der römisch-christlichen Zivilisation symbolisiert. Letztere, so weist die Dokumentation eindrucksvoll nach, wäre ohne die germanischen Stämme, die lange Zeit in Vergessenheit gerieten, völlig undenkbar gewesen. Ohne sie als wesentliches Bindeglied zwischen Antike und Mittelalter wäre die Geschichte Europas anders verlaufen.


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