© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Den Zenit überschritten
Halbzeitbilanz: Niemand weiß, wofür Angela Merkel inhaltlich steht
Paul Rosen

Angela Merkel befindet sich nach zwei Jahren Amtszeit als Bundeskanzlerin auf dem Höhepunkt ihrer Macht. 85 Prozent der Bundesbürger sind laut ZDF-Politbarometer mit der Arbeit der CDU-Chefin zufrieden. Selbst die Große Koalition, die vor knapp zwei Jahren mit einer Steuererhöhungsorgie startete, wird von 69 Prozent der Befragten positiv bewertet. Die Arbeitslosenzahlen sinken, die Wirtschaft wächst. Es könnte also alles so schön sein in Berlin.

Doch das Grundgefühl der Zufriedenheit will sich einfach nicht einstellen. Gewiß hat Merkel eine stabile Regierungsmannschaft. In den knapp zwei Jahren ging kein Minister von der Fahne, was die Kanzlerin in einer Pressekonferenz mit ihrer "liebevollen Art" begründete, mit der sie mit den Kabinettskollegen umzugehen pflege. Vorgänger Gerhard Schröder hatte in den ersten zwei Jahren schon sechs Minister verloren - von Finanzminister Oskar Lafontaine bis zu Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke.

Einige zentrale Vorhaben der Großen Koalition sind abgearbeitet worden. Das wichtigste Projekt war sicher die Föderalismusreform, mit der das Verhältnis zwischen dem Bund und den 16 Ländern entzerrt wurde, in dem gemeinsame Zuständigkeiten entflochten und die Eigenverantwortlichkeiten von Ländern und Bund gestärkt wurden. Wahlen sind mit einer gelungenen Föderalismusreform aber nicht zu gewinnen. Der einfache Mann auf der Straße dürfte von dieser Reform vermutlich nichts wissen. Er interessiert sich mehr für die Gesundheitsreform und dafür, wieviel er beim Arzt oder in der Apotheke zusätzlich bezahlen muß.

In dieser Hinsicht widersprechen die Umfrageergebnisse der Bilanz der Koalition von Union und SPD diametral. Dieselben Befragten, die Merkel so in den Himmel loben, halten in den Umfragen gar nichts von der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und nicht besonderes viel von der Gesundheitsreform. Ob mit der Zentralverwaltungswirtschaft, die das bisherige System der Krankenkassen ersetzen wird, eine Stabilisierung des Gesundheitssystems möglich ist, ist zu bezweifeln. Was den Sozialsystemen derzeit hilft, sind die höheren Beitragseinnahmen durch neue Arbeitsplätze und geringere Arbeitslosigkeit. Der drohende Kollaps durch die demographische Entwicklung ist jedoch nicht aufzuhalten. Durch Merkels Gesundheitsreform schon gar nicht. Und einen ausgeglichenen Haushalt hatte bereits die rot-grüne Bundesregierung versprochen, aber nicht eingehalten.

Merkels Erfolg liegt in ihrer diplomatischen Kunst begründet. "Basta"-Politik im Stil ihres Vorgängers Schröder ist nicht ihre Art. Sie schaffte es auf ihrer letzten Pressekonferenz vor der parlamentarischen Sommerpause in Berlin sogar, sich vor ihren umstrittenen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu stellen, ohne den Bundespräsidenten Horst Köhler anzugreifen, der Schäuble kritisiert hatte. Schäubles Ideen fand sie diskutierenswert, zu Köhler mochte sie sich nicht äußern - Respekt vor dem Staatsoberhaupt. Auch Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der Atomkraftwerke noch früher als geplant abschalten will und damit einen Konflikt mit der Union riskiert, dürfe solche Vorschläge machen, so die Kanzlerin.

So ist die erste Frau auf dem Stuhl eines deutschen Regierungschefs ganz im Unterschied zu der Britin Margaret Thatcher einfach nur freundlich, selbst zu den polnischen Zwillings-Regenten, die die ganze EU verärgern. Merkel hat in der Außenpolitik versucht, internationale Treffen wie den G8-Gipfel in Heiligendamm ebenso als Erfolg darzustellen wie die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Die in Heiligendamm vereinbarten Klimaschutzziele sind jedoch an Unverbindlichkeit kaum zu übertreffen, und die deutsche Ratspräsidentschaft hat Europa keinen Schritt nach vorne gebracht, sondern klargemacht, daß die Interessen von 27 EU-Staaten einfach zu unterschiedlich sind, als sich noch viele Gemeinsamkeiten finden lassen würden.

Was in der Außenpolitik gilt, ist in der Innenpolitik nicht anders. Merkels Große Koalition ist gefährdet. Dem kleineren Partner SPD bricht die Zustimmung weg. 29 Prozent laut Politbarometer sind kein Ruhmesblatt für die SPD, deren Minister an den wichtigsten Schalthebeln im Kabinett sitzen. Die Linkspartei zehrt an den Kräften der Sozialdemokraten. Das Gewerkschaftslager, bisher feste Stütze der SPD, scheint in Teilen zur Linkspartei überzulaufen. Die Sympathiewerte für den SPD-Vorsitzenden Kurt Beck befinden sich im Keller. Die Werte für die Union sind dagegen in den letzten Wochen immer weiter nach oben gegangen, was Merkel veranlaßt, sich in Sicherheit zu wiegen.

Das ist jedoch ein Trugschluß. Seit Merkels Kanzlerschaft weiß man nicht mehr, wofür die Union eigentlich steht. Ihr auf dem Leipziger Parteitag ausgerufenes Ziel, die CDU zur modernsten Partei zu machen, realisiert Merkels Truppe, indem sie traditionelle programmatische Grundsätze über Bord wirft. Welche grundsätzliche Ausrichtung die CDU hat, welches Familienbild, ist heute kaum noch zu sagen.

Wenn Merkel und die CDU so beliebt sind, dann kann dies auch an den mangelnden Alternativen liegen. Jedenfalls besagt der erreichte Spitzenwert der Umfrageergebnisse auch etwas anderes: Merkel hat den Zenit überschritten.


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