© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Unmenschliche demographische Hochrüstung
Libanon: Die Uno unterstützt die Vermehrung der Palästinenser im Lande / Libanesen auf dem demographischen Rückzug
Gunnar Heinsohn

In dem Vierteljahrhundert von 1945 bis 1970 ziehen die Frauen des Libanon durchschnittlich sechs bis sieben Kinder auf. Jeder Vater hinterläßt mindestens drei Söhne, von denen nur einer auf eine Karriere rechnen kann. Als der Bürgerkrieg 1975 beginnt, sind die überzähligen Brüder des Jahrgangs 1945 dem besten Kampfalter (15-30 Jahre) gerade entwachsen. Im Friedensjahr 1990 greift noch der Jahrgang 1970 in die Kämpfe ein. Aber jetzt hat das Land mit nicht einmal drei Millionen Einwohnern fast 150.000 Tote hinter sich. Ambitionen und Positionen sind durch Austilgung und Vertreibung der Konkurrenten in seltener Grausamkeit wieder ins Gleichgewicht gebracht worden. Kommt es im sechzigjährigen Kampf zwischen Israelis und Palästinensern (1947-2007) zu etwa 12.000 Toten, weil die jüdische Seite gezielt und nicht blindwütig reagiert, so schaffen die wahllos tötenden libanesischen Fraktionen in nur einem Viertel der Zeit ein Zwölffaches der Opfer. Bei Übertragung der libanesischen Kampfintensität auf Deutschlands 80-Millionenbevölkerung wären zwischen 1975 und 1990 mehr als 4,3 Millionen Tote zu beklagen gewesen.

Der demographische Treibsatz hinter den libanesischen Bürgerkriegstötungen ist bis heute nicht bewußt. Meist werden die vielen Religionen oder die Juden Israels beschuldigt, die doch vor den Gemetzeln da sind und auch danach. Dafür wird bei jeder passenden Gelegenheit aus Gedankenlosigkeit, aber auch aus Sensationslust ein Wiederaufflammen des levantinischen Blutvergießens beschworen. Nach dem Mord an dem libanesischen Unternehmer Rafiq al-Hariri im Februar 2005 und nach dem Syrerabzug im April 2005 sollte es losgehen, dann wieder nach dem Hisbollahkrieg gegen Israel im Sommer 2006 sowie nach der Ermordung des libanesischen Politikers Pierre Gemayel jr. im November 2006 und seit dem 20. Mai 2007 wegen des Islamistenaufstands in der Palästinenserstadt Nahr al-Bared bei Tripoli.

Gewiß hat es dort in zwei Monaten über 220 Tote gegeben, darunter 100 Soldaten. Aber gegenüber 1.000 Opfern monatlich auf dem Höhepunkt des Bruderkrieges erweisen sich die Voraussagen der Terrorexperten immer wieder als irreführend. Sie haben nicht nur die Explosion der Geburtenzahlen auf sieben pro Frau nach 1945, sondern auch ihren Absturz auf erst 3,4 im Jahre 1990 und dann auf nur noch 1,8 im Jahre 2007 übersehen. Jetzt liegt der Libanon bereits hinter den USA (2,09) und Frankreich (1,98) und ist in den Kreis der schnell alternden Nationen eingetreten. Sein Durchschnittsalter hat sich zwischen 1970 und heute von 14 auf 28 Jahre verdoppelt. Selbst der 1960 geborene Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah, der noch als eines von zehn Kindern um die Zuwendung seines Vaters konkurrieren mußte, hat nur fünf eigene Kinder. Er aber will Vorbild für suizidale Krieger sein, während sein Erzeuger lediglich den Aufgaben eines Gemüsehändlers nachging.

Libanons Jünglinge aus dem Jahrgang 1992 (3,2 Geburten pro Frau), die jetzt 15 Jahre alt werden und angeblich vom Steinewerfen zum Schießen übergehen wollen, sind nicht weniger hormonell erregbar und religiös zersplittert als ihre Vorgänger des Jahrgangs 1962 (6,4 Geburten pro Frau). Aber heute gibt es in dem ungebrochen dynamischen Land für nahezu jeden Tüchtigen eine Position. Die Früchte eines Sieges oder die Ehren eines Heldentodes verlieren dann schnell an Attraktion. Überzählige Söhne, die als Todesschwadronen ausschwärmen könnten, werden im Libanon schlichtweg nicht mehr gezeugt. Längst ist bekannt, daß die Hisbollah aus dem Iran und Syrien zwar neue Waffen ohne Limit beziehen kann, aber Schwierigkeiten hat, ihre im Krieg gegen Israel verlorenen Eliteeinheiten wieder aufzufüllen.

Die Verwandlung auch der Libanesen zu Lohnarbeitern und die daraus erwachsende lebenslange Konkurrenz um Arbeitsplätze haben beim Gebären sehr schnell unter die Nettoreproduktion von 2,1 Kindern geführt. Dadurch sind ja auch Algerien oder Tunesien (jeweils von sieben auf unter zwei Geburten) längst ruhig geworden. Aber nicht überall im Libanon darf dieser Mechanismus greifen. In Palästinenserlagern wie Nahr al-Bared wird bis heute nicht nur ein zweites, sondern auch ein sechstes Kind - völkerrechtlich durchaus korrekt - als Flüchtling versorgt, wenn seine Abstammung auf Vertriebene von 1948 zurückgeführt wird, als die Vernichtung des jungen Israel scheiterte und die Araber vor den erfolgreichen Gegenoffensiven seiner kleinen, aber effektiven Verbände geflohen sind.

Das Uno-Hilfswerk für Palästina (UNRWA), vorrangig finanziert von Brüssel und EU-Ländern, ernährt, kleidet und beschult in den Lagerstädten jedes Kind. Das wird natürlich mit Dank angenommen. Aber hundert Meter weiter wohnende Libanesen müssen nicht nur für ihren Nachwuchs selbst bezahlen, sondern auch hinnehmen, daß ihre eigene demographische Abrüstung durch das Aufziehen von immer mehr Kriegern nebenan unterlaufen wird. Die Palästinenser Libanons vermehren sich zwischen 1950 und 2007 um 460 Prozent von 90.000 auf 415.000. Die Libanesen hingegen schaffen ungeachtet ihrer eigenen Extremdemographie bis 1985 "nur" eine Zunahme um 285 Prozent von 1,37 Millionen auf 3,9 Millionen.

Gleichwohl bietet das libanesische Umfeld mit der Aufnahme von etwa 215.000 Palästinensern (weitere 200.000 leben in UNRWA-Einrichtungen) weitaus bessere Arbeitsbedingungen als der Gazastreifen, der als nahezu reine UNRWA-Kolonie zwischen 1950 und 2007 um 617 Prozent von 240.000 auf 1,48 Millionen Einwohner explodiert ist. Und doch zeigen die Kämpfe zwischen überzähligen Fatah-Jünglingen und eher raren libanesischen Soldaten, daß sich die UNRWA-Vermehrungspolitik im Libanon kaum weniger gewalttätig auswirken kann als in Gaza oder der Westbank. Ob nach dem Sturm am 15. Juli die Opfer im Libanon eher zum Nachdenken über das unmenschliche demographische Hochrüstungsexperiment mit Palästinensern führen als die Toten der palästinensischen Bruderkämpfe und des Krieges gegen Israel?

 

Prof. Dr. Gunnar Heinsohn lehrt Zivilisationstheorie an der Universität Bremen.

Foto: Flüchtling aus Nahr al-Bared: Die Hilfslieferungen zugunsten der Palästinenser werden vorrangig von der Europäischen Union finanziert


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