© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Mit eigenen Augen sehen
Stereoskopische Sicht: Tom Cruise, Graf Stauffenberg und der deutsche Film
Martin Lichtmesz

Tom Cruise, einer der populärsten US-Stars, wird also in einer Großproduktion Claus Schenk Graf von Stauffenberg, den Täter und Attentäter des "Geheimen Deutschland" spielen. Regie führt Bryan Singer, der sich auf Superhelden-Knaller wie "X-Men" spezialisiert hat. Vielen erscheint das als schlechter Witz, anderen geradezu als Sakrileg. Gestern nun sollen unter großer Geheimhaltung die Dreharbeiten südlich von Berlin begonnen haben.

Was für Affekte hinter den lächerlichen Bemühungen, Cruise die Drehgenehmigung im Berliner Bendlerblock wegen seiner Scientology-Mitgliedschaft zu verweigern, tatsächlich stecken, kann man nur vermuten. Wieder andere befürchten, auch Stauffenberg könnte nun der Hollywoodisierung zum Opfer fallen, was mehr als nur den Rachen der Unterhaltungsindustrie bedeutet.

"Die Deutschen sehen sich seit 1945 nicht mehr mit eigenen Augen", bemerkte einst Hans-Dietrich Sander treffend, "sie sehen sich mit den Augen der Gegner des letzten Krieges." Das taten sie buchstäblich in Kino und Fernsehen, mit deren Hilfe die Sieger Mythos und Evangelium von der heroischen Tötung des deutschen Drachen massenwirksam in das kollektive Bewußtsein senkten.

Es ist gewiß, daß Singers "Valkyrie" ("Walküre") diesen Rahmen nicht sprengen wird. Dennoch hat Florian Henckel von Donnersmarck in der FAZ zu Recht darauf hingewiesen, daß die Männer des 20. Juli über Deutschland hinaus kaum bekannt sind und sich mit einem Megastar wie Tom Cruise eine ungeheure Chance biete, dem deutschen Widerstand nun auch weltweit zu Ansehen zu verhelfen - ein Ansehen, das von den Kriegsgegnern, die ihren Krieg nicht nur gegen Hitlers, sondern auch Stauffenbergs Deutschland führten, mit eisigem Hohn verweigert wurde.

Immerhin fand bereits Stauffenbergs allererster (kurzer) Filmauftritt in einer Hollywood-Produktion statt, in dem sympathisierenden Rommel-Porträt  "The Desert Fox" (1951). Drei Jahre später folgten gleich zwei abendfüllende westdeutsche Verfilmungen: "Der 20. Juli", inszeniert von Falk Harnack, der im Umfeld der "Weißen Rose" tätig war, sowie "Es geschah am 20. Juli - Aufstand gegen Adolf Hitler" unter der Regie von G. W. Pabst, produziert von Carl Szokoll, einem Wiener Teilnehmer des Putschversuches.

Beide Filme waren "Kollektiv"-Dramen, in denen Stauffenberg (gespielt von Wolfgang Preiss bzw. Bernhard Wicki) eine ausgewogene Rolle neben den anderen Verschwörern einnahm. Sie hatten deutlich pädagogischen Charakter und versuchten, den 20. Juli als Anknüpfungspunkt für ein deutsches Selbstbild nach 1945 zu präsentieren. Denn noch hatte sich die heute selbstverständliche positive Wertung des Attentats in der Mehrheit des Volkes nicht durchgesetzt. Im Mittelpunkt stand der "Aufstand des Gewissens", die überwiegend symbolische Geste für das "bessere" Deutschland. Pabsts Film etwa endet mit der Einblendung: "Nun liegt es an uns, ob dieses Opfer umsonst gewesen ist!"

Die Tendenz der beiden Streifen ist typisch für die Weltkriegs-Filme der 1950er Jahre, die versuchten, eine Standortbestimmung vorzunehmen, die trotz der Vorgaben der Re-education ein einigermaßen authentisches Bild der eigenen Erfahrung zuließ, das auch als Grundlage einer neuen Identität tauglich wäre. "08/15", "Hunde, wollt ihr ewig leben" oder "Des Teufels General" einigten sich auf die stereotype Formel: hier der aufrechte, regimekritische Offizier oder der einfache Soldat, der wider Willen seine Haut hinhalten muß, dort die fanatischen und skrupellosen Nazischweine und Leuteschinder. So grob vereinfacht dieses Strickmuster gewesen sein mag, es ließ einen Spielraum zu, der sich später nach und nach verengte.

In den sechziger Jahren verschwanden die Landser-Filme aus den westdeutschen Kinos. Parallel dazu verankerte sich zunehmend die US-Sicht des Krieges. Am Ende der Dekade war die schizophrene Umkonditionierung so weit fortgeschritten, daß das deutsche Publikum mit Lust schluckte, wie Lee Marvin und "Das dreckige Dutzend" (1967) die Schufte in Feldgrau abschlachteten.

Stauffenberg tauchte nun ungefähr einmal pro Jahrzehnt in heute vergessenen Fernsehspielen auf: "Claus Graf Stauffenberg" (1968), "Operation Walküre" (1971) und "Wolfschanze 20. Juli 1944" (1984). Nennenswert waren erst wieder Hans-Erich Viets "Die Stunde der Offiziere" (2003) und vor allem Jo Baiers "Stauffenberg" (2004). Harnacks und Pabsts Arbeiten sind bis heute die einzigen Kinofilme geblieben.

Wenn nun eine gültige Formulierung des Stoffes von einer US-Produktion nicht zu erwarten ist - von den Deutschen selbst ist sie das noch weniger. Die Geschichtsfilmwelle der letzten Jahre hat zwar einiges Neuland betreten, steckt aber hoffnungslos in matter TV-Ästhetik, dramaturgischen Konventionen und oft geradezu abstruser Political Correctness fest. Niemand klittert so brav wie die Deutschen selbst. Auch Baiers "Stauffenberg" war auf zum Teil peinliche Weise heutigen Bedürfnissen angepaßt. Allen Vorbehalten zum Trotz ist die künstlerische Innovationskraft der Amerikaner der deutschen immer noch weit überlegen. Der Welterfolg von Bernd Eichingers "Der Untergang" (2004) hat indessen einiges in Bewegung gebracht. In Deutschland kaum bekannt wurde etwa der Streifen "Joy Division" (2006) von Reg Traviss mit Tom Schilling ("Napola"), der Kriegsverbrechen der Roten Armee an deutschen Zivilisten in Schlesien 1944/45 mit einer Schonungslosigkeit in Szene setzte, wie es bisher kein deutscher Film gewagt hat.

"Letters from Iwo Jima" (2006) von Clint Eastwood zeigte den Pazifik-Krieg aus der Sicht der Japaner auf verblüffend objektive und emphatische Weise. Auch in den USA hat man die ewig gleichen Geschichten über den Weltkrieg satt. Es besteht durchaus die Chance, daß "Valkyrie" mit einigen Überraschungen aufwarten wird.

Tom Cruise, ein intelligenter und vielseitiger Schauspieler, ist eine reizvolle Besetzung für die Rolle. In jedem Fall wäre ein weiterer Schritt getan auf dem Weg zum definitiven Stauffenberg-Film. Um die gewaltige Dimension des Gewissenskonflikts der Männer des 20. Juli, die ethische Ambivalenz ihrer Tat und ihr tragisches Scheitern angemessen auf die Leinwand zu bringen, müßte sich eine stereoskopische Sicht auf die Deutschen des Weltkrieges durchsetzen, die die Demarkationslinie "Gut-Böse" nicht mehr entlang der Gretchenfrage "Für oder gegen NS?" zieht. Stauffenberg steht schließlich auch exemplarisch für einen Riß, der mitten durch das Herz der Deutschen geht.

Die "Essenz der Geschichte" (Donnersmarck) ist vielleicht die Szene, die niemand vergißt, der sie einmal gesehen hat: Stauffenbergs Tod im Scheinwerferlicht eines Lastwagens, die Worte "Es lebe das heilige Deutschland!" auf den Lippen - das hat in noch keinem Film kaltgelassen.

 

US-Schauspieler Tom Cruise

- geb. am 3. Juli 1962 in Syracuse, New York

- Durchbruch als Schauspieler mit "Top Gun" (1986)

- Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller in "Geboren am 4. Juli" (1989) und "Jerry Maguire - Spiel des Lebens" (1996)

- Seit 1986 Anhänger von Scientology. Wegen seiner öffentlichen Werbung für diese Organisation steht er immer wieder in der Kritik

Foto: Abgesperrtes Waldstück bei Groß Köris in Brandenburg, wo am 19. Juli die Dreharbeiten zu dem Stauffenberg-Film mit Tom Cruise in der Hauptrolle begonnen haben: Stauffenberg steht exemplarisch für einen Riß, der mitten durch das Herz der Deutschen geht


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